Hurrikan „Ida“ bringt Verwüstung: Mehr als 40 Tote durch Unwetter in New York und Umgebung
Durch Ausläufer des Hurrikans „Ida“ fiel in New York mehr Regen als normalerweise in einem Monat. Straßen wurden zu Flüssen, Fahrzeuge schwammen umher.
Am Morgen nach dem Sturm kann man an der Südspitze Manhattans ins Zweifeln kommen, ob das vielleicht alles nur ein schlimmer Albtraum war. Die Straßen sind fast trocken, nur ein paar Schäfchenwolken ziehen über den blauen Himmel, die Hochhausfassaden glitzern um die Wette.
Und auch die U-Bahn fährt teilweise wieder und bringt die Pendler zu ihren Büros, wenn auch mit großer Verspätung. In der Nacht hatte die Stadt den U-Bahn-Verkehr komplett eingestellt. Die Überschwemmungen hatten auch den Flugverkehr in New York lahmgelegt und zwischenzeitlich für Stromausfälle in mehr als einer Million Haushalten geführt.
Bürgermeister Bill de Blasio und auch die neue Gouverneurin des Bundesstaates, Kathy Hochul, hatten den Notstand ausgerufen und alle New Yorker aufgefordert, zu Hause zu bleiben und die Straßen freizuhalten, um die Rettungskräfte nicht bei ihrer Arbeit zu behindern.
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„Alle Nicht-Notfallfahrzeuge müssen sich außerhalb der Straßen und Autobahnen von NYC befinden“, twitterte die Stadt. Die heftigsten Regenfälle seit Beginn der Aufzeichnungen legten die Millionenmetropole über Stunden lahm.
Obwohl die Wetterdienste davor gewarnt hatten, was die nach Norden gezogenen Ausläufer des Hurrikans „Ida“ am Mittwoch in der Ostküstenregion zwischen den Bundesstaaten Maryland und Connecticut anrichten konnten, war das Ausmaß der Sturmfolgen doch überraschend groß.
In den New Yorker Stadtteilen Brooklyn und Queens, die am stärksten von den gigantischen Regenmengen betroffen waren, wurden Straßen wie der Queens Boulevard zu Flüssen, in denen Autos und Busse unkontrolliert durch die Gegend schwammen.
U-Bahnhöfe liefen voll, auf Videos von Augenzeugen war zu sehen, wie sich Springfluten beispielsweise in die Stationen 28th Street & 7 Avenue und Franklin Avenue & Fulton Street ergossen. In Zehntausenden Haushalten fiel der Strom aus, Keller wurden überflutet.
Mindestens 44 Menschen starben bei den Sturmfluten in New York und Umgebung. Allein aus dem Bundesstaat New Jersey meldeten die Behörden 23 Tote, in New York City starben mindestens 13 Menschen.
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Bei den meisten der 23 Todesopfer in New Jersey handele es sich um Menschen, die in ihren Fahrzeugen von den Wassermassen überrascht worden seien, sagte Gouverneur Phil Murphy. Elf der 13 Todesopfer in der Stadt New York starben nach Angaben der Polizei bei Überschwemmungen von Kellergeschossen. Die Opfer waren demnach zwischen zwei und 86 Jahre alt. Drei Todesopfer wurden aus dem New Yorker Vorort Westchester gemeldet.
Im benachbarten Bundesstaat Connecticut starb ein Polizeibeamter. Im Bezirk Montgomery in der Nähe von Philadelphia im Bundesstaat Pennsylvania gab es nach Angaben eines örtlichen Behördenvertreters vier Todesopfer.
Als die ersten Alarmmeldungen am Mittwoch gegen 21 Uhr auf den Handys der New Yorker aufblinkten, um erstmals in der Geschichte der Stadt vor „lebensgefährlichen“ Springfluten zu warnen, sah alles noch nach einem schweren, aber nicht ungewöhnlichen Unwetter aus.
Der Regen hatte am frühen Abend eingesetzt und war dann nach und nach stärker geworden, die Windböen nahmen an Kraft zu, sodass es nicht lange dauerte, bis sich die Straßen Manhattans leerten.
In kurzer Zeit fiel mehr Regen als normalerweise in einem Monat. Innerhalb von nur einer Stunde gingen etwa im Central Park in Manhattan rund 80 Millimeter Regen nieder, wie der Nationale Wetterdienst mitteilte. De Blasio sprach von einem „historischen Wetterereignis“.
Rettungskräfte versuchten, in Booten zu Menschen vorzudringen, die auf Autodächern oder in den oberen Stockwerken ihrer Häuser ausharrten. Hunderte mussten aus liegen gebliebenen Zügen und U-Bahnen gerettet werden.
Dass die Lage vor allem in bestimmten Stadtgebieten von Queens so dramatisch ist, wo mehrere Menschen in ihren Kellerapartments ertranken, liegt der „New York Times“ zufolge daran, dass dort in den vergangenen Jahren viele Keller illegal zu Wohnraum umgewandelt wurden.
Experten warnten aber auch, dass New York nicht auf die Herausforderungen durch den Klimawandel vorbereitet sei, der solche Extremwetterlagen wahrscheinlicher macht. Die Stadt sei nicht in der Lage, solche Wassermassen aufzunehmen. Mark Levine, ein Mitglied des Stadtrats, twitterte: „Wir sind mehr als nur nicht auf den Klimawandel vorbereitet.“
Auch die gerade gestarteten US Open waren von dem Unwetter betroffen. Das Zweitrundenspiel der deutschen Tennisspielerin Angelique Kerber musste verschoben werden, da es trotz eines Dachs von der Seite stark in das Louis-Armstrong-Stadion hineinregnete.
In New Jersey zerstörte ein Tornado zudem mehrere Häuser. Auf Videos waren abgedeckte Dächer, zerstörte Fassaden und herumfliegende Trümmerteile zu sehen. Auch in Pennsylvania und Maryland wurden solche für diese Region ungewöhnlichen und gefährlichen Wirbelstürme gesichtet.
In der Hauptstadtregion rund um Washington DC kam es ebenfalls zu Überschwemmungen. In Louisiana, wo „Ida“ am Sonntag als Hurrikan der zweithöchsten Stufe 4 auf Land getroffen war, sind immer noch mehr als eine Million Menschen ohne Strom.
US-Präsident Joe Biden reist am Freitag in den besonders schwer getroffenen Bundesstaat. Der Präsident werde sich dabei einen Überblick über die Sturmschäden verschaffen und Vertreter des Bundesstaats und betroffener Gemeinden treffen, teilte das Weiße Haus mit.
Auch US-Präsident Biden sieht in den verheerenden Stürmen, Unwettern und Waldbränden in den USA Belege für die Klimakrise. Die Infrastruktur des Landes müsse der Bedrohungslage angepasst werden. „Wir müssen handeln“, sagte Biden. „Meine Botschaft an alle Betroffenen lautet: Wir stehen das zusammen durch. Die Nation ist hier, um zu helfen.“
Die Zerstörungen durch „Ida“ dürften nach Schätzung von Experten einen zweistelligen Milliardenbetrag erreichen. Der auf Risikoanalysen spezialisierte Versicherungsdienstleister CoreLogic schätzt die gesamten Schäden durch Wind, Sturmflut und Überschwemmungen an Gebäuden auf 27 bis 40 Milliarden Dollar Mehr als 90 Prozent der Schäden entstanden demnach in Louisiana.