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Update

Ermittlungen in Newtown gehen weiter: Polizei: Adam Lanza hatte noch eine vierte Waffe dabei

Das Schulmassaker von Newtown hat die USA schwer erschüttert. Präsident Obama will sich noch am Sonntag mit den Angehörigen der Opfer treffen. Wenige Stunden vor seiner Ankunft gibt es noch einmal große Aufregung wegen eines angeblichen Drohanrufs.

Gebete, Trauer, Entsetzen - und viele offene Fragen: Die Hintergründe des Schulmassakers mit 27 Toten in den USA liegen auch Tage nach dem Blutbad noch im Dunkeln. Die Polizei räumte am Sonntag ein, dass sie die Motive des 20-jährigen Amokläufers noch nicht kennt. Die Ermittlungen der Behörden gehen nur schleppend voran. „Es gibt noch viele Zeugen, die befragt werden müssen“, sagte Polizeioffizier Paul Vance am Sonntag. Zugleich sprach er von einer vierten Schusswaffe. Der Attentäter habe nicht nur ein Sturmgewehr und zwei Pistolen gehabt. Im Auto sei auch noch ein Schrotgewehr gefunden worden. Genaue Angaben zum konkreten Tathergang könne er noch nicht machen. Ausdrücklich fügte Vance hinzu: „Wir werden nicht sagen, bis wann wir die Ermittlungen abgeschlossen haben.“ Eindringlich warnte er vor Falschinformationen in sozialen Netzwerken. „Wer in unserem Namen Informationen verbreitet, macht sich strafbar. Wir werden das verfolgen.“ Erstmals bestätigte die Polizei von Connecticut die Identität des Attentäters, Adam Lanza. Der Name des Täters war schon einige Stunden nach dem Amoklauf am Freitag bekannt geworden.

Zusätzliche Aufregung verursachte am Sonntag die Räumung einer vollbesetzten Kirche in Newtown wenige Stunde vor der Ankunft von Präsident Barack Obama. Obama wollte am Abend bei einer Trauerfeier in Newtown sprechen und (01.00 Uhr MEZ) Eltern der erschossenen Grundschüler treffen. Die Polizei betätigte einen Drohanruf. Ein Sondereinsatzkommando rückte mit einem Spezialfahrzeug an. Nach etwa einer halben Stunde verließen die Spezialisten die Kirche wieder. Das Gelände, rund einen Kilometer vom Tatort entfernt, blieb von der Polizei abgesperrt. In der Kirche sind in dieser Woche Trauerfeiern für mehrere Opfer geplant.

Quer durch die USA wehen an diesem Sonntag die Flaggen auf Halbmast: Auf dem Weißen Haus, ebenso am Capitol und den anderen Regierungsgebäuden in der Hauptstadt. Amerika betrauert seine Toten. Die Medien bemühen sich erkennbar darum, nicht den Täter in den Mittelpunkt zu stellen, sondern den Opfern ein Gesicht zu geben und die Erinnerung an ihre Leben wachzuhalten. Die „New York Times“ und andere Blätter druckten auf der Titelseite einen schwarzen Kasten mit den Namen und den Altersangaben der Erschossenen in kursiver weißer Schrift. Die „Washington Post“ schilderte auf einer Seite die Lebenswege von sechs Opfern, darunter den des sechsjährigen Noah Pozner. „Ein warmherziger Irrwisch“ sei er gewesen, der sich für technische Details interessierte, zum Beispiel, welche Höchsttemperatur ein Toaster erreichen könne. Seine Zwillingsschwester Arielle überlebte, weil die Schulleitung sie in eine andere Klasse eingeteilt hatte.

Der Schock und das Entsetzen sind noch einmal gewachsen, seit der Obduktionsbericht bekannt geworden ist. Alle 20 Kinder waren Erstklässler und erst sechs oder sieben Jahre alt. Der Täter hat ihre kleinen Körper mit Kugeln durchsiebt. Viele Millionen Eltern fühlen mit den Väter und Müttern dieser Kinder. Auch sie bekommen in Zeitungen und auf Fernsehsendern ein Gesicht. Robbie Parker, der Vater der sechsjährigen Emilie, erzählte auf einer Pressekonferenz unter Tränen, wie gerne seine blonde Tochter gemalt habe.

Präsident Barack Obama hatte in seiner Ansprache am Nachmittag des Massakers den Ton gesetzt. „Es gibt in Amerika nicht einen Vater oder eine Mutter, die nicht die gleiche überwältigende Trauer fühlen, wie ich es tue. Die Mehrzahl derer, die heute gestorben sind, waren Kinder – wunderschöne kleine Kinder. Sie hatten ihr ganzes Leben noch vor sich – Geburtstage, Schulabschlüsse, Hochzeiten, ihre eigenen Kinder.“

Am Sonntag Nachmittag flog der Präsident nach Newtown, Connecticut, um sich mit Familien der Opfer zu treffen sowie mit Polizisten, Feuerwehrleuten und Rettungskräften, die erste Hilfe geleistet hatten. Um 19 Uhr Ortszeit wollte Obama bei einer Trauerfeier eine Ansprache halten. In Washington wurde erwartet, dass auch er die Opfer in den Mittelpunkt stellen werde und die langsam aufkeimende Debatte, ob die Waffengesetze in den USA verschärft werden sollen, nur am Rande ansprechen werde, wenn überhaupt. So hatte er das auch bei den Trauerfeiern für die Opfer des Kinomassakers im Juli 2012 in Aurora, Colorado, sowie für die Toten der Schießerei bei einer Wählerversammlung der Abgeordneten Gabby Giffords in Tucson, Arizona, im Januar 2011 gehalten.

Erste Politiker fordern Verschärfung der Waffengesetze

Amerika habe eine Trauerroutine entwickelt, schreiben Kommentatoren. Obama müsse zum vierten Mal in seiner Amtszeit eine Kommune nach einem Schusswaffenmassaker wieder aufrichten und den Bürgern Mut zusprechen, erinnert die „Los Angeles Times“. In solchen Situationen erwarten die USA keine politische Rede von ihrem Präsidenten. Er schlüpft in die Rolle eines Pastors, der Trost spenden und verwundete Seelen heilen soll. Er darf dabei durchaus auch religiöses Pathos anwenden.

Viele Amerikaner würden es als unpassend und pietätlos empfinden, wenn der Präsident eine solche Gelegenheit dazu nutze, Gesetzesänderungen vorzuschlagen oder nachzufragen, ob die Hilfsprogramme des Staats und der Krankenkasse für psychisch Kranke verbessert werden müssten, um solche Tragödien zu verhindern. Die Zeit für die politische Auseinandersetzung kommt aus Sicht vieler Bürger erst, wenn die Toten begraben sind.

Manche Politiker machen erste Vorstöße, darunter Dan Malloy, der Gouverneur des Staats Connecticut, in dem die betroffene Schule liegt. In der CNN-Sendung „State of the Union“ forderte er eine Wiederbelebung des „Assault Weapons Ban“ auf nationaler Ebene. Dieses Gesetz verbot den Verkauf von Schnellfeuergewehren an Privatpersonen. Es war 1994 unter Bill Clinton vom Kongress beschlossen worden. Die Gegner, vor allem in der Republikanischen Partei, erreichten aber, dass es nur für eine Frist von zehn Jahren galt und dann verlängert werden musste. 2004 ließ Präsident Bush seine Gültigkeit jedoch auslaufen.

Einzelne Staaten haben für ihr Gebiet dieses Verbot eingeführt, darunter auch Connecticut, wie Gouverneur Malloy betonte. Es sei aber sehr schwer, das durchzusetzen, wenn Privatpersonen diese Waffen in anderen US-Staaten legal erwerben dürfen. „Ich glaube, dass vielen Leuten diese Frage durch den Kopf geht und wir sie beantworten müssen: Wo ziehen wir die Grenzen?“

Am Samstag war durch den Obduktionsbericht bekannt geworden, dass der Schütze alle Opfer mit einem automatischen Gewehr vom Typ „223 Bushmaster“ erschossen hatte. Es war auf seine Mutter zugelassen. Zuvor hatte es geheißen, er habe mit zwei Pistolen der Marken Glock und Sig Sauer getötet und das Gewehr im Auto zurück gelassen.

Der parteilose Bürgermeister von New York, Michael Bloomberg, hatte bereits am Freitag eine Verschärfung der Waffengesetze als Konsequenz aus der wachsenden Zahl von solchen Massakern verlangt. Er ist seit Jahren ein vehementer Verfechter der Waffenkontrolle. Mehrere demokratische Politiker sprachen sich in weit vorsichtigeren Worten lediglich für eine offene Debatte über das Waffenrecht aus, darunter Senator Richard Blumenthal von Connecticut und die Abgeordnete Carolyn McCarthy aus New York. Mark Kelly, der Ehemann der Abgeordneten Gabby Giffords, die im Januar 2011 von einem psychisch gestörten Täter in den Kopf geschossen worden war und schwer verletzt überlebte, sagte: „Diese Debatte darf nicht länger warten.“

Kommentatoren bewerten die Aussichten auf eine substanzielle Veränderung des Waffenrechts als gering, jedenfalls auf nationaler Ebene. Präsident Obama müsse zwar nicht mehr so viel Rücksicht auf die Waffenliebe vieler Bürger und die mächtige Waffenlobby nehmen wie nach dem Kinomassaker in Colorado, als er noch im Wahlkampf war. Aber die Republikaner haben die Mehrheit im Abgeordnetenhaus und sind gegen Gesetzesänderungen, schreibt die „New York Times“. Obama habe zudem drängendere Probleme zu lösen wie Budget und Schulden. (mit dpa)

Christoph von Marschall

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