Entscheidung der Welthandelsorganisation: Tierschutz geht vor
Die Welthandelsorganisation weist Kanadas Klage gegen ein Importverbot für Robbenfelle zurück. Wirtschaftliche Interesse dürfen also nicht über dem Tierwohl stehen. Diese Entscheidung könnte große Wirkung entfalten.
Sonja van Tichelen ist immer noch ein bisschen erstaunt. Denn die Welthandelsorganisation (WTO) hat vor wenigen Tagen entschieden, dass das Wohlergehen von Tieren ein ausreichender Grund für ein Handelsverbot sein kann. Damit hat die Tierschutzexpertin vom Internationalen Tierschutzfonds (Ifaw) nicht gerechnet.
Die WTO teilt die Auffassung der EU, dass ein Handelsverbot mit Robbenfleisch, -fell und anderen Produkten aus der Jagd auf Sattelrobben in Kanada mit den internationalen Handelsregeln zu vereinbaren ist. Dabei beruft sich die WTO darauf, dass die EU-Bürger in Tierschutzfragen „empfindlich“ reagierten. Kanada, das gemeinsam mit Norwegen gegen die seit 2010 geltende EU-Regelung geklagt hatte, will Einspruch gegen den WTO-Schiedsspruch einlegen. Das gab die Regierung schon am Tag der Entscheidung per Pressemitteilung bekannt. Ende Januar muss Kanada seinen Einspruch schriftlich vorlegen.
Die Bilder der kanadischen Robbenjagd gehören zu den Ikonen der Umweltbewegung. Die ersten Aktionen von Greenpeace richteten sich gegen die Walfänger und die Robbenjagd. Vor allem in Europa empörten sich viele über die Jäger, die mit Knüppeln oder Spitzhacken neugeborene Sattelrobben-Babys töteten. Jahrelang haben Tierschutzorganisationen darum gekämpft, den Robbenjägern das Geschäft zu verderben. Mit Erfolg. Seit 2010 dürfen keine Robbenprodukte mehr in der EU gehandelt werden.
Allerdings mit zwei Ausnahmen: Robbenfell, das aus der Jagd der Ureinwohner in der Arktis, der Inuit, in Grönland stammt, darf auf dem europäischen Markt gehandelt werden. Und auch Produkte, die dadurch gewonnen werden, dass Robben aus „Artenschutzgründen“ getötet werden, um die Fischbestände zu schonen, sind vom Handelsverbot ausgenommen. Diese zwei Ausnahmen hält die WTO nicht für rechtmäßig und hat die EU zu Änderungen aufgefordert. Bis spätestens zum Sommer 2014 dürfte die endgültige Entscheidung der Widerspruchskammer der WTO vorliegen.
Im Juni hatte sich auch der Bundestag in Berlin zum wiederholten Mal mit dem Thema beschäftigt. In einem fraktionsübergreifenden Antrag der Unionsparteien, der FDP, der SPD und der Grünen forderten sie die EU-Kommission auf, am Importverbot für Robbenprodukte festzuhalten. Der CDU-Abgeordnete Dieter Stier sagte damals, dass das Importverbot die „massenhaften Abschlachtungen“ beträchtlich zurückgedrängt habe. Seinen Informationen zufolge sind 2009 noch 350 000 Robben getötet worden, inzwischen seien es nur noch rund 40 000 bis 70 000.
Kanada hat eine Jagdquote von 400 000 Robben im Jahr festgelegt und argumentiert damit, dass der Bestand der Sattelrobben bei rund sieben Millionen Tieren liege. Das seien etwa drei Mal so viele wie noch in den 1950er Jahren, argumentiert die kanadische Regierung. Der größte Markt war bis vor kurzem noch Russland. Doch Russland und die USA haben wie auch Mexiko ihre Märkte inzwischen ebenfalls für Robbenfelle aus Kanada geschlossen. Während die kanadische Regierung ihr Glück bei der WTO in Genf versuchte, haben kanadische Inuit vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die Handelsbeschränkungen geklagt. Im April 2013 sind sie beim Luxemburger Gericht jedoch gescheitert. Kanada steht immer wieder wegen der Jagd auf populäre Tiere in der Kritik. Auch für Eisbären gibt es in Kanada eine Jagdquote, die von Tier- und Umweltschützern aus aller Welt bekämpft wird wie die Robbenjagd.
Für Sonja van Tichelen von Ifaw ist der WTO-Schiedsspruch jedenfalls eine Sensation. Ihrer Einschätzung nach könnte er beachtliche Wirkung entfalten. Es sei die erste Entscheidung über ein Tierschutzthema bei der Handelsorganisation gewesen, sagt sie. Und es stehen auf europäischer Ebene weitere Entscheidungen an: So könnte die EU beispielsweise die Einfuhr von Angora-Wolle aus China verbieten, die dort mit tierquälerischen Methoden hergestellt wird. Besonders wirkungsvoll könnte die WTO-Entscheidung jedoch dann werden, wenn damit auch landwirtschaftliche Produkte reguliert werden könnten. Van Tichelen nennt als Beispiel Eier aus Hühnerbatterien, die in der EU inzwischen verboten sind. Viele Käfigbatterien sind aus EU-Ländern in umliegende Länder wie die Türkei oder die Ukraine verlagert worden – oft genug mit Hilfe von Krediten der Europäischen Entwicklungsbank. Ein Importverbot dieser Eier in die EU könnte aber nun WTO-konform sein.
Dagmar Dehmer
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