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Berühmt und begehrt. Iris Schieferstein arbeitet an einem Paar Stiefel. Mit Schuhwerk in diesem Stil wurde sie international bekannt.
© Marion Schulz

Umstrittene Künstlerin in Brandenburg: Von Huf-Schuhen und Ratten-Hüten

Iris Schieferstein fertigt Mode und Kunst aus toten Tieren und hat damit Lady Gaga und Marina Abramovic begeistert. Aktivisten aber feinden sie an.

In dem Bottich liegt wie ein nasser Lappen ein Reh. Iris Schieferstein walgt es, sie schrubbt es, dann schüttelt sie es wieder in Form. Ein junges Tier, jemand aus dem Ort hat es ihr an die Türklinke gehängt. Die Künstlerin, die sich über jeden Kadaver so freut, wie ein Kind bei der Bescherung, hat es grob vom Fleisch befreit und in einer Lauge eingelegt, die die letzten Reste vom Fell ätzt und säuerlicher Gestank in der Nase zieht, sodass Iris Schieferstein ihren Kopf wegdrehen muss. "Hm, was mach ich nur mit dir. Na, wir werden schon eine Bestimmung für dich finden", sagt sie.

Ihr Atelier sieht aus wie ein Naturkundemuseum der besonderen Art

Die hat sich für alle Tiere gefunden, die in ihrem Atelier im brandenburgischen Leuenberg landen, einem Dorf nördlich-östlich von Berlin. Neben der Kirche ist Schieferstein die größte Sehenswürdigkeit im Ort. Ihr Atelier sieht aus wie ein Naturkundemuseum der besonderen Art. Eine Gans schwebt als Lampe über Schiefersteins Kopf, die Glühbirne ragt aus dem Schnabel. An der Wand lehnen ausgestopfte Wildtiere. Neben dem Seziertisch steht ein Paar Stiefel, in dem Stil, mit dem Schieferstein internationale Berühmtheit erlangt hat. Sie hat sie aus Pferdehufen gefertigt. Die Schuhe standen im renommierten Brooklyn Museum in New York. Pop-Diva Lady Gaga und die Künstlerin Marina Abramovic wollten ein ähnliches Paar haben. Letztere hatte mit Schuhgröße 41 zu große Füße für die Huf-Treter, und Lady Gagas Paar scheiterte am amerikanischen Zoll.

So sehr Schieferstein mit ihrer Arbeit die Kunstwelt begeistert, so sehr erzürnt sie andere damit. Tierschützer demonstrieren regelmäßig vor Schiefersteins Ausstellungen. Judith Stich, Sprecherin der Tierschutzorganisation Peta, erklärt: "Es ist ethisch nicht vertretbar, Leichen von Lebewesen derart entwürdigend zur Schau zur stellen. Iris Schieferstein missbraucht damit sowohl ihre tierischen Opfer, als auch die Kunst."

Die Künstlerin erhält Hass-Mails und Morddrohungen

Die Künstlerin erhält Hass-Mails, Drohbriefe, Morddrohungen. Weil sie sich schikaniert fühlt und sie den Umgang vieler Menschen mit der Natur heuchlerisch findet, hat sie dazu aufgerufen, alle Petitionen, die gegen sie laufen, zu unterschreiben. Zwei bis drei Unterschriftenaktionen pro Jahr setzen Tierschützer in ganz Europa gegen sie auf. "Um gegen die mörderische Kunst der Iris Schieferstein zu demonstrieren."

"Ich habe noch nie ein Tier ermordet"

Doch Schieferstein sagt: "Ich habe noch nie ein Tier ermordet – und ich habe den Eindruck, die Leute vergessen, was alles aus toten Tieren hergestellt wird." Sie redet über Massentierhaltung, über Hühner, die bei der Schlachtung an einem Laufband kopfüber hängen und denen die Klinge mitunter nicht den ganzen Kopf, sondern nur die Schädeldecke wegschneidet. Sie erzählt von Tierschützern, die mit Kleidung aus Plastik zu ihr kommen und die sie dann fragt, ob sie denn nicht wüssten, was mit diesem Plastik passiert. Wie Reststoffe davon in den Seen und den Meeren landeten und die Mägen der Tiere verstopften – und sie damit umbrächten. "Das kann man nicht endlos recyclen", sagt sie und richtet ihren Groll auf die Politik: "Das alles ist per Gesetz erlaubt, nicht aber, dass ich eine tote Wachtel vom Straßenrand sammle und sie künstlerisch inszeniere."

Sammeln darf sie gar nichts mehr, seit sie nach einer anonymen Anzeige von der Polizei observiert und ihre Kunst beschlagnahmt wurde. Bis zu sechs Jahre Haft stünden darauf, wenn sie ein totes Eichhörnchen von ihrem Grundstück sammeln und weiterverarbeiten würde, sagt sie.

Iris Schieferstein versteht die Gesetzgebung nicht

Schieferstein rollt mit den Augen. Wenn man jemanden totschlage oder vergewaltige, bekäme man unter Umständen auch nicht mehr. Ihre Kadaver kauft sie beim Metzger. Tote Schlangen bekommt sie vom Züchter. Und hin und wieder legt ihr jemand etwas vor die Haustür. Wenn Schieferstein von ihrem Leben erzählt, klingt alles danach, als hätte sie keine andere Wahl gehabt, als Skulpturen aus Kadavern zu formen. Sie wurde am 7. Juni 1966 in einem katholischen Krankenhaus in Hessen geboren. Ihre Mutter habe schon am Vortag in den Wehen gelegen. Die Schwestern hätten damals alles getan, um ihre Geburt zu verzögern. "Na ist doch klar: 06.06.66. Das waren denen ein paar Sechsen zu viel."

Heute füllen tote Tiere eine ganze Kühltruhe in ihrem Atelier

Die Zahl des Teufels konnten die Schwestern abwenden. Nicht aber, dass sich das Mädchen für tote Tiere interessierte. Ihr Großvater war Priester und so streunte sie schon als Kind auf Friedhöfen herum. "Da lagen viele Kadaver. Das fand ich toll, die habe ich gesammelt", sagt sie. Heute füllen tote Tiere eine ganze Kühltruhe in Schiefersteins Atelier: ein Wiesel, Schlangen, ein Hahn, der den Namen Hölderlin trägt. Als sie sich an ihr neuestes Kunstwerk macht – einen Hut aus Ratten – sagt die 49-Jährige, die zierlich wie eine Ballerina ist, einen dieser Sätze, der für sie alles zusammenfasst: "Die Individualisierung, die im Leben gewünscht ist, wird im Tod negiert."

Kürzlich hat sie versucht, eine Petition gegen sich selbst zu unterschreiben

Kürzlich hat sie versucht, eine Petition gegen sich selbst zu unterschreiben. Das hat nicht funktioniert. Bislang haben sich noch nie die nötigen Stimmen gefunden, um den Fall vor den Petitionsausschuss des Bundestages zu bringen. Schieferstein lässt kurz ab von der Ratte und sagt: "Ich möchte, dass sich die Politik mit dieser Debatte beschäftigt und mal begreift was für ein Unsinn das alles ist."

Marion Schulz

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