Eurovision Songcontest 2015: Ann Sophies Ambitionen für den ESC
Seit dem Vorentscheid für den ESC hat Deutschlands Kandidatin an ihrem Auftreten gearbeitet - sie ist jetzt souveräner und sicherer. Nun will sie in die Top 10. Ein ehrgeiziges Ziel.
Sie schlägt die Hände vors Gesicht, legt die Stirn in Falten – und für einen Moment scheint es, als würden Ann Sophie die Tränen kommen. Die Entscheidung von Andreas Kümmert, ihr nach seinem Sieg beim Vorentscheid des Eurovision Songcontest den ersten Platz zu überlassen, trifft die 24-Jährige völlig unvorbereitet. Erst allmählich glätten sich ihre Gesichtszüge. Kinn nach oben, sie weiß jetzt: Sie fährt zum Finale nach Wien. Als sie das Mikro in die Hand bekommt, fragt Ann Sophie: „Wollt ihr das überhaupt?“ Zaghafter Jubel aus dem Publikum.
Das alles ist jetzt mehr als zweieinhalb Monate her, mittlerweile wurde das Video von diesem Moment in Hannover auf Youtube mehr als eine Million Mal angeklickt – in der Geschichte des ESC ist so ein Vorgang einzigartig. Am Samstagabend wird Ann Sophie mit ihrem Song „Black Smoke“ beim größten europäischen Musikwettbewerb für Deutschland auf der Bühne stehen. Andreas Kümmert hat über die Website eurovision.de ausrichten lassen, dass er ihr alles Gute wünscht.
Die Erkältung ist überstanden
„Das hilft“, sagt Ann Sophie am Telefon. Zehn Minuten Zeit sind für das Gespräch eingetaktet, dann wartet schon der nächste Pressevertreter. Ann Sophies Aufenthalt in Wien ist streng durchgeplant: Auftritte, Interviews, Treffen mit Fans. Einen Termin musste sie wegen ihrer Erkältung absagen, am Mittwoch hatte sie eine rote Nase. Jetzt ist es wieder besser, sagt sie, ihr Auftritt beim Finale sei nicht gefährdet. Wie geht sie mit dem Druck um, der auf ihr lastet? „Ich lenke mich ab, lache viel, höre Musik, quatsche mit Leuten.“ Ohnehin mache die Zeit in Wien sehr viel Spaß, das Team, die anderen Teilnehmer, jeder Tag sei etwas Besonderes.
Was sie im Gespräch nicht so gern durchblicken lassen will: Sie ist enorm ehrgeizig. Natürlich ist der Aufenthalt in Wien für sie mehr als ein großer Spaß – es geht für sie darum, wenigstens einen der vorderen zehn Plätze zu belegen. Schließlich ist der Auftritt hier der vorläufige Höhepunkt ihrer musikalischen Karriere. Die 1990 in London geborene und in Hamburg aufgewachsene Sängerin probierte sich schon früh aus. Nach ihrem Schulabschluss geht sie nach New York, studiert tagsüber am renommierten Lee Strasberg Theatre & Film Institute und steht nachts in Clubs auf der Bühne. 2013 kehrt sie nach Hamburg zurück und tourt mit ihrem in Eigenregie eingespielten Demo-Album durch die Städte. „Ich habe mein Leben lang von einer Karriere als Sängerin geträumt. Teile dieses Traums sind schon in Erfüllung gegangen“, sagt sie. Jetzt beim ESC dabei zu sein – damit hätte sie nie gerechnet, das sei etwas ganz Besonderes.
"Sie will alles 150-prozentig machen"
Es scheint, als ob Ann Sophie in diesen Tagen in Wien immer das Richtige sagt. Sie wirkt souveräner und lockerer als noch in Hannover. „Ann Sophie hat viel an sich gearbeitet, ihre Performance noch einmal deutlich verbessert“, sagt auch Irving Wolther. Er hat seine Doktorarbeit über den Wettbewerb geschrieben und bringt bald ein neues Buch über den ESC heraus. Schon seit fast zwei Wochen ist er in Wien. Auch Ann Sophie hat er dort bei den Proben beobachtet. „Man hat das Gefühl, sie will alles 150-prozentig machen. In Hannover wirkte das noch sehr bemüht. Jetzt hat sie etwas Fahrt rausgenommen.“
Im Vergleich zu anderen Teilnehmern, die seit 20 oder 30 Jahren im Musikgeschäft sind, ist sie trotzdem unerfahren. Aber sie hat schnell verinnerlicht, wie das ESC-Geschäft funktioniert. Sehr verbindlich sei sie, sagt Wolther, lasse die Leute nicht zu nah an sich heran. Sie reagiere entspannt auf die sonderlichsten Journalistenanfragen. Wenn ihr das Fotografieren mit den Fans zu viel wird, setzt Ann Sophie Grenzen. „Irgendwann fängt sie an, Grimassen zu schneiden. Das funktioniert“, erzählt Wolther.
Eine Außenseiterin, könnte man sagen
Doch trotz ihrer Souveränität, ihrer Professionalität, glauben nur wenige, dass Ann Sophie Chancen auf einen der vorderen Plätze hat. Anfangs hatte sie bei den Buchmachern Werte, die jenseits von Platz 30 lagen. Mittlerweile ist sie in deren Gunst etwas gestiegen, in den Top 10 sieht man sie nicht. Eine Außenseiterin, könnte man sagen. Ann Sophie drückt es positiver aus: „Ich werde nicht als Favoritin gehandelt.“
Denn die Favoriten, das sind andere. Schweden, Australien, Slowenien oder Italien – diese Länder werden den Wettbewerb unter sich ausmachen, glaubt auch Wolther. Die Finalisten stehen seit dem zweiten Halbfinale am Donnerstagabend fest. Es qualifizierten sich – teils wenig überraschend – unter anderem Favorit Schweden sowie Norwegen und Slowenien für die Schlussrunde. Nach den Abstimmungen der Zuschauer sowie der nationalen Jurys werden dort auch Polen, Slowenien und Israel vertreten sein. Deutschland hatte seinen Platz im Finale bereits sicher. Auch wenn Ann Sophie wohl kein Wunder vollbringen und den Erfolg von Lena Meyer-Landrut kaum wiederholen kann – einen glamourösen Auftritt können die Deutschen von ihr erwarten. Auch ESC-Experte Wolther rechnet mit einem „perfekten Showact“.