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Gräber für Opfer von Covid-19-Infektionen in Brasilia.
© Imago/Agencia EFE/Jodson Alves

136.000 Neuinfektionen an einem Tag: Coronavirus weltweit - schlimmer als je zuvor

Während sich die Lage in Europa entspannt, steigt die Zahl der Infektionen weltweit rapide. Ein Überblick über die aktuellen Epizentren der Pandemie.

Deutschland entspannt sich: Berliner Kinder können bald wieder im Regelbetrieb in Kitas und Schulen, Thüringen hebt die Kontaktbeschränkungen ganz auf. Bundesweit gibt es täglich nur noch rund 300 Neuinfektionen am Tag, viele Landkreise sind sogar seit Tagen ohne Neuinfektionen.

Am 16. Juni werden die Grenzen wieder offen sein, die Sommerferien stehen vor der Tür und die Mittelmeerländer freuen sich auf die ersten Urlauber aus Deutschland. Klingt, als sei die Corona-Pandemie schon so gut wie überstanden.

Doch das Gegenteil ist der Fall. In Europa verbessert sich die Lage zwar von Tag zu Tag, doch weltweit ist sie so dramatisch wie zu keinem anderen Zeitpunkt seit Beginn dieser Pandemie.

Die erschreckende Meldung der Weltgesundheitsgesundheitsorganisation (WHO) vom Wochenende: Innerhalb von 24 Stunden seien weltweit mehr als 136.000 neue Corona-Fälle gemeldet worden - so viele wie nie zuvor an einem Tag. An neun der vorangegangenen zehn Tage seien es immer mehr als 100.000 Fälle gewesen.

Insgesamt haben sich weltweit bisher bestätigt mehr als sieben Millionen Menschen infiziert, über 400.000 sind an dem Virus gestorben - und der Höhepunkt scheint noch lange nicht erreicht zu sein.

„Jetzt ist nicht der Zeitpunkt, den Fuß vom Pedal zu nehmen“

Der Schwerpunkt der Pandemie hat sich inzwischen nach Südamerika verlagert, aber auch in Zentral- und Südasien sowie Afrika nimmt die Zahl der nachgewiesenen Infektionen rapide zu. Darunter sind also Länder, die ein deutlich schlechteres Gesundheitssystem als Deutschland und andere europäische Länder vorweisen können und zudem mit Hunger und wirtschaftlichen Nöten kämpfen.

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Der größte Teil der Weltbevölkerung laufe weiterhin Gefahr, sich mit dem Coronavirus zu infizieren, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus am Montag. „Jetzt ist nicht der Zeitpunkt, den Fuß vom Pedal zu nehmen“, warnte er. Die größte Gefahr in Ländern mit fallenden Zahlen seien Selbstzufriedenheit oder Nachlässigkeit bei den Vorsichtsmaßnahmen.

Auch die Panamerikanische Gesundheitsorganisation (Paho) zeigt sich besorgt. Die Verbreitung des Virus scheine sich „weiter zu beschleunigen“. Paho-Chefin Carissa Etienne rief die südamerikanischen Länder jüngst auf, im Kampf gegen Corona nicht nachzulassen. Für die meisten Staaten sei jetzt „nicht die Zeit, die Beschränkungen zu lockern oder Präventivmaßnahmen zu reduzieren“.

Ein Überblick über die derzeit besonders betroffenen Länder:

BRASILIEN: Südamerika hat sich zu einem Hotspot der Pandemie entwickelt. In Brasilien tötet das Virus gerade etwa einen Menschen pro Minute. Das hat die Zeitung „Folha de S. Paulo“ ausgerechnet und ihre Internetseite am vergangenen Donnerstag schwarz hinterlegt.

Tatsächlich ist das Land gerade besonders vom Virus betroffen: Am Mittwoch meldete das brasilianische Gesundheitsministerium einen Anstieg um 1272 Todesfälle binnen 24 Stunden. Mit 32.091 Neuinfektionen meldet das Land außerdem fast doppelt so viele Neuinfektionen wie die USA mit 17.598 Fällen.

Mit mehr als 700.00 bestätigten Fällen insgesamt verzeichnet das Land weltweit die zweithöchste Ansteckungsrate nach den Vereinigten Staaten und die dritthöchste Zahl an Todesopfern. Experten vermuten, dass die Zahl der Infektionen allerdings deutlich höher ist, da es in Brasilien relativ geringe Ressourcen für Tests gibt.

Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro hatte die von Lungenkrankheit in der Vergangenheit als „kleine Grippe“ bezeichnet. Die von brasilianischen Bundesstaaten verhängten Corona-Beschränkungen lehnt er ab, da sie die Wirtschaft drosseln. Bei Treffen mit Anhängern hat Bolsonaro selbst wiederholt die Abstandsregeln missachtet. Außerdem hat er jüngst mit einem Austritt aus der Weltgesundheitsorganisation gedroht. „Wir brauchen niemanden, der uns aus dem Ausland in unsere Gesundheitspolitik reinredet“, so Bolsonaro.

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Brasiliens Corona-Management stößt bei Experten im In- und Ausland auf scharfe Kritik. Obwohl sich die Zahlen rasant beschleunigen, werden die Einschränkungen in vielen Regionen des Landes in diesen Tagen gelockert. Am Samstag ordnete Rio de Janeiro per Dekret an, dass Bars, Restaurants und Einkaufszentren teilweise wieder öffnen dürfen. Auch einige sportliche Aktivitäten sind wieder erlaubt. Viele Menschen strömten nach den Lockerungen wieder an die Strände.

Jair Bolsonaro, Präsident von Brasilien.
Jair Bolsonaro, Präsident von Brasilien.
© Marcos Corrêa/Palacio Planalto/dpa

MEXIKO: In Mexiko sind inzwischen mehr als 124.000 Infektionen mit dem Coronavirus registriert worden. Das Land ist nach Zahlen der Johns-Hopkins-Universität in den USA das 14. der Welt, das diese Marke überschritten hat - das vierte in Lateinamerika. Inzwischen hat das Land mit der zweithöchsten Bevölkerungszahl - 130 Millionen Einwohner - in Lateinamerika auch die zweithöchste Zahl der Todesopfer in der Corona-Pandemie nach Brasilien erreicht.

In einigen Gegenden Mexikos waren zuletzt dennoch Anti-Corona-Maßnahmen gelockert worden. Seit Montag dürfen Unternehmen mancher Industrien, die zuvor als nicht essenziell eingestuft worden waren, den Betrieb wiederaufnehmen.

Präsident Andrés Manuel López Obrador, der diese Woche erstmals wieder das Land bereist, spricht von einer „neuen Normalität“. Weiter sagte er: „Dies ist ein sehr besonderer Tag.“ Er hält den Prozess der Normalisierung für die Reaktivierung der Wirtschaft für notwendig.

PERU: Auch in Peru breitet sich das Coronavirus stark aus. Wie das Gesundheitsministerium in Lima mitteilte, überschritt die Zahl der registrierten Infektionsfälle inzwischen die Schwelle von 200.000. Binnen 24 Stunden wurden demnach 4040 neue Ansteckungen verzeichnet.

Die Krankenhäuser in der Hauptstadt Lima sind völlig überlastet. Die benötigten Sauerstoffflaschen werden knapp, weil die Menschen versuchen, sie für ihre Angehörigen zu kaufen. „Wir haben noch keinen Sauerstoff gefunden“, sagte eine Frau in der Hauptstadt Lima. „Ich mache mir mehr als alles andere Sorgen um meine Mutter, denn sie wird viel Sauerstoff brauchen, und das Krankenhaus hat nicht genug davon.“

In dem Land gelten seit bereits zwölf Wochen rigorose Ausgangsbeschränkungen. Allerdings werden die peruanischen Strände nun wieder vorsichtig für Sonnenbadende, Schwimmer und Surfer geöffnet.

In Peru stehen Menschen stehen Schlange, um ihre leeren Sauerstoffflaschen wieder aufzufüllen.
In Peru stehen Menschen stehen Schlange, um ihre leeren Sauerstoffflaschen wieder aufzufüllen.
© Martin Mejia/AP/dpa

INDIEN: Die Regierung der indischen Millionenmetropole Delhi hat vor einem sprunghaften Anstieg der Coronavirus-Infektionen und einer Überforderung des Gesundheitssystems gewarnt. Die gegenwärtig fast 29.000 Fälle dürften bis Ende Juli auf 550.000 steigen, sagte Vize-Chefminister Manish Sisodia am Dienstag. Bis dahin würden 80.000 Betten benötigt, vorhanden seien jedoch nur knapp 9000. Der Anstieg der Fallzahlen könne für Delhi „ein großes Problem“ werden. Dort leben mehr als 20 Millionen Menschen.

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Delhi ist neben Mumbai einer beiden Metropolen in Indien, in denen die Seuche im Moment besonders schnell um sich greift. Das Land mit 1,3 Milliarden Menschen hatte zwar im März Beschränkungen erlassen, um einer Ausbreitung entgegenzuwirken. Allerdings steigt nun die Fallzahl mit dem Hochfahren der Wirtschaft an. Bislang sind in Indien mehr als 276.000 Infektionen gemeldet, der fünfthöchste Wert weltweit.

Dennoch gibt es in Indien einige Lockerungen: Restaurants und Gotteshäuser sind wieder offen. In Shoppingzentren einkaufen und in Büros arbeiten ist wieder möglich.

Das Innenministerium gab jedoch Einschränkungen bekannt: In Gotteshäusern dürfe es etwa keine Chöre oder Segnungen mit heiligem Wasser geben, in Moscheen müssten Gläubige ihre eigenen Gebetsteppiche mitnehmen. Außerdem müssten in Büros die Arbeitszeiten gestaffelt werden. An allen öffentlichen Orten sollten Maskenpflicht und Abstandsregeln gelten.

SÜDAFRIKA: „Das Virus verbreitet sich wie ein Feuer am Kap“, schreibt die südafrikanische Wochenzeitung „Mail & Guardian“. Am Mittwoch verzeichnete Südafrika mehr als 52.000 Infizierte. Von ihnen lebten zwei Drittel in der Region um Kapstadt. Damit ist Südafrikas älteste Stadt gleichzeitig das Corona-Zentrum des Kontinents, etwa jeder sechste Fall in Afrika entfällt auf die Provinz Westkap.

Die Aussichten? „Noch mehr Menschen werden in den kommenden Monaten krank, noch mehr Intensivpflege benötigen, noch mehr sterben“, so der südafrikanische Journalist Marcus Low vom Gesundheitsmagazin „Spotlight“.

Warum ausgerechnet Kapstadt zum Corona-Hotspot wurde, darüber diskutieren Ärzte und Politiker. Einige sehen den relativen Wohlstand der Region als Grund: Touristen und reisende Südafrikaner hätten das Virus aus Europa importiert. Andere vermuten, dass Gesundheitsbehörden hier einfach mehr Tests durchführen als im Rest des Schwellenstaats. Dass das Westkap für mehr als 800 der insgesamt 1.100 Toten verantwortlich ist, liege an Vorerkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck oder HIV.

„Wir befinden uns in einem Krieg“

Der Höhepunkt der Corona-Welle wird für Juli erwartet. „Wir befinden uns im Krieg und müssen die Personal-Herausforderungen in den Griff kriegen“, sagte Staatschef Ramaphosa bei seinem Besuch vergangene Woche in Kapstadt. 4.000 zusätzliche Ärzte und Pfleger sollen im Westkap eingestellt, Hunderte weitere Betten herangeschafft werden.

Ramaphosa spricht von einer „besorgniserregenden, aber nicht alarmierenden“ Entwicklung. Die Regierung sei in der Lage, „die Auswirkungen der Krankheit auf unsere Bevölkerung zu begrenzen“, versicherte der Staatschef. (mit dpa/AFP/epd/Reuters)

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