„Eine völlig neue Situation“: Wie das Coronavirus den Kampf gegen die Heuschreckenplage erschwert
Im Schatten der Coronakrise droht die Heuschreckenplage in Afrika zum jahrelangen Problem zu werden. Dabei erschwert das Virus den Kampf gegen die Insekten.
Lange genug hatten sie davor gewarnt. Helfer und Beobachter sprachen immer wieder von der wachsenden Gefahr der Heuschreckenschwärme, die seit Monaten Ostafrika überziehen, bis zu 150 Kilometer am Tag fliegen, ganze Landstriche kahlfressen – und sich fortpflanzen. Vor allem Kenia, Äthiopien und Somalia sind von der Plage betroffen, aber auch Uganda, Südsudan und Eritrea. Regionen, die zuletzt mitunter stark von Dürren und Überschwemmungen heimgesucht wurden.
Mitarbeiter der UN-Landwirtschaftsorganisation FAO berichten seit einiger Zeit, dass sich die Insekten rasch vermehren: In diesen Wochen wächst die zweite Generation der Heuschrecken heran. Das warme und feuchte Klima, der Regen der vergangenen Monate, hilft ihnen dabei. Zwar können die frisch geschlüpften Insekten anfangs nicht fliegen. Doch würden sie sich bald zu neuen, noch größeren Schwärmen zusammenschließen. Um bis zu 400 Mal so viele Heuschrecken könnte es sich dann handeln. Jedes einzelne Insekt ist in der Lage, das eigene Körpergewicht an Pflanzen zu vertilgen. Ein Schwarm in der Größe eines Quadratkilometers vernichtet an einem Tag so viel Nahrung, wie 35.000 Menschen essen würden.
Längst warnt FAO, dass Ernährungssicherheit von 20 Millionen Menschen nicht gegeben sei, das Einkommen von Millionen auf dem Spiel steht. „Der worst case wäre, dass sich die Heuschreckenschwärme in den fruchtbaren Teilen Kenias einnisten und dort zumindest für zwei, drei Jahre ihr Unwesen weitertreiben“, sagte Marlehn Thieme, Präsidentin der deutschen Welthungerhilfe im März. Erst dann wären nach Thiemes Einschätzung genug Pestizide und Herbizide versprüht worden, um der Plage Herr zu werden. Die Plage könnte die Entwicklungsarbeit von Jahren zunichte machen.
Heuschreckenplage und Coronavirus fallen nun zusammen
Mit dem Anwachsen der Schwärme werden auch die Probleme größer. Denn jene zweite Generation beginnt das Land in einer Zeit des Jahres zu überziehen, wo nach regenreichen Monaten die Vegetation aufgeht, landwirtschaftliche Nutzpflanzen noch jung und wenig robust sind – und somit die Erträge der kommenden Ernte auf dem Spiel stehen.
So etwa in Kenia: „Wenn keine geeigneten Kontrollmaßnahmen getroffen werden, wirkt sich der Heuschreckenbefall verheerend auf die Ernten, die Viehwirtschaft und natürlich auf die Versorgung der betroffenen Menschen mit Nahrungsmitteln aus“, sagte Kelvin Shingles, Welthungerhilfe-Landesdirektor. In einigen Bezirken könnten bis zu 65 Prozent der Anbaugebiete von der Heuschreckeninvasion betroffen sein. „Die Lage ist extrem alarmierend“, sagte zuletzt Keith Cressmann, Heuschreckenexperte der FAO.
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Ein weiteres Problem kommt nun hinzu: Die Heuschreckenplage fällt in die Zeit der rasanten Ausbreitung des Coronavirus. „Es ist eine völlig neue Situation, die wir so noch nicht erlebt haben“, sagt Bettina Lüscher, Sprecherin des UN-Welternährungsprogramms (WFP), dem Tagesspiegel. Das Coronavirus erschwert auch die humanitäre Hilfe: „Es wird schwieriger, den Schwächsten zu helfen.“ Längst habe man die Ausgabe der Nahrungsmittel verändert, kommuniziert etwa per SMS unterschiedliche Ausgabezeitpunkte.
Als Teil der UN-Organisationen habe das WFP mehr Schiffe und Flugzeuge gechartert, um neben Nahrung Ärzte, Krankenschwestern und Schutzkleidung für die Weltgesundheitsorganisation, Unicef und andere Helfer in betroffene Regionen zu bekommen, in die aufgrund der Ausbreitung des Virus kaum noch Flugzeuge fliegen. Weltweit würden nun 1,9 Milliarden Euro benötigt, um Nahrungsmittelvorräte für drei Monate anzulegen, so Lüscher. Denn: „Die Lage wird sich weiter verschlimmern“, sagt Lüscher.
FAO erhöhte Aufruf 153 Millionen US-Dollar
Auch die internationale Hilfsorganisation Oxfam baute ihre Aktivitäten in der Heuschreckenkrise zuletzt aus, richtete etwa ein Überwachungssystem zum Aufspüren von Heuschrecken in Kenia ein, verteilte an Geld an Gemeinden in Somalia und Äthiopien ein. Doch man sorgt sich bereits vor möglichen Auswirkungen des Coronavirus auf den Kampf gegen die Heuschreckenplage.
Derzeit könnten alle Organisationen mit ihrem Personal und Material noch gut arbeiten. „Es ist schwer vorherzusagen, wie sich die Lage in den kommenden Tagen und Wochen verändert, auch angesichts der Reisebeschränkungen“, sagte Francesco Rigamonti, technischer Leiter der humanitären Hilfe von Oxfam für Ost- und Zentralafrika, dem Tagesspiegel. Auch die Verfügbarkeit von Pestiziden in der nahen Zukunft sei fraglich.
Die Gleichzeitigkeit der Krisen könnte dabei von der Hilfsbedürftigkeit in Ostafrika ablenken. „Das ist die Gefahr der aktuellen Situation, wir einen enormen Bedarf an Unterstützung haben, zusammen mit der Tatsache, dass mit Covid-19 sogar die nördliche Hemisphäre wirtschaftlich ziemlich betroffen ist“, sagte zuletzt Cyril Ferrand, der Leiter des Resilienz-Teams der FAO in Ostafrika.
Erst kürzlich hat FAO seinem Aufruf für die Bekämpfung der Heuschreckenkrise auf 153 Millionen US-Dollar erhöht, um den betroffenen Ländern zu helfen. Bisher wurden 107 Millionen US-Dollar zugesagt. Die FAO arbeitet auch mit den Regierungen zusammen, bieten technische Beratung und Unterstützung bei der Beschaffung von Ausrüstung für die Bekämpfung der Insekten. Zuletzt wurden etwa vier Flugzeuge an die kenianische und die äthiopische Regierung übergeben, dazu zahlreiche Fahrzeuge mit Spürvorrichtungen an staatliche Stellen in Somalia, Äthiopien und Kenia.
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