Wut und Trauer: Mexiko will Studenten-Massaker zu den Akten legen
Vier Monate nach dem Mord an Dutzenden Studenten in Mexiko erklären die Ermittler den Fall für aufgeklärt. Eine unheilige Allianz aus Politikern, Polizisten und Verbrechern soll verantwortlich sein. Die Eltern hoffen noch immer auf eine Rückkehr ihrer Kinder.
Vier Monate nach der Entführung Dutzender Studenten in Mexiko haben die Behörden die jungen Leute für tot erklärt. „Die Beweise erlauben uns festzustellen, dass die Studenten entführt, getötet und verbrannt wurden“, sagte Generalstaatsanwalt Jesús Murillo Karam am Dienstag. „Das ist die Wahrheit. Daran gibt es keinen Zweifel.“ Damit schließen die Ermittler die Untersuchung des Verbrechens praktisch ab.
„Es war eine umfassende, profunde und ernsthafte Ermittlung, mit vielen Elementen“, sagte Murillo Karam in einer über einstündigen Pressekonferenz, in der er zahlreiche Zeugenaussagen und gerichtsmedizinische Ermittlungsergebnisse vorlegte. Er werde die Verdächtigen wegen Mordes anklagen.
Am 26. September hatten Polizisten in der Stadt Iguala im Bundesstaat Guerrero 43 Studenten des linken Lehrerseminars Ayotzinapa entführt und sie der kriminellen Organisation „Guerreros Unidos“ übergeben. Mehrere Bandenmitglieder räumten den Mord an den jungen Leuten ein. Ihre Leichen übergossen sie demnach auf einer Müllkippe mit Diesel und steckten sie in Brand.
Offenbar wollte der Bürgermeister von Iguala verhindern, dass die Studenten eine Rede seiner Frau störten. Das Paar soll enge Kontakte zum organisierten Verbrechen unterhalten haben. Die „Guerreros Unidos“ wiederum gingen wohl davon aus, unter den Studenten seien Anhänger der verfeindeten Bande „Los Rojos“.
Entführung löste Massenproteste aus
Die Tat rückte die engen Verbindungen zwischen Politikern, Sicherheitskräften und Verbrechern in Mexiko erneut in den Fokus. Bislang wurden 99 Verdächtige festgenommen, darunter das Bürgermeisterehepaar von Iguala, Polizisten und mutmaßliche Bandenmitglieder. Der Fall löste in Mexiko Massenproteste aus.
Die Familien der Opfer zweifeln die bisherigen Ermittlungsergebnisse an. „Die Regierung will den Fall aus politischen Gründen schnell schließen, egal welchen Schmerz sie uns damit bereitet“, sagte der Sprecher der Angehörigen, Felipe de la Cruz.
Der Anwalt der Angehörigen, Vidulfo Rosales, erklärte, es gebe noch immer zahlreiche Ungereimtheiten. Er kündigte eine Anzeige gegen die mexikanische Regierung vor dem UN-Komitee gegen das Verschwindenlassen an. „Der Fall ist nicht ungewöhnlich, sondern typisch für Mexiko“, sagte er.
Präsident Enrique Peña Nieto rief die Mexikaner am Dienstag auf, nach vorne zu schauen. „Es ist klar, dass die Regierung bei der Suche und den Ermittlungen beispiellose Anstrengungen unternommen hat“, sagte der Staatschef. „Ich bin aber auch überzeugt, dass wir nicht in diesem Moment des Schmerzes verharren dürfen.“ Bislang wurde erst eines der Opfer zweifelsfrei identifiziert. Im Gerichtsmedizinischen Institut in Innsbruck versuchen Wissenschaftler derzeit, die Identität der weiteren Toten zu ermitteln. Die Knochenreste sind allerdings stark verkohlt, was eine Bestimmung mittels Gentest schwierig macht.
Die Bevölkerung reagiert empört und mit viel Wut
Epifanio Álvarez ringt mit den Tränen. „Die Regierung tritt unsere Würde mit Füßen“, sagt der Bauer. „Mit diesem Schmerz können wir nicht nach Hause zurückkehren.“ Der Familienvater hat gerade erfahren, dass die mexikanische Generalstaatsanwaltschaft seinen Sohn und 42 seiner Kommilitonen für tot erklärt hat. Álvarez will das nicht hinnehmen. Er und die anderen Eltern glauben, dass ihre Kinder noch am Leben sind. Verschleppt von Polizisten und Soldaten, eingekerkert im Keller irgendeiner Kaserne.
Für die Ermittlungsbehörden ist der Fall seit Dienstag weitgehend abgeschlossen. „Die Studenten wurden entführt, getötet und verbrannt“, sagt Generalstaatsanwalt Jesús Murillo Karam. „Daran gibt es keinen Zweifel.“ Bei einer über einstündigen Pressekonferenz legt er Geständnisse, Zeugenaussagen und gerichtsmedizinische Untersuchungsberichte vor, die seine These untermauern sollen. Ende September hatten Polizisten in der Stadt Iguala im Bundesstaat Guerrero auf Anweisung des Bürgermeisters die 43 Studenten des linken Lehrerseminars Ayotzinapa entführt und sie der kriminellen Organisation „Guerreros Unidos“ übergeben. Mehrere Bandenmitglieder räumten den Mord an den jungen Leuten ein. Ihre Leichen übergossen sie demnach auf einer Müllkippe im nahen Cocula mit Diesel und steckten sie in Brand.
Der Präsident will den Fall zu den Akten legen
Der Fall rückte einmal mehr die engen Kontakte zwischen Politikern, Sicherheitskräften und Verbrechern in den Fokus und löste Massenproteste in Mexiko aus. Lange erkannte Präsident Enrique Peña Nieto die Brisanz des Falls nicht und schwieg. Als er sich dann endlich äußerte, vergriff er sich immer wieder im Ton. „Wir müssen diesen schmerzlichen Moment überwinden und voranschreiten“, sagte der Staatschef im Dezember. Am Dienstag fordert er: „Wir dürfen nicht in diesem Moment des Schmerzes verharren.“ Für die Angehörigen der Opfer ist das ein Schlag ins Gesicht.
„Dieser korrupte Haufen sollte sich was schämen“, sagt die Mutter eines Studenten, Carmen Cruz, in einem Menschenrechtszentrum in Mexiko-Stadt. „Sie haben sich schon daran gewöhnt, mit allem davonzukommen, aber diesmal nicht.“ Auch Clemente Rodríguez kann seine Wut und Enttäuschung nicht länger zurückhalten. „Peña Nieto - bring mir meinen Sohn zurück“, ruft er in den Saal. Die Angehörigen der Studenten haben längst das Vertrauen in die Regierung verloren. Es sind arme Indio-Bauern aus den Bergen von Guerrero, das Studium in Ayotzinapa sollte ihren Söhnen eine bessere Zukunft bescheren. Der Umgang der Behörden mit dem Fall ist für sie nur ein weiterer Beweis, dass die Mächtigen des Landes sie nicht ernst nehmen. „Unsere Kinder sind doch keine Tiere, sie sind Menschen wie wir alle“, sagt Familienvater Álvarez.
Der Anwalt der Angehörigen, Vidulfo Rosales, glaubt, die Regierung wolle den unangenehmen Fall rechtzeitig vor den Regionalwahlen im Sommer zu den Akten legen. „Es gibt noch immer keinen wissenschaftlichen Beweis, dass die Kameraden in Cocula getötet wurden“, sagt er. Tatsächlich ist erst ein Opfer zweifelsfrei identifiziert. Allerdings sind die Knochenreste der Übrigen so stark verkohlt, dass Gentests kaum möglich sind. Derzeit bemühen sich Wissenschaftler der Gerichtsmedizin in Innsbruck mit modernster Technik um die Identifizierung weiterer Opfer. Letzte Gewissheit wird es wohl nie geben. Die Familien der Studenten klammern sich weiter an die Hoffnung, dass ihre Söhne möglicherweise doch noch am Leben sind. „Wir weinen, nicht weil sie tot sind, sondern weil wir sie vermissen“, sagt Cristina Bautista. „Wir vermissen ihre Stimmen, ihre Umarmungen.“ (dpa)
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