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Chelsea Manning spricht auf der re:publica erstaunlich offen über ihre Ängste und wie ihr Laptop hilft, diese in den Griff zu bekommen.
© Tobias Schwarz/AFP

Digitalkonferenz re:publica: Chelsea Manning, die Freiheit und die Angst

Es ist ihre erste Auslandsreise seit der Freilassung. Whistleblowerin Chelsea Manning ist bei der re:publica ein Superstar. Zu Hause legt sie ihre elektronischen Geräte in die Mikrowelle.

Als sie vor einem Jahr aus dem Gefängnis entlassen wurde, dachte sie: Nun ist es überstanden, jetzt kommt das Happy End! Was für ein Irrtum. Ihr Leben bleibe auch in Freiheit ein Kampf, sagt Chelsea Manning heute. Und manchmal wisse sie nicht, ob sie ihn gewinne.

Für ihre tausenden Zuschauer in der Kreuzberger „Station“ ist Manning ein Superstar. Am Eröffnungstag der Digitalkonferenz re:publica müssen viele Menschen zwischen den Stuhlreihen auf Betonboden hocken, immer wieder gibt es Szenenapplaus. Manning ist schließlich, neben Edward Snowden, der größte Whistleblower der Gegenwart. Und Trans-Aktivistin. Und vielleicht bald im US-Senat.

Der Berlinbesuch ist ihre erste Auslandsreise seit der Begnadigung. Sieben Jahre saß sie in Haft, eigentlich sollten es 35 sein – weil sie als Soldat, damals noch mit Vornamen Bradley, Hunderttausende geheimer Dokumente an Wikileaks weitergegeben hatte. Darunter auch das inzwischen berühmte Video, das zeigt, wie US-Soldaten aus einem Hubschrauber Zivilisten erschießen. Über die Aufnahme spricht die 30-Jährige an diesem Tag nicht. Dafür über die verlorenen Jahre im Gefängnis. Ihre Unsicherheit und die Mühen, jetzt ein geregeltes Leben zu führen. Und wie furchteinflößend sie den Personenkult um sie findet. Es sind überraschend intime Einblicke für eine Digitalkonferenz.

In den vergangenen Wochen gewährte Manning bereits ein paar solcher Einblicke. Sie hat erklärt, dass sie sich noch in Therapie befinde, an Angstzuständen und Depressionen leide. Sie sagt, sie fühle sich oft einsam, besonders abends. Sie wünsche sich dann, sie könnte einfach an die Wände ihres Appartements klopfen und hoffen, dass jemand zurückklopft. So wie im Knast.

Die ersten Monate nach der Entlassung verbrachte sie in einer New Yorker Einzimmerwohnung, spielte Videospiele und las einige der über 200 000 Briefe, die ihr Unterstützer geschrieben, die Behörden aber während der Haft vorenthalten hatten. Nach vier Wochen kam ein alter Freund vorbei, sie gingen los und kauften einen Computer. Das habe ihre Lebensqualität schlagartig verbessert. Sie ist schließlich Hackerin. Manning bevorzugt den Begriff „Programmiererin“. Das böse H-Wort verschrecke zu viele Menschen.

Weil sie um die Möglichkeiten der Massenüberwachung weiß, trifft sie viele Vorsichtsmaßnahmen. Aus Angst, abgehört zu werden, lagert sie anfangs elektronische Geräte in der Mikrowelle. Wenn die voll ist, weicht Manning auf den Kühlschrank aus. Sie sagt selbst, ihr Argwohn habe ein „paranoides Level“ erreicht.

Warum sie sich an Wikileaks wandte

Seit ihrer Freilassung erfährt Manning auch viel Hass von Unbekannten. Übers Netz bekommt sie Nachrichten wie „Stirb, du Verräter“ oder „Du bist ein Mann, schneid dir endlich die Haare“. Manning sagt, sowohl übertriebene Huldigungen als auch die Anfeindungen machten ihr zu schaffen. Und dass sie auf ihrem Smartphone weder Twitter noch Instagram als App installiert habe, die Kanäle nur vom Laptop aus aufrufe. Alles andere wäre ungesund, glaubt sie.

Inzwischen ist Manning zurück nach Maryland gezogen, den Bundesstaat, wo sie bereits lebte, bevor sie zum Militär ging und dort auf die Geheimdokumente stieß. Sie sagt, sie hätte jetzt gern einen Mitbewohner. Sie habe ein paar Freunde drüben an der Westküste. Aber es sei ihr bislang nicht gelungen, die zum Wegzug aus San Francisco zu überreden.

Immerhin kennt Manning inzwischen ein Mittel gegen die Angstzustände: Laptop aufklappen und ihrem alten Hobby nachgehen, also in Computerprogrammen nach Fehlern suchen und diese beheben. Sie sagt, das gebe ihr Halt, weil es eben vertraut sei. Wenn Chelsea Manning über ihre Ängste spricht, versteckt sie sich nicht einmal hinter Ironie oder Coolness. Es wirkt, als habe da jemand keine Firewall installiert.

Bei ihrem Auftritt auf der re:publica erzählt sie auch, dass sie das geheime Material ursprünglich gar nicht an Wikileaks, sondern an klassische Medien geben wollte. Zuerst probierte sie es bei der „Washington Post“. Manning hatte einen Spielfilm über die Aufdeckung des Watergate-Skandals gesehen und dachte: Die kriegen das hin. Von einer öffentlichen Telefonzelle ließ sie sich zu dem zuständigen Redakteur durchstellen. Der war zwar interessiert, kannte sich aber nicht mit Verschlüsselungstechniken in Mails aus. Das war Manning zu riskant. Bei der „New York Times“ klappte es ebenfalls nicht. Der Termin mit einem Journalisten der Zeitung „Politico“ wurde kurzfristig wegen eines Schneesturms abgesagt.

Manning lief die Zeit davon, sagt sie heute. Sie war damals gerade auf Heimaturlaub, sollte nach sieben Tagen wieder zurück in den Irak. Schließlich wandte sie sich an Wikileaks. Dass diese Gruppe überhaupt existiert, hatte sie durch ein IT-Sicherheitstraining der Armee erfahren. Dort hatte man gewarnt, es gebe da eine Organisation, die Böses im Sinn habe.

Nach ihrer Freilassung vermuteten viele, dass sich Manning aus der Öffentlichkeit zurückziehen, jedenfalls nicht politisch engagieren werde. Auf der Bühne der re:publica erklärt Manning, warum das für sie keine Option sei: Verglichen mit damals, als sie zur Whistleblowerin wurde, sei heute alles noch viel schlimmer. Insbesondere die Massenüberwachung der Menschen. Aber auch die Militarisierung der Polizei. Und dass sie sich verpflichtet fühle, dagegen anzugehen.

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Im Herbst will sie sich im Bundesstaat Maryland für die Demokraten in den US-Senat wählen lassen. Dafür müsste sie sich aber erst bei den parteiinternen Vorwahlen im Juni gegen Ben Cardin durchsetzen. Der ist so ziemlich ihr Gegenteil: Berufspolitiker seit 40 Jahren, Teil des Establishments in Washington, schon seit zwei Amtszeiten im Oberhaus. Viel zu lange, sagt Manning, welche Lebenserfahrung habe der Mann denn bitte? Sie selbst war im Gefängnis, im Krieg, als Jugendliche sogar einen Sommer obdachlos. Ihr Vater hatte sie aus dem Haus geworfen.

Manning stellt sich zur Wahl für den Senat

Manning sagt, sie trete zur Senatswahl nicht als Parteipolitikerin, sondern als Aktivistin an. Sie werde sich auch nicht von Lobbyisten vereinnahmen lassen. Sie möchte sich dafür einsetzen, alle Soldaten aus Irak und Afghanistan abzuziehen, den Rüstungsetat der USA drastisch zu kürzen, Gefängnisse zu schließen. Manning fordert offene Grenzen weltweit.

Sie wird wohl keine Chance haben. Laut einer Umfrage liegt sie deutlich hinter dem demokratischen Amtsinhaber zurück. Mannings Kandidatur ist vielleicht nur Träumerei. Aber das muss ja nichts schlechtes sein.

Hätten die Besucher der re:publica zu entscheiden, wäre Manning bald Präsidentin. Mehrfach wird ihr an diesem Tag versichert, welche Ehre ihr Besuch, welch beeindruckende Person sie doch sei. Ihr ist das sichtlich unangenehm. Sie wiederholt, dass sie nicht perfekt und auch nicht besonders sei, dass sie mit sich und den Umständen zu kämpfen habe. Als sich dann noch ein Zuschauer meldet und verkündet, Manning sei ein Rollenvorbild, ihr Schaffen „superheldenhaft“, wird es ihr zu viel: „Schaut nicht so viel auf eine berühmte Person aus Amerika.“ Es sei besser, sich auf das eigene Umfeld zu konzentrieren. Die Freunde. Vielleicht sogar sich selbst.

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