Nach Anschuldigen gegen Ex-Vizepremier verschwunden: Wo ist die Tennisspielerin Peng Shuai?
Shuai beschuldigte in den sozialen Medien Chinas Ex-Vizepremier des sexuellen Missbrauchs. Nun ist ihr Beitrag gelöscht - und die Sportlerin verschwunden.
Wo ist Peng Shuai? Unter dieser Frage wird zurzeit nicht nur im Internet, nach der prominenten chinesischen Tennisspielerin gesucht. Der Chef der Frauentennisorganisation WTA, Steve Simon, sagte der „New York Times“, dass er aus einigen Quellen, darunter der Chinesische Tennisverband, gehört habe, dass sie in Sicherheit sei und nicht physisch bedroht werde.
„Meinen Informationen nach ist sie in Peking in China, aber ich kann das nicht bestätigen, weil ich nicht direkt mit ihr gesprochen habe“, sagte Simon. Der chinesische Menschenrechtsanwalt Teng Biao ist nicht so optimistisch. „Wenn die einzige Information über Peng Shuais Aufenthaltsort und Sicherheit vom ,Chinesischen Tennisverband’ stammt“, schreibt Teng Biao auf Twitter, „dann bedeutet das, dass die Chinesische Regierung sie hat verschwinden lassen und dass sie nicht in Sicherheit ist.“
Die 35 Jahre alte Peng Shuai hatte am 2. November den ehemaligen chinesischen Vizepremier Zhang Gaoli auf ihrem Account bei der Social-Media-Plattform Weibo beschuldigt, sie sexuell missbraucht zu haben. Demnach hatten sie vor mehr als zehn Jahren eine Affäre mit ihm gehabt, 2018 habe Zhang dann versucht, sie gegen ihren Willen in seiner Wohnung zum Sex zu zwingen.
Seine Ehefrau habe währenddessen vor der Tür gewacht. „Ich kann nicht beschreiben, wie angewidert ich war und wie oft ich mich gefragt habe, ob ich noch ein Mensch bin“, schrieb Peng in dem Beitrag, „ich fühle mich wie eine wandelnde Leiche.“
In den meisten anderen Ländern hätte diese Anschuldigung einer prominenten Sportlerin eine breite MeToo-Debatte in der Öffentlichkeit und Ermittlungen von Behörden ausgelöst. Nicht so im autoritären Einparteienstaat China.
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Im chinesischen Internet wurde ihr Beitrag nach kurzer Zeit gelöscht, alle Debatten wurden zensiert. Sogar das Wort „Tennis“ soll kurzzeitig nicht aufrufbar gewesen sein. Von Peng Shuai hörte und sah man seitdem nichts mehr, sie konnte so bisher auch nicht bestätigen, ob der Beitrag tatsächlich von ihr stammte.
Während in China nicht öffentlich debattiert wird, erhält sie nun Unterstützung von außerhalb. MeToo-Aktivistinnen und die Frauentennisszene versuchen ihr zu helfen, vor allem die Frauentennisorganisation WTA setzt sich für die Spielerin ein, die 2014 im Doppel in Wimbledon gewonnen hatte und im Einzel bis auf Platz 14 der Weltrangliste kam.
Der Frauentennisweltverband WTA unterstützt sie - und droht mit dem Rückzug aus China
„Sie hat offenkundig großen Mut bewiesen, indem sie das öffentlich gemacht hat“, sagte WTA-Chef Simon der „New York Times“. Die WTA verlange eine vollständige und transparente Untersuchung vom chinesischen Staat. „Alles andere wäre ein Affront nicht nur gegenüber unseren Spielerinnen, sondern für alle Frauen.“ Falls geeignete Resultate ausbleiben, sagte der WTA-Chef, sei sein Verband sogar bereit, das Business in China zu beenden.
Dieses ist sehr lukrativ, in diesem Jahr wären insgesamt elf Turniere geplant gewesen, darunter das mit 14 Millionen Dollar dotierte Saisonfinale in Shenzhen. Doch aufgrund der rigiden NoCovid-Bestimmungen in China und der damit verbundenen Abschottung der Volksrepublik, fanden seit März 2020 ohnehin keine WTA-Turniere mehr in der Volksrepublik statt.
Stattdessen lässt die WTA nun bereits außerhalb Chinas spielen. Das bringt zwar weniger Preisgeld ein, dürfte aber auch ein Grund dafür sein, warum Simon die Rückzugsdrohung aussprechen konnte: Zurzeit spielt der Verband gar nicht in China. Die Tennis-Legende Martina Navratilova twitterte bereits: „Frauen-Tennis in China wird wahrscheinlich für eine Weile vorbei sein.“ Auch der Männertennisverband ATP unterstützt das Anliegen der WTA.
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Der Sprecher des chinesischen Außenamtes wollte sich am Montag nicht zu Peng Shuai äußern. „Ich habe von dem Thema nicht gehört“, sagte Zhao Lijian. Er sei dafür nicht zuständig, es handle sich nicht um eine Frage der Diplomatie.
Pengs Verschwinden ist gar nicht so ungewöhnlich im seit 1949 kommunistisch regierten China. Wer beim Regime in Ungnade fällt oder es herausfordert, kann schon mal mit oder ohne Prozess kurz oder länger aus der Öffentlichkeit verschwinden. Das passierte Schauspielerinnen wie Fan Bingbing oder Zhao Wei oder Milliardären wie dem reichsten Mann Chinas, Jack Ma.
Zwar hat die chinesische MeToo-Bewegung in den letzten Jahren etwas Fahrt aufgenommen. Vor bald einem Jahr machte ein Prozess gegen einen Moderatoren des Staatsfernsehens Schlagzeilen, auch an Universitäten fasste die Bewegung Fuß. Doch Zensur und Polizei bereiten dem Aktivismus häufig schnell ein Ende, wenn er zu politisch wird. Und Pengs Vorwürfe sind allein schon durch den möglichen Täter hochpolitisch.
In dem inzwischen 75 Jahre alten ehemaligen Vizeregierungschef Zhang Gaoli steht ein Mitglied des von Männern dominierten Machtzentrum Chinas im Mittelpunkt der Vorwürfe. Das macht ihre Freunde unruhig. „Ich kenne Peng, seit sie 14 ist; wir sollten alle sehr besorgt sein; es ist ernst“, twitterte die US-Tennislegende Chris Evert: „Wo ist sie? Ist sie sicher? Jede Information wäre willkommen.“