Kuba bekämpft das Virus mit Nähe: Man hält sich daran, was der Arzt sagt
Auf Kuba ziehen Ärzte von Haus zu Haus, um Infektionen vorzubeugen. Mit strikten Maßnahmen bringt das sozialistische Land die Pandemie unter Kontrolle.
Lateinamerika ist laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) das neue Zentrum der Covid-19-Pandemie. Allein in Brasilien gibt es inzwischen fast 50.000 Tote. Auch Peru, Mexiko und Chile werden hart getroffen. Völlig anders sieht die Lage auf Kuba aus. Mit strikten Maßnahmen konnte das sozialistische Land die Pandemie offenbar unter Kontrolle bringen.
Seit einigen Wochen steigt die offizielle Zahl der Todesopfer nicht wesentlich an, sie liegt jetzt bei 85. Wie hat Kuba, das unter dem Wirtschaftsboykott der Trump-Regierung leidet und zu den ärmeren Ländern der Region gehört, das geschafft?
„Unsere Aufgabe ist es, die Infektionsketten nachzuverfolgen“, erklärt die Familienärztin Solanghe Cruz per Telefon. Cruz, die eine Praxis in Havannas Altstadt hat, zieht täglich von Haus zu Haus, um nach Verdachtsfällen zu fragen. So machen es auf Kuba derzeit Tausende Ärzte und Medizinstudenten. Man warte nicht darauf, bis ein neuer Fall auftauche, sondern suche ihn. Es sei die Prävention, die den Unterschied ergebe, ist Cruz überzeugt.
Das öffentliche Leben auf Kuba steht bereits seit März still. Flughäfen und Schulen sind geschlossen, der öffentliche Transport wurde extrem ausgedünnt. Es gilt: Quédate en casa – bleib’ zu Hause! Gerade erst hat das Regime die Maßnahmen bis Ende Juni verlängert, dann soll eine Öffnung in zwei Phasen erfolgen. Der wichtige Tourismus dürfte ab 1. Juli wieder anlaufen. Kubas Vorsicht steht im Kontrast zu anderen Ländern der Region, in denen trotz steigender Infektionskurven das öffentliche Leben aus wirtschaftlichen Gründen wieder hochgefahren wird, etwa in Brasilien.
Mediziner aus Kuba helfen weltweit
Nach Kuba eingeschleppt wurde Covid-19 Anfang März von einer Reisegruppe aus der Lombardei. Nur kurz darauf entsandte Kuba eine 52-köpfige Medizinerbrigade in ebendiese italienische Provinz. Als sie vor wenigen Tagen auf die Insel zurückkehrte, wurde sie wie ein erfolgreiches Sportteam in Havanna empfangen. Insgesamt hat Kuba während der Pandemie fast 1500 Ärzte in 23 Länder entsandt, die meisten davon in Lateinamerika und der Karibik. Die Mediziner gelten schon länger als Kubas erfolgreichstes Exportprodukt – was aber auch Kritik hervorruft, weil das Geschäftsmodell darauf beruht, dass der Staat den Großteil ihres Gehalts einbehält. Die jährlichen Einnahmen belaufen sich auf bis zu acht Milliarden US-Dollar – mehr als doppelt so viel, wie der Tourismus einbringt. Immer wieder setzen sich die Ärzte auch ins Ausland ab, um der wirtschaftlichen Misere ihrer sozialistischen Heimat zu entkommen.
Inzwischen hat Kuba mit seinen elf Millionen Einwohnern fast 2300 Covid-19-Fälle. Die meisten davon in Havanna, weswegen die Behörden einzelne Stadtteile zu Quarantänezonen erklärt haben. Deren Bewohner werden von Studenten mit Lebensmittelpaketen versorgt.
Die Regierung setzt auch deswegen auf Prävention, weil teure Beatmungsgeräte rar sind. Die Wirtschaftsblockade der USA und die Reformunwilligkeit von Kubas Führung haben das Land zu Einsparungen im medizinischen Sektor gezwungen, der wegen seiner vergleichsweise hohen Qualität und Universalität eigentlich der große Stolz der Revolution ist. Daher wird auch mit alternativen Heilmethoden experimentiert, etwa der Verabreichung von homöopathischen Präparaten und selbst entwickelten Immuntherapien.
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Entscheidend bleibt jedoch die Vorbeugung. Laut der britischen Mediziner-Plattform Endcoronavirus.org gehört Kuba zu einer Gruppe von 32 Ländern mit den größten Erfolgen bei der Bekämpfung des Virus. Die Wahrscheinlichkeit, sich auf Kuba mit Covid-19 anzustecken sei 24 mal geringer als in der benachbarten Dominikanischen Republik und 70 Mal geringer als in Brasilien. „Es gibt kein Land in der Hemisphäre, das vergleichbares leistet“, sagte William LeoGrande, Professor für Regierungslehre an der Universität Washington, dem „Guardian“. Der Aufbau des kubanischen Gesundheitssystems beruhe auf dem engen Kontakt mit der Bevölkerung. Probleme könnten so schnell erkannt werden.
Erfolgreiche Vorbeugung
Auch Gail Reed, Chefredakteurin der Fachzeitschrift „Medicc Review“, führt Kubas Erfolg auf eine Vorbeugungsstrategie zurück. So würden asymptomatische Fälle per Kontaktverfolgung isoliert, gefolgt von einem Antikörpertest und, falls positiv, einem weiteren Labortest. Die Isolierung erfolgt dann nicht zu Hause, sondern in staatlichen Einrichtungen, was laut einer Studie des Medizinjournals „The Lancet“ effektiver ist. Bei der Abwägung zwischen individueller Freiheit und dem Schutz der allgemeinen Gesundheit hat im sozialistischen Kuba, kaum verwunderlich, Letzteres Vorrang. So wurden schon in den Anfangstagen der Epidemie Schutzmasken zur Pflicht; bei Verstößen gegen die Vorschrift drohen hohe Geldbußen bis hin zu einer Gefängnisstrafe. Auf den Straßen kontrollieren Polizisten die Einhaltung der nächtlichen Ausgangssperren, die in einigen Provinzen gelten.
Großes Vertrauen in Ärzte
Allerdings scheinen sich die meisten auf Kuba an die Regeln zu halten. Über viele Jahre wurden sie mit strengen Zivilschutzmaßnahmen, etwa bei Tropenstürmen, vertraut gemacht. Auch Corona-Skeptiker und Impfgegner sind unbekannt. Es mag daran liegen, dass die Ausbrüche von Denguefieber und Cholera die Menschen in den letzten Jahren sensibilisiert haben.
Und obwohl auf Kuba nun die unterschiedlichsten Heilmethoden praktiziert werden, greift im Zweifelsfall immer das Vertrauen ins paternalistische Gesundheitssystem: Was der Arzt sagt, daran hält man sich.
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