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Britischer Alleingang. Boris Johnson wollte lange in Großbritannien eine "Herdenimmunität" erreichen, bei der sich möglichst viele schnell anstecken. Undenkbar, dass die Queen Teil der Herde würde.
© Jack Hill/AFP

Flucht vor dem Coronavirus: Queen Elizabeth II. zieht es in vorgezogene Osterferien

Die Queen ist Expertin für „social distancing“. Wenn sie erstmals in ihrer Regentschaft Gartenpartys absagt, muss die Lage ernst sein.

Ein Virus kennt keine Standesgrenzen. Queen Elizabeth II. wurde, man muss es wohl so sagen, an diesem Donnerstag aus London vertrieben. Nach Schloss Windsor, wo sie schon den Zweiten Weltkrieg überstanden hat. Aus dem bislang verwegen bis fahrlässig entspannten London, wo die Ausbreitung des Coronavirus dem Rest des Landes schon um Wochen voraus sein soll.

Deutlicher als die lange erratischen Empfehlungen des Premiers Boris Johnsons an sein Volk wird dieser Schritt den Engländern signalisieren: Die Lage ist ernst. Denn die Queen, die in vier Wochen 94 Jahre alt wird, hat noch nie gekniffen. Hat in Friedenszeiten noch nie diese Eskalationsstufe zu ihrem persönlichen Schutz durch eine Gefahr von außen ergreifen müssen. Alle öffentlichen Termine sind abgesagt, darunter fünf Gartenpartys im Buckingham Palace im Mai. Gartenpartys abzusagen ist für die Queen, als würde man einem Chirurgen sein Operationsbesteck wegnehmen. Dafür hatte es in den über 70 Jahren ihrer Regentschaft nie einen Grund gegeben. Aber Gartenpartys werden in diesen Zeiten auch als Treffen von bis zu 8000 Menschen der Hochrisikogruppe bewertet.

Die Queen, die bei Terminen zuletzt zu ihrem Schutz farblich passende Handschuhe überstreifte – pandemisch so gut wie wirkungslos, wie wir jetzt wissen – interpretiert somit Queen Victorias berühmtes Konzept der „Splendid isolation“ auf zeitgenössische Weise neu.

Boris Johnson setzte auf "Herdenimmunität"

In einem ersten Versuch eines britischen Alleingangs nach dem vollzogenen Brexit am 31. Januar hatte Boris Johnson bis vor wenigen Tagen das wissenschaftlich waghalsige Konzept der „Herdenimmunität“ vertreten: Danach war das Ziel der Regierung nicht, wie überall sonst auf der Welt, dass sich möglichst wenige Bürger anstecken, um damit die Kurve der Neuinfektionen zu verflachen und das Gesundheitssystem zu schonen. Stattdessen sollten sich im Gegenteil möglichst viele Menschen schon sofort anstecken, dann immun werden und so verhindern, dass es eine noch größere Krankheitswelle im Herbst geben werde. Lediglich alte Menschen sollten vorsichtig sein. Der Rest der Welt hielt dieses Verfahren für fahrlässig, vor allem angesichts von nur 4000 Intensivbetten im ganzen Land. Man schätzt, dass so im Vereinigten Königreich, wo bislang sehr wenige getestet wurden, bereits 55 000 Menschen infiziert sein könnten. Mit strengeren Maßnahmen hofft man nun ganz unverblümt, am Ende insgesamt unter 20 000 Toten bleiben zu können. Gestern wurde beschlossen, alle Schulen auf unbestimmte Zeit zu schließen.

Die Queen Teil einer Herde? Niemals

Nichts ist den Briten in jeder Hinsicht wichtiger als zu vermeiden, dass die Queen Teil einer Herde würde. Schon gar nicht dieser Herde. Die Immunität der Queen ist anderer Natur. Das Virus, dieser ungeheure Gleichmacher, ist ein Virus der modernen Nomaden, es trennt nicht die Armen von den Reichen, sondern zunächst die Mobilen von den Sesshaften. Bis es schließlich auch die erreicht. Die britische Gesundheitsministerin ist infiziert, Tom Hanks, der Kommunikationschef des brasilianischen Präsidenten Bolsonaro. Der Reiseweltmeister Deutschland hat es sich aus seinem liebsten Urlaubsland persönlich abgeholt, von wo aus die Skigebiete das Virus in die Welt pusteten wie Schneekanonen ihr Weiß.

Prinz Harry, der Nahbare, war derjenige, der das traditionelle Händeschütteln im Protokoll um die herzliche königliche Umarmung erweitert hat. Sie galt zuletzt Prominenten wie dem Sänger Jon Bon Jovi, mit dem er in den berühmten Abbey Road Studios in London dessen Song „Unbroken“ neu einspielte. Und sie galt ausgewählten „normalen“ Menschen, denen er durch seine vielen Wohltätigkeitsengagements begegnete.

Nicht zuletzt deshalb fürchtet man jetzt, dass das Virus die königliche Familie bereits erreicht haben könnte. Denn Prinz Harry, Teil der Alterskohorte der unter 39-Jährigen, die als die am häufigsten Infizierten und fleißigsten Überträger gelten, hatte am 6. März im Auftrag der Queen den britischen Formel-1-Fahrer Lewis Hamilton umarmt.

Die Königliche Familie - Experten für "social distancing"

Der wiederum war zuvor mit dem Schauspieler Idris Elba (inzwischen positiv getestet) und der Frau von Kanadas Premier, Sophie Grégoire Trudeau (ebenfalls positiv getestet) zusammengekommen. Ihrer aller Leben sind dermaßen öffentlich, dass man auch mögliche Infektionsketten lückenlos mit Fotos dokumentieren kann. Lewis Hamilton veröffentlichte auf Twitter inzwischen ein Filmchen über die segensreiche Wirkung des Händewaschens. Ob Harry zum Abschied, bevor er kurz vor dem Einreiseverbot nach Kanada zu seiner Familie entschwebte, auch seine Oma umarmt hat, wissen nur Eingeweihte. Der britische „Guardian“ schreibt, Harry und Meghan in ihrem Exil „are taking measures“, leiten also Maßnahmen ein. Was immer die sein können auf Vancouver Island. Der Palast wollte nicht bestätigen, dass sie in Quarantäne sind. Für „Social Distancing“ dagegen gelten die beiden ehemaligen britischen Royals schon seit dem 8. Januar als weltweit anerkannte Experten. Da verkündeten Harry und Meghan, nicht mehr Vollzeit arbeitende Mitglieder der königlichen Familie sein zu wollen. Stattdessen wollten sie fortan lieber ein finanziell unabhängiges Leben in Kanada führen.

Die Queen kann ihren Aufenthalt in ihrem Lieblingsschloss diesmal in ungewohnter Ruhe genießen. Windsors Makel bestand bisher darin, dass es, in der Einflugschneise von Heathrow gelegen, dem Dauerdonnern der Globalisierung ausgesetzt war. Es ist davon auszugehen, dass während dieses verlängerten Osteraufenthalts Stille herrschen wird.

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