Nach dem ESC-Finale 2015: Warum Ann Sophie gescheitert ist
Null Punkte für Deutschland. Woran lag es? An Ann Sophies divenhafter Ausstrahlung, an Deutschlands Europapolitik? Ein Experte glaubt, der Song "Black Smoke" ist für den Eurovision Song Contest nicht geeignet.
Die Enttäuschung und die Ratlosigkeit sieht man ihr sofort an. Als Ann Sophie mitten in der Nacht vor die Kameras tritt, scheint der Schock über das Ergebnis des 60. Eurovision Song Contest in Wien noch ganz tief zu sitzen. Null Punkte für Deutschland - das hat es zuletzt 1965 gegeben. "Ich glaube nicht, dass ich das erklären kann - da habe ich zu wenig Vorstellungskraft für", sagt sie mit versteinerter Miene.
Trotzdem: Die Professionalität, die ihr schon im Vorfeld des ESC nachgesagt wurde, stellt sie auch jetzt wieder unter Beweis. Mehrfach wiederholt sie, wie schön der Auftritt für sie gewesen sei, dass damit ein Traum in Erfüllung gegangen sei und dass sie dem Schweden Måns Zelmerlöw den Sieg wirklich gönnt.
Tapfer berichtet sie den Journalisten, dass sie das diesjährige Motto "Building Bridges" genutzt, also Brücken gebaut habe - und zwar ausgerechnet zu den österreichischen The Makemakes, die ebenfalls null Punkte kassiert haben. "Wir wollen auch zusammen Musik machen", verspricht Ann Sophie. Ob das erfolgversprechend ist? Immerhin nehmen The Makemakes ihre Niederlage mit ordentlich Humor (und einer Anspielung auf den Sieger-Song "Heroes"), wie sie auf Twitter bewiesen:
Auch ARD-Unterhaltungschef Thomas Schreiber war nach dem Finale sichtlich fassungslos. "Null Punkte sind bitter und enttäuschend", sagte er. Man stehe hinter Ann Sophie und wolle auch weiter mit ihr zusammenarbeiten. "Der Song und die Performance waren besser als null Punkte." Am Sonntagvormittag meldete sich noch einmal Peter Urban, der legendäre deutsche ESC-Moderator, mit einer Live-Schalte in den ZDF-Fernsehgarten zu Wort. Er lobte Ann Sophie in höchsten Tönen, die Hamburgerin sei eine fantastische Sängerin. "Jetzt erst recht" - das sollte ihr Motto sein. Und Urban erinnerte auch an den Auftritt von Joy Fleming, für den es 1975 nur den 17. von 19 Plätzen gab. Allerdings wurde Fleming danach auf einer Welle der Unterstützung getragen, insofern war die Niederlage für sie ein Gewinn.
Doch warum ist für Ann Sophie der Inhalt ihres Songs "Black Smoke" wahr geworden - und nichts als Rauch zurückgeblieben? Mit einem eher coolen Pop-Song konnte doch schon Lena 2010 ("Satellite") abräumen. Vielleicht war Ann Sophie ein wenig zu cool, zu sehr Profi, zu sehr Diva - und das mit zarten 24 Jahren. Sicher, auch Conchita Wurst ist eine junge Diva, aber das ist sie mit einer Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit, die Ann Sophie nicht hat. Sie wirkte bei ihrem Auftritt doch arg bemüht, sehr angestrengt und bedacht, alles perfekt zu machen. Das ist nicht mal dem schwedischen Sieger gelungen: Måns Zelmerlöw hinkte bei seiner Performance stellenweise leicht hinter den abgestimmten Animationen hinterher - was dem Sonnyboy aber niemand übelnahm.
"Nicht die Zuschauer haben Ann Sophie schlecht bewertet - sondern die Jury"
Auch für den ESC-Experten Irving Wolther, der über den Wettbewerb promovierte, ist die deutsche Nullnummer schwer zu erklären. "Ann Sophies Auftritt war tadellos." Es lag wohl eher am Song selbst - der sei radiotauglich, aber weniger für die Bühne geeignet. "Man kann nicht jeden Mainstream-Song effektvoll inszenieren", sagt Wolther. Und dann seien es eben die unauffälligsten - und nicht unbedingt die schlechtesten - Beiträge, die auf die letzten Plätze kommen. "Die Zuschauer wollen etwas Spektakuläres, etwas Innovatives", glaubt Irving Wolther. Und das hätten Schweden und Russland eben geboten.
Politische Aspekte hätten beim schlechten Abschneiden nach Wolthers Meinung weniger eine Rolle gespielt - auch wenn das manch einer glaubt. "Denn es waren nicht die Zuschauer, die Ann Sophie so schlecht bewertet haben." Hätte es nur das Televoting gegeben, hätte Deutschland wohl Punkte eingeheimst, etwa aus Albanien. Doch die Jury, die zur Hälfte die Punkte bestimmt, hatte wohl eine andere Meinung zum Beitrag aus Deutschland. An den Juroren lag es übrigens auch, dass Italien nur Drittplatzierter wurde, weiß Wolther. "Die hätten sonst haushoch gewonnen".
Die drei Tenöre von "Il Volo" haben das ganz große Drama abgezogen und sind damit auf dem dritten Platz gelandet - aber von Klassik-Interpreten erwartet man eben auch eine bestimmte Attitüde, die die jungen Männer gekonnt mit jugendlicher Frische durchsetzt haben. Zumindest haben sie nicht so gewirkt, als würden sie sich älter machen wollen, als sie sind.
Polina Gagarina hat als perfektes, hochemotionales Blondchen für Russland den zweiten Platz geholt - dass sie mehr Punkte bekam als die düster-lässige Ann Sophie liegt beim ESC auf der Hand. Gagarina hat mit "A Million Voices" die obligatorische ESC-Powerballade abgeliefert. Ann Sophies "Black Smoke" ist schwieriger einzuordnen - auch das dürfte ein Grund für ihre Niederlage gewesen sein.
Und vielleicht lag es auch daran, dass Ann Sophie ursprünglich gar nicht beim ESC-Finale dabei sein sollte. Zur Erinnerung: Beim deutschen Vorentscheid gewann eigentlich Andreas Kümmert, der aber noch auf der Bühne überraschend ablehnte. So rückte die 24-Jährige von der Ersatzbank nach - nicht als erste Wahl der Deutschen.