Berliner Muttertags-Protokolle: "Mein Mann ist Lehrer. Der macht alles"
Brotbox befüllen, zur Kita hetzen, Kreditausfallrisiko berechnen, beten, für neun Personen kochen, Mandanten beraten - Mütter schildern ihren Alltag
DIE ZWEI-STUNDEN-MUTTER
Andrea Reichert-Clauß, 43, Partnerin in einer Wirtschaftskanzlei. Sie hat vier Kinder im Alter von 16, 13 und 10 Jahren und vier Wochen.
"Wir Wirtschaftsanwälte geben uns selbst den Nimbus, immer verfügbar zu sein. Ich berate unter anderem Private-Equity-Firmen bei Unternehmenskäufen. Meine Mandanten erwarten schnelle Rückmeldungen. Aber es ist egal, ob ich vom Büro oder von Zuhause aus telefoniere. Während einer Transaktion ufert meine Arbeitszeit aus, und meine Kinder wissen: Die ist nicht da. Sie sagen dann: ,Du bist ja nie da.'
In normalen Zeiten stehe ich um zwanzig nach sechs auf. Mein Mann und ich bereiten arbeitsteilig das Frühstück vor: Ich bestücke die Brotbüchsen der Kinder, er kümmert sich um den Obstteller, und so weiter. Um sieben ist Familienfrühstück. Oft geht mein Mann vorher, und ich sitze alleine mit den Kindern am Tisch. Er ist Lehrer.
In meiner Karriere habe ich mich häufig auf das Klischee berufen: „Mein Mann ist Lehrer. Der macht alles.“ Wer sich in meiner Branche als Mutter um einen Job bewirbt, macht die Erfahrung, dass man nicht unbedingt nach seinem Promotionsthema gefragt wird. Sondern: „Und wie soll das gehen mit Ihren Kindern?“ In diesen Fällen habe ich den Beruf meines Mannes ins Spiel gebracht. Hat immer wunderbar geklappt. Dabei ist mein Mann in Hochzeiten, etwa bei Abi-Prüfungen, ebenfalls rund um die Uhr beschäftigt. Auch an normalen Nachmittagen sitzt er viel am Schreibtisch. Doch es hilft, dass er zuhause ist.
In der Regel habe ich einmal die Woche einen Abendtermin und einmal gehe ich zum Sport. Auch sonst ist es für mich ambitioniert, um sieben zum Essen zuhause zu sein. Ich schaffe es zwei-, dreimal in der Woche. Im Job muss ich die Grenzen ziehen. Die zieht keiner für mich.
Nach dem Abendessen lege ich mich nicht aufs Sofa und schlafe, sondern ich bereite oft bis um zehn den nächsten Tag der Kinder vor. Um Zeit mit meinem Mann zu haben, müssen wir uns gezielt verabreden: oft freitagsabends, um etwas zusammen zu machen. Die Wochenenden gehören der Familie.
Wir sind mittlerweile ein etablierter Familienbetrieb. Deshalb sehe ich es gelassen, dass jetzt noch ein Baby dazugekommen ist. Zwei Monate will ich nichts hören von meinen Beruf. Diese geistige Auszeit tut mir sicher gut. Ab Juni fange ich langsam wieder an. Ab September übernimmt mein Mann und macht ein Jahr lang Elternzeit. Einen Tag die Woche will er weiter in die Schule gehen, seine Lieblingskurse unterrichten."
Das sagt der Mann:
Christian Clauß, 46, Geschichts- und Englischlehrer
"Es ist schon ein Privileg, dass unsere Berufe uns die Möglichkeit bieten, unser Familienmodell frei zu wählen. Doch so einfach ist es für mich nicht, weil ich auch im Job weiterkommen wollte: beispielsweise in die Fachbereichsleitung gehen. Doch dann käme die Familie definitiv zu kurz. Zwischen Studium und Berufseinstieg habe ich einmal zwei Jahre für die Kinder pausiert. Im Rückblick eine schöne Sache, auch wenn ich damals nicht hundertprozentig davon überzeugt war. Nicht, weil ich mich auf dem Spielplatz gelangweilt hätte. Dem Umgang mit Kindern kann ich viel abgewinnen. Doch ich hatte im Hinterkopf, dass die schnell größer werden und ich nicht mehr wichtig für sie bin, und dann ist da ein Loch. Meine Frau und ich haben beide einen großen Drang zu arbeiten. Jetzt stehe ich wieder an dem Punkt, ein Jahr auszusetzen. Schon eine gewaltige Zeit."
Die Neun-Stunden-Mutter: "Hausarbeit ist nicht mein Traum"
DIE NEUN-STUNDEN-MUTTER
"Vor fünf Jahren habe ich meinen Beruf aufgegeben. Mein Mann und ich haben uns dafür entschieden, weil wir die warme und gemütliche Zeit nicht missen wollen, die wir als Familie auch in der Woche miteinander haben, weil ich den Haushalt vormittags erledigen kann.
Hausarbeit ist nicht mein Traum, ganz und gar nicht. Doch sie muss gemacht werden, und ich freue mich, wenn sie gemacht ist. Die fünf Stunden, die meine Töchter in der Kita sind, bin ich gut mit Einkaufen, Haushalt oder dem Reparieren von Kindersachen beschäftigt. Dauernd ist was kaputt. Wenn mehr Geld da wäre, könnte ich sagen: „Ok, die Hose kommt weg.“ Jetzt kommt eben ein Flicken drauf.
Um 14 Uhr holte ich meine Töchter von der Kita ab. An den Nachmittagen spüre ich einen großen Unterschied zu der Zeit, als mein Sohn klein war. Ich bekam ihn mit 26. Mein damaliger Partner war sehr krank und ist später gestorben. Ich musste arbeiten. Das ging auch gut, klar. Ich machte ein Referendariat als Lehrerin. Wenn ich nach Hause kam, hing ich gedanklich oft noch in der Schule fest. Jetzt habe ich eine ganz andere Aufmerksamkeit für meine Kinder.
An meinem Großen habe ich auch gesehen, wie schnell Kinder flügge werden. Die Zeit, in der sie die Nähe zu ihren Eltern suchen, ist rasch vorbei. Mein Sohn ist sehr selbstständig und unternimmt oft etwas mit seinen Freunden. Viel von der Zeit, die ich mich ihm habe, geht dafür drauf, dass ich versuche, seine Internet- und Smartphone-Zeiten zu reglementieren. Ein doofer Kampf.
Um 17 Uhr kommt dann mein Mann heim, müde, aber er freut sich so sehr auf die Kinder, dass er sich dadurch ein Stück weit aktivieren kann. Wir tummeln uns oft erstmal in unserem Wohnzimmer, und mein Mann und ich trinken einen Café. Auch auf eine Partnerschaft wirkt es sich positiv aus, wenn beide nicht zugeballert sind mit Arbeit. Das Abendritual mit den Kleinen übernimmt mein Mann.
Natürlich fand ich es erstmal total komisch, dass da jemand ist, der für mich und meinen Junior, den ich in die Beziehung mitgebracht habe, das Geld verdient. Das muss man erstmal annehmen können. Doch mein Mann zeigt mir, wie sehr er wertschätzt, was ich tue. Bei Fremden finde ich mich mitunter in einer Rechtfertigungsposition wieder. Auch ich habe in der Schule und im Studium gelernt: Ein Job hat etwas mit deiner Persönlichkeit zu tun. Man verwirklicht sich darin, und man verwirklicht sich nicht, wenn man nur mit seinen Kindern Zuhause ist. Doch mit der Lebenserfahrung, die ich gewonnen habe, stellte ich fest, dass das so verkürzt nicht stimmt. Ich habe beispielsweise den Vater meines Sohnes während seiner Krankheit und eine gute Freundin im Sterben begleitet. Da verschieben sich die Prioritäten. Vieles, was man im Leben lernen kann, hat nichts mit dem Beruf zu tun.
Ich fühle mich auch nicht abhängig von meinem Mann. Ich kann ja jederzeit wieder anfangen zu arbeiten: Ich bin ausgebildete Kinderkrankenschwester, Lehrerin und habe auch ein Jahr lang im Bootsbau gearbeitet. In meinem Leben gingen bisher immer wieder Fenster auf."
Das sagt der Mann:
Steffen, 47, Polizeibeamter
"So, wie wir leben, macht es uns beiden großen Spaß. Meine Frau bekommt es ausgesprochen gut hin, ohne die zusätzliche Anerkennung, die ein Beruf liefert, auszukommen. Sie gibt sich ihren Sinn selbst. Das ist nicht jedermanns Sache. Für mich ist es außerdem von Vorteil, dass sie mir bei der anspruchsvollen Arbeit, die ich habe, den Rücken freihält."
Die Sechs-Stunden-Mutter: "Mein Leben mit sieben Kindern ist überhaupt nicht anstrengend"
DIE SECHS-STUNDEN-MUTTER
"Sieben Kinder zu haben, das klingt für viele sehr anstrengend. Aber Besucher sind immer erstaunt, wenn sie mich zu Hause besuchen. Denn dafür, dass dort so viele Kinder leben, ist es bei uns immer sehr still.
Mein Tag fängt um fünf Uhr mit dem Morgengebet Fajr an. Nachdem ich gebetet habe, mache ich mir einen Kaffee und sitze ganz in Ruhe, ganz für mich. Um sechs Uhr wecke ich meinen Mann und mache ihm Frühstück. Dann essen wir zusammen. Um halb sieben wachen dann langsam meine jüngeren Kinder auf, die älteren schlafen länger. Ich habe sieben Kinder, sechs Söhne und eine neunjährige Tochter. Um meinen siebenjährigen Sohn muss ich mich morgens noch viel kümmern. Er will beim Aufwachen mit mir kuscheln. Meine anderen Kinder sind schon alt genug, um sich alleine fertig zu machen.
Wenn die Kinder frühstücken, ist mein Mann schon auf dem Weg zur Arbeit. Er hat einen Bau- und Malerbetrieb. Ich erledige dann ein paar Dinge im Haushalt. Um halb acht geht dann mein Kleinster in die Schule. Danach mache ich mich auch fertig und gehe zur Arbeit im Bezirksamt Neukölln. Dort arbeite ich ab acht Uhr bei den Stadtteilmüttern, sechs Stunden, jeden Tag. Nach der Schule gehen meine jüngeren Söhne in den Kinderladen, mein Tochter geht in den Mädchentreff MaDonna. Dort machen sie auch ihre Hausaufgaben. Beides liegt direkt in unserer Nachbarschaft.
Mein Nachmittag beginnt wieder mit einem Gebet. Dann wird es immer ein bisschen stressig, denn dann kommen meine Kinder nach Hause. Ich koche etwas und um vier Uhr essen wir alle gemeinsam zu Mittag. Danach kontrolliere ich, ob alle ihre Hausaufgaben gemacht haben. Zwischen sechs und sieben kommt mein Mann nach Hause.Meistens ganz kaputt von der Arbeit. Trotzdem unterstützt er mich sehr und nimmt sich nach Feierabend viel Zeit für unsere Kinder.
Der Abend ist bei uns Familienzeit. Dann sitzen wir alle zusammen und reden. Um sieben gibt es ein kleines Abendbrot und um acht geht mein Kleinster auch schon ins Bett. Meine größeren Kinder, vor allem mein ältester Sohn treffen abends oft noch Freunde, aber spätestens um halb zehn sind alle wieder zu Hause. Ich schaue dann noch etwas fern, bevor ich selbst ins Bett gehe. Auch wenn viele sich darüber wundern: Ich finde mein Leben mit meinen Kindern überhaupt nicht anstrengend."
Die Fünf-Stunden-Mutter: "Ich bin nicht so die Mutter, die gern Obst klein schneidet"
DIE FÜNF-STUNDEN-MUTTER
"Seitdem ich Mitte Zwanzig war, wollte ich Kinder. Mit diesem Wunsch stieß ich bei manchen meiner Freundinnen auf Unverständnis, was nicht an den feministischen Kreisen lag, in denen ich mich bewege. Die hatten einfach andere Lebensvorstellungen: Manche leben mehr so polyamourös, manche wollen keine Kinder, andere glauben, dass Kinder idealerweise nicht nur unter Blutsverwandten aufwachsen sollten. Ich finde, dass man Familienmodelle nicht gegeneinander ausspielen sollte. Die Verräterinnen-Debatte, bei der in den 80ern gegen Hausfrauen Front gemacht wurde, halte ich für anmaßend: Jede sollte selbst entscheiden, wie sie Leben will. Frauen sollten allerdings wissen, auf welches Risiko sie sich einlassen, wenn sie ihren Beruf aufgeben.
Meine Lebensvorstellung ist die Kernfamilie. Dass fast zehn Jahre vergingen, bis ich meinen Sohn bekommen habe, lag daran, dass ich ihn mit einem Partner bekommen wollte, der sich Elternschaft so ähnlich vorstellt wie ich, und solche Männer wachsen nicht auf Bäumen.
Mein Freund und ich teilen uns Haushalt und Kinderbetreuung genau zur Hälfte. Wir führen unsere Terminkalender digital, damit wir gegenseitig reinschauen können. Zunächst habe ich auch darin notiert, wer wann das Kind hat und wer wann ausgeht. Wahrscheinlich lag es an einem gewissen Unbehagen mit der neuen Situation, dass ich mich mit Hilfe der Notizen vergewissern wollte, dass es auch gerecht zugeht.
Wer morgens zuerst aus dem Bett kommt, macht das Frühstück. Meistens ist das mein Freund. Bei der Nachmittagsbetreuung wechseln wir uns ab. Ich bin nicht so die Mutter, die gerne Obst klein schneidet und auf Spielplätze mitnimmt. Aber ich hab’s gemacht. Natürlich bin ich froh, dass mein Sohn es gerade viel spannender findet, den Apfel am Stück zu essen. Um halb sieben gibt es Abendessen. Der, der am Nachmittag noch arbeiten darf, spielt anschließend mit dem Kind: Ritter und Eisenbahn mag mein Sohn besonders. Klassisches Jungsspielzeug, was ich aber für unproblematisch halte. Unsere Verabredung für die Abende ist: Zweimal in der Woche darf ich ausgehen, zweimal mein Freund, und drei Abende verbringen wir zusammen. Für mich ist alles super, wirklich."
Das sagt der Mann:
Tobias Scholz, 39, Soziologe
"Ein Vorteil unseres Modells ist, dass ich mich vom Druck entlastet fühle, der auf der männlichen Ernährerrolle lastet – so subtil der Druck auch sein mag. Die Nachteile liegen allein in der Außenwahrnehmung. Die vielen ironischen Kommentare nerven, die kommen, wenn man sich dazu bekennt, gleich viel für Kind und Haushalt zu tun wie die Freundin. Dann heißt es, man stehe unter der Fuchtel oder sei ein Träumer. Dabei ist unser Modell pragmatisch, nichts sonst."
Die Sieben-Stunden-Mutter: "Wenn ich abends ausgehe, bin ich oft so müde"
DIE SIEBEN-STUNDEN-MUTTER
"Als mein Mann die Zusage aus Göteborg bekam, war ich nicht gerade begeistert. In eine deutsche Stadt wäre ich ja mitgegangen. Doch zur Gynäkologie gehört viel Feinfühligkeit. Sprache ist für mich wichtig. Uns blieb nichts anders übrig, als eine Fernbeziehung zwischen zwei Ländern zu führen.
Seit vier Jahren machen wir das jetzt. An den meisten Tagen habe ich zwischen 8 Uhr 30 und 14 Uhr Sprechstunde, und im Viertelstundentakt kommen Menschen, denen man gerecht werden muss. Ich habe auch den Anspruch, Ideen zu entwickeln, wie man eine Krankheit behandeln kann und nicht nur das Standardprogramm abzuspulen. Zurück zuhause bin ich oft so erschöpft, dass ich für eine halbe Stunde schlafe. Die große Kraftprobe ist zurzeit, dass meine ältere Tochter im Herbst auf ein grundständiges Gymnasium gekommen ist. Die haben dort viele Hausaufgaben. Ich muss gucken, dass sie die erledigt, und zwischendurch auch mal runterkommt. Um halb acht machen sich meine Töchter bettfertig. Dann lese ich ihnen noch eine halbe Stunde vor. Anschließend blättere ich durch die Zeitung und mache auf dem Computer noch ein paar Überweisungen für die Praxis. Das war’s.
Wir als Paar kommen bei der Fernbeziehung eigentlich nicht zu kurz. Wir sehen uns ja am Wochenende und am Montag. Aber die sozialen Kontakte leiden. Höchstens einmal pro Woche treffe ich mich mit Freunden. Die Kinder haben wenig Lust auf Babysitter, aber das ist nicht der Grund. Ich bin so müde, wenn ich zu Verabredungen gehe, dass es fast keinen Sinn macht, überhaupt dazusitzen. Es kann passieren, dass alles bis zur Rente meines Mannes so weitergeht. Immerhin werden die Kinder selbstständiger. Dann kann ich wieder einen Tag in der Woche mehr arbeiten."
Das sagt der Mann:
Michael Oevermann, 48, Professor für Maschinenbau
"Ein schlechtes Gewissen habe ich nicht. Das würde ja keinem helfen. Klar, in Schweden kann ich Sachen machen, die ich in Berlin so nicht machen könnte. Im Sommer fahre ich zum Beispiel abends regelmäßig Motorrad. Doch ich habe den Eindruck, dass ich unter der Trennung von der Familie sogar mehr leide als meine Frau. Wenn ich in Göteborg bin, habe ich oft das Gefühl: Was soll ich hier? Ich werde dort wohl nie Wurzeln schlagen. Zurzeit denke ich auch manchmal darüber nach, dass es passieren könnte, dass ich den engen Kontakt zu meinen Kindern verliere. Sie werden älter, man kann mit ihnen schon ganz anders reden. Ich frage mich, ob sie, wenn sie in die Pubertät kommen, noch das Vertrauensverhältnis zu mir haben, um mich als normalen Ansprechpartner wahrzunehmen. Da hat doch was gelitten unter der vielen Reiserei. Immerhin habe ich als Professor viele Freiheiten. Ich bin jeden Montag in Berlin, wo ich die Kinder übernehme. So wird das Ganze erträglich."