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Sichtlich bewegt äußerte sich der US-Präsident zu dem Amoklauf an einer Grundschule.
© Reuters

Schulmassaker in den USA: Obama kann den Waffenwahn beenden

Nach dem Amoklauf von Newtown ist die Versuchung groß, die Tat nicht als Verbrechen zu begreifen, sondern als Katastrophe. Zu tief sind die Abgründe, in die man blickt. Und klarer denn je zeigt sich: Amerika hat ein Waffenproblem. Die zweite Amtszeit gibt Barack Obama die Chance, daran zu arbeiten.

So ist es immer. Rasch sind die TV-Kameras da, richten sich auf Augenzeugen, und die schildern mit von Tränen erstickter Stimme, was sie wann gesehen und gehört haben, einer nach dem anderen, pausenlos, auf allen Kanälen. Soll man sie dafür schelten? Nein. Doch eine Wirklichkeit erzeugt das nicht. Eher steigern diese Informationen das Gefühl der Unfassbarkeit. Wer nach Gründen sucht, blickt in Abgründe. Wer verstehen will, wird vor den Kopf geschlagen. Das Wort kapituliert vor einer solchen Tat.

Sandy Hook. Dieser Name wird sich nun einreihen in die Liste der Schultragödien. Columbine, Virginia High Tech, Erfurt, Winnenden. Diesmal traf es die Kinder einer Grundschule. Und der Täter? Ist auch tot. Kann nichts mehr sagen. Man wird sein Leben rekonstruieren und nach Hinweisen suchen. Nichts belastet stärker als das Unverstandene. Alle Wirkung braucht eine Ursache, jedes Ereignis eine Kausalität. Eltern geschieden, scheu, Einzelgänger, unauffällig, Computervideospieler. Bei Anders Behring Breivik, dem Massenmörder von Utoya, war es ähnlich. Doch der hatte wenigstens eine Ideologie, die das Verbrechen erklären half, einen irgendwie nachvollziehbaren Wahn. Das Blutbad in Newtown entzieht sich selbst der wahnhaften Logik.

Deshalb ist die Versuchung groß, es nicht als Verbrechen zu begreifen, sondern als Katastrophe. Ein Unglück wie ein Schicksalsschlag, vergleichbar mit den Verwüstungen durch gewaltige Naturphänomene, begleitet von traurigen Machtlosigkeitsempfindungen. Was soll man da schon machen? Amerikas Waffengesetze verschärfen? Es gab doch auch Erfurt und Winnenden – wer will, der kann, so scheint es. Und wie man soeben in Bonn gesehen hat, lassen sich Anleitungen zum Bau von Terrorbomben im Internet herunterladen. In Japan zerstachen einst in der Tokioter U-Bahn Mitglieder einer Sekte mit geschärften Regenschirmspitzen Plastiktüten mit Sarin. Können Gesetze mit solcher Art diabolischer Phantasie mithalten? Der Versuchung, darob in fatale Lethargie zu verfallen, steht jene des symbolischen Aktionismus gegenüber. Schulen zu Hochsicherheitstrakten ausbauen, mehr Psychologen, Videospielverbote. Gibt es auch etwas dazwischen? Ja.

Man könnte es die illusionslose Kleinarbeit nennen. Natürlich hat Amerika ein Waffenproblem. Laut zweitem Zusatzartikel der Verfassung hat das Volk ein Recht darauf, Waffen zu besitzen und zu tragen. Das macht es potenziellen Attentätern viel zu leicht. Die Verfassung wird sich so schnell zwar nicht ändern lassen, aber schon unter Bill Clinton war etwa der Verkauf von halbautomatischen Sturmgewehren verboten. Das Gesetz lief im Jahre 2004 aus. Barack Obama könnte es erneuern. Wenn er will.

In seiner zweiten Amtszeit ist Obama freier denn je. Er muss sich nicht um seine Wiederwahl kümmern, braucht weitaus weniger Rücksichten zu nehmen als zuletzt im Wahlkampf. Also könnte der Präsident jetzt durchaus die Waffendebatte reaktivieren. Nicht mit dem Groß-Versprechen, ein nächstes Sandy Hook zu verhindern. Das wäre naiv. Sondern getrieben von der banalen Gewissheit, dass immer mehr und immer tödlichere Waffen die amerikanische Gesellschaft keineswegs sicherer machen. Wer braucht schon 100-Schuss-Munitionsmagazine? Keiner. Ein Narr, wer dem widersprechen wollte. Eine Narretei, die Hände weiter in den Schoß zu legen.

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