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Ein Mitarbeiter wechselt in einer Ausstellung in der Talbot Rice Gallery eine Uhr aus.
© Jane Barlow/dpa

Debatte um Sommerzeit: Warum niemand die Zeitumstellung mag

Vier von fünf Teilnehmern einer Umfrage der EU lehnen die Zeitumstellung ab. Vielleicht auch, weil der Mensch unter der Diktatur der Uhr leidet. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hannes Soltau

Am Abend des ersten Tages der Barrikadenkämpfe in der Julirevolution von 1830 kam es in Paris zu seltsamen Szenen. An mehreren Stellen der Stadt schoss man auf die Turmuhren. Als ahnten die Revolutionäre, dass die abstrakte Herrschaft der Zeit ein Teil der zu überwindenden Tyrannei sei.

Knapp 200 Jahre später bahnt sich eine neue kleine Revolution an. Bei einer EU-Umfrage stimmten 80 Prozent der Teilnehmer für die Abschaffung der Zeitumstellung. Von den 4,6 Millionen Abstimmenden stammen mehr als drei Millionen aus Deutschland. Ausgerechnet jener Nation, die als Hort der Pünktlichkeit gilt.

Die Sommerzeit ist hierzulande ein Produkt des Krieges. Die Zeitumstellung wurde erstmals während des Ersten Weltkriegs eingeführt, denn in der industrialisierten Kriegsführung waren Ressourcen wertvoll. Was die Natur gab, musste optimal genutzt werden, insbesondere das kostenlose Tageslicht. Auch im Zweiten Weltkrieg führte Hitler 1940 die Sommerzeit wieder ein – maßgeblich um der Rüstungsindustrie optimale Produktionsbedingungen zu gewährleisten. Bei der letzten Wiedereinführung im Jahr 1980 herrschte zwar kein Krieg mehr. Aber der Wunsch nach maximaler Produktivität und Effizienz war längst zum Dauerzustand geworden.

Uhren sind moderne Diktatoren

Noch bis 1893 hatte jeder Ort in Deutschland seine eigene Zeit: In Berlin, Hamburg und München gingen die Uhren anders. Doch die Vereinheitlichung der Zeitmessung war eine der wichtigsten Voraussetzungen der Moderne und des kapitalistischen Wirtschaftens. Die strenge Ausrichtung nach der Uhr ein Teil des Arbeitsethos. In der Folge wurde der innere Rhythmus der Menschen in ein starres Korsett gezwängt. „Uhren sind moderne Diktatoren“, sagt der Zeitforscher Karlheinz Geißler. Vor allem in Gesellschaften, in denen noch immer das Verdikt „Zeit ist Geld“ gilt.

Vielleicht offenbart die enorme Ablehnung bei der EU-Umfrage also auch ein Unbehagen der Menschen gegenüber den allumfassenden Zeitzwängen. Einen kleinen Akt der Rebellion gegen den gnadenlosen Takt des Sekundenzeigers, der es nie erlaubt, sich auszuruhen oder zufriedenzugeben. Ein kleines Aufbegehren gegen das Bewusstsein, bloßes Anhängsel eines menschengemachten Schicksals zu sein.

Somit könnte die Entscheidung letztendlich ein Schuss auf die inzwischen digitalisierte Uhr sein – verbunden mit einer Ahnung davon, dass die Zeit nicht den Menschen beherrschen müsste, sondern das Metrum jederzeit gestoppt werden könnte, das unser Leben bestimmt.

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