Cannabis zu Forschungszwecken: Lizenz zum Kiffen
Israel ist ein Vorreiter im Bereich der Entwicklung von medizinischem Cannabis. Kein Zufall also, dass die weltweite Cannabis-Konferenz „CannaTech“ hier stattfindet.
Was war von einer Cannabis-Konferenz auch anderes zu erwarten: Der markante Geruch von Marihuana zog immer mal wieder von draußen durch den Konferenzsaal. Doch wer sich bei der zweiten „CannaTech“ Konferenz einen Joint drehte, hatte mit großer Sicherheit auch die Lizenz zum Rauchen. Schließlich ging es bei „CannaTech“ um medizinisches Cannabis. Das ist in Israel legal. Und was Forschung, Innovation und Investment in diesem Bereich angeht, spielt Israel ganz oben mit.
Kein Wunder also, dass sich die rund 450 Experten, Gründer, Investoren, Forscher und Patienten aus mehr als 15 Ländern in dieser Woche ausgerechnet in Tel Aviv und Jerusalem trafen: Schließlich war Israel eines der ersten Länder, das bereits in den 60er Jahren die Wirkstoffe der Pflanze erforschte. Heute ist es die Heimat zahlreicher Unternehmen, die medizinisches Cannabis entwickeln und vermarkten. Und: von rund 25.000 Patienten, die ihre chronischen Schmerzen – legal – damit lindern.
Einer von ihnen ist Ben Lavie. „Cannabis hat mein Leben gerettet“, sagt der 27-Jährige heute. Er leidet unter der chronischen Darmerkrankung Morbus Crohn, magerte auf 39 Kilo ab – bei einer Körpergröße von 1,86 Metern. Herkömmliche Medikamente halfen nichts, eine Operation war in seinem Fall nicht möglich.Vor vier Jahren erhielt er dann eine Genehmigung des israelischen Gesundheitsministeriums, um Cannabis zu rauchen. „Ich hatte auf einmal wieder Hunger und konnte Gerichte mit Couscous, Spinat oder Kohl essen, was vorher unmöglich war. Ich habe 20 Kilo zugenommen und seither weniger Schmerzen und weniger Entzündungen“, sagt Ben Lavie. Zwar müsse auch hierzulande noch viel getan werden, um das Stigma von Cannabis als reiner Droge zu bekämpfen. „Mein erster Arzt war schockiert, als ich ihn damals nach Cannabis fragte“, erinnert sich Ben Lavie. Er musste erst einen Mediziner suchen, der sich mit der Wirkung auskannte. Dennoch weiß auch Ben Lavie, dass Israel enorm fortschrittlich ist – und das schon seit vielen Jahren.
Die Polizei stellte Cannabis für die Forschung zur Verfügung
Es war der israelische Professor für pharmazeutische Chemie, Raphael Mechoulam, der vor mehr als 50 Jahren den Grundstein für die Entwicklung von medizinischem Cannabis legte: Er entdeckte und erforschte die aktiven Bestandteile von Cannabis – allen voran Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD). „Damals wusste man fast nichts über die Wirkstoffe“, erklärt der heute 85-Jährige, der nun auch Vorsitzender von „CannaTech“ ist. „Da es ein illegaler Stoff ist, war die Forschung schwierig, auch in Israel.“
Aber in einem kleinen Land dächten und handelten die Menschen eben rationaler, ist sich Mechoulam sicher. „Cannabis für die Forschung bekam ich damals von der Polizei. Sie gaben mir fünf Kilo und ich fuhr damit im Bus zum Labor. Später stellten wir fest, dass die Polizei und ich nicht legal gehandelt hatten und vom Gesundheitsministerium eine Genehmigung benötigt hätten. In den USA hätte man mich dafür vielleicht verhaftet. Hier ging ich einfach zum Ministerium, entschuldigte mich und bekam die Lizenz.“ Individuelle Hartnäckigkeit gepaart mit mediterraner Lockerheit und israelischer Chuzpe sind also mitverantwortlich für Israels Vorreiterrolle.
„Außerdem herrscht in Israel ein Gründergeist“, sagt Saul Kaye, Organisator der „CannaTech“-Konferenz und Gründer und Geschäftsführer von „iCan“, einem israelischen Unternehmen, das die Marktentwicklung von medizinischem Cannabis fördert, unter anderem mit einem Inkubatoren-Programm. Unabhängig von Cannabis wird Israel als „Start-up Nation“ bezeichnet: So wurden hier allein im vergangenen Jahr über 1000 neue Start-ups gegründet. Das liege, so Kaye, unter anderem am Mangel an natürlichen Ressourcen. Statt alteingesessener Industrie gibt es hier vorrangig Forschungs- und Hightech-Unternehmen. Hinzu komme der Militärdienst, der in Israel für Männer drei, für Frauen zwei Jahre Pflicht ist. Die jungen Israelis lernten dort, hartnäckig und präzise zu arbeiten.
Fünf Prozent der Israelis konsumieren Cannabis
Auch die beiden Gründer Nadav Eyal und Benjamin Eytan, beide 25, kamen gerade aus ihrem Armeedienst, als sie die Idee für Eybna hatten: ein Start-up, das Terpene erforscht, also Inhaltsstoffe von Cannabis, die für den Geruch und den Geschmack verantwortlich sind und in Kombination mit anderen Inhaltsstoffen bestimmte positive Effekte wie Schmerzlinderung verstärken können. Eybna will Terpene als Zusatzstoff und separat als reines Aroma vermarkten. „Wir haben zum Beispiel eine Anfrage von einer Firma, die ihre Visitenkarten mit dem Duft von Cannabis versehen möchte“, erklärt Aviv Junno, 27, Vizepräsident im Bereich Geschäftsentwicklung.
Bleibt die Frage, ob die Erforschung der positiven medizinischen Wirkung bald dazu führt, dass Cannabis auch für gesunde Menschen in Israel legal erhältlich sein wird. Bereits jetzt zieht in Tel Aviv allabendlich der Geruch durch die Bars. Fünf Prozent der Bevölkerung sollen angeblich – illegal – Marihuana konsumieren. Doch der Vater der Cannabis-Forschung Raphael Mechoulam möchte die beiden Bereiche strikt getrennt sehen. Menschen stürben an Alkohol, dennoch sei er gesellschaftlich akzeptiert. „Es ist nicht fair, den Genusskonsum auf medizinische Forschung zu stützen.“
Lissy Kaufmann