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Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit? Homosexuelle fallen da immer noch auf.
© dpa

Alltagsdiskriminierung von Homosexuellen: "Als erstes wird gescannt: Kann ich mich sicher fühlen?"

Mit dem Partner Hand in Hand zu gehen, ist für Homosexuelle immer noch eine Gratwanderung - auch in Berlin. Ein Interview mit Torsten Siebert vom LSVD über Alltagsdiskriminierungen.

Eine neue Studie zur Homosexualität zeigt ein gemischtes Bild: Der Großteil der Deutschen fordert zwar rechtliche Gleichstellung von Lesben und Schwulen. Sobald Homosexualität aber dem eigenen Leben näher kommt, nimmt die Akzeptanz ab. Wie nehmen Sie persönlich derzeit das gesamtgesellschaftliche Klima wahr?

Relativ ähnlich. Gerade bei Fragen rund um das Thema Eheöffnung hört man sehr viel Positives, egal wen man fragt. Da gibt es eigentlich einen gesellschaftlichen Konsens, dass die Ehe endlich auch gleichgeschlechtlichen Paaren offen stehen sollte. Geht es aber ins Persönliche hinein, sind weiter Empfindlichkeiten da, zum Beispiel wenn es um Lesben und Schwule in der Öffentlichkeit geht. Da sind wir schon auf einem guten Weg, keine Frage. Aber es bleibt viel zu tun.

Können Sie Beispiele nennen, was Sie damit meinen?

Das sind ganz alltägliche Erfahrungen von Diskriminierung. Wenn ich mit meinem Partner in die Bahn oder den Bus steige, hört man schon öfters Getuschel, bekommt blöde Sprüche ab. Man fällt auf - und man merkt, dass man auffällt. Auch in Berlin. Dementsprechend frage ich mich immer in solchen Situationen: Wie verhalte ich mich jetzt? Sollten wir nicht besser so tun als ob wir „nur“ gute Freunde sind und kein Paar?

Einige werden einwenden, dass keiner vor blöden Sprüchen in der Öffentlichkeit sicher ist.

Man bekommt bei Alltagsdiskriminierung irgendwann ein dickes Fell, klar. Aber es beeinträchtigt einen, ganz normal und frei mit dem eigenen Partner umzugehen. Das bleibt im Kopf hängen. Ich glaube nicht, dass sich Heteros über sowas Gedanken machen müssen.

Gibt es Gegenden in Berlin, wo Sie als Männerpaar nicht Hand in Hand gehen würden?

Ich kann keine bestimmten Gegenden nennen. Auch in Schöneberg ist es nicht so, dass ich überall Hand in Hand gehen würde. Man entwickelt eine gewisse Sensibilität. Als erstes wird die Umgebung gescannt: Fühle ich mich sicher, gibt es Menschen, die mich bedrohen könnten? Da hat man einen gewissen Automatismus entwickelt. Ich gebe zu, dass ich da ganz subjektiv kategorisiere. Fahren grölende Fußballfans mit mir in einem Waggon, würde ich mich davor hüten, als schwul aufzufallen.

Torsten Siebert (42) ist beim Lesben- und Schwulenverband in Berlin unter anderem Projektleiter für die Respect Gaymes und für den Bereich Aufklärung & Sensibilisierung.
Torsten Siebert (42) ist beim Lesben- und Schwulenverband in Berlin unter anderem Projektleiter für die Respect Gaymes und für den Bereich Aufklärung & Sensibilisierung.
© privat

Homofeindliche Übergriffe nehmen auch in Berlin zu. Haben Sie das selber schon einmal erlebt?

Ein Freund von mir ist direkt nach dem letzten CSD in einem Imbiss angegriffen worden, mitten in Schöneberg. Mir persönlich ist das aber noch nie passiert.

Wie hat sich mit dem Aufkommen der Rechtspopulisten die Lage für LGBT in Berlin verändert?

Der öffentliche Diskurs wird vergiftet, das merkt man. Bisher habe ich aber das Gefühl, dass sich das hauptsächlich medial abspielt. Auf mein persönliches und berufliches Umfeld hat sich das bisher nicht wirklich ausgewirkt. Das hat mich auch bei der Studie positiv überrascht. Aufgrund der öffentlichen Diskussionen in der letzten Zeit hätte ich ein schlechteres Ergebnis beim Thema Gleichstellung erwartet.

Aus konservativen Kreisen wird inzwischen verstärkt Stimmung gegen eine liberale Sexualerziehung an Schulen gemacht, man denke an die "Demo für alle". Sie arbeiten beim Lesben- und Schwulenverband (LSVD), wo sie unter anderem mit Antidiskriminierungsarbeit an Schulen befasst sind. Haben Sie den Eindruck, dass sich der Widerstand auch schon in Berlin an den Schulen niederschlägt?

Bei der Demo für alle sind in Baden-Württemberg Tausende auf die Straße gegangen. Das beobachte ich mit großer Sorge. Es macht mich auch wütend, wenn ich deren Argumente sehe – sie entsprechen oft schlicht nicht der Wahrheit. Die Organisatoren hatte für den letzten Sommer auch eine Demo in Berlin angekündigt. Die ist ins Wasser gefallen, Berlin scheint liberaler zu sein. Auch in der Schulpraxis spüren wir in Berlin davon noch nichts. Ich mache das seit sieben Jahren, ich kann mich an gerade mal zwei Fälle erinnern, wo Eltern Bedenken hatten. Ganz im Gegenteil steigt die Nachfrage nach unseren Schulangeboten massiv. Übrigens werden wir oft auch für Willkommensklassen mit Geflüchteten angefragt.

Welche Erfahrungen machen Sie da?

Es ist nicht so, dass diesen Jugendlichen Homosexualität komplett unbekannt wäre. Aber sie sind erstmal sprachlos, dass wir so offen darüber reden. Klar gibt es gewisse Hürden zu überwinden. Dann reagieren sie aber oft mit Neugier: Wie geht das als Schwuler, als Lesbe im Alltag, wie sieht es im Beruf aus? Man kann geflüchtete Jugendlichen durchaus erreichen.

Sie kommen selber aus einem Dorf nahe Braunschweig. Wie groß ist der Unterschied zwischen Stadt und Land?

Meine Eltern wohnen in einem 3000-Seelen-Dorf, da sind auch noch viele meiner früheren Freunde. Die Unterschiede zu Berlin sind riesig, auch wenn ich wünschte, dass es nicht so wäre. Homosexualität ist dort einfach nicht präsent. Da fehlen oft Berührungspunkte, weil es keine offen schwul und lesbisch lebenden Menschen gibt. Vor einem Jahr wollte ein lesbisches Paar ins Dorf ziehen. Das war wochenlang das Tratschthema Nummer Eins. Die sind letztlich hergezogen und auch geblieben, aber es war hart.

Was würden Sie sich von der Politik wünschen?

Die Eheöffnung  ist wirklich das vordringlichste, weil sie symbolisch für die Gleichstellung steht. Und es wäre dringend nötig, endlich den Artikel Drei des Grundgesetzes dahingehend zu ergänzen, dass  niemand aufgrund seiner sexuellen Identität diskriminiert werden darf.

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