Start-ups in Tel Aviv: Innovation ist kein Hobby
Kaum eine Stadt pflegt den Unternehmergeist so wie Tel Aviv. Hier treffen sich junge Firmenchefs und Investoren aus der ganzen Welt.
Der Ort ist nicht leicht zu finden. Es geht durch einen Hauseingang in einen kleinen Hinterhof, ein paar Stufen hinunter, durch einen dunklen Vorhang, noch mehr Stufen, noch ein schwarzer Vorhang. Unten angekommen fühlt man sich in der „Radio Bar“ in Tel Aviv fast wie in einer Kellerbar in Berlin – nur dass hier an diesem Abend keine Band spielt. Stattdessen stehen Emma Butin, Nathan Shuchami und Ohad Frankfurt mit dem Mikrofon auf der Bühne, und erzählen von den großen Plänen, die sie als junge Unternehmer haben. Frankfurt, Gründer von Swayy, will nicht weniger als die Art und Weise revolutionieren, wie Menschen im Netz kommunizieren. Überall in der Stadt treffen sich Gründer an diesem Abend, um von ihren Projekten zu erzählen. Es ist Innovation Week in Tel Aviv, mit einer Fülle von Veranstaltungen – vom Digitalfestival DLD über die Städtekonferenz Cities Summit bis zur Wissenschaftsmesse Braintech. Forscher, Unternehmer, Investoren und Vordenker der Hightechindustrie aus der ganzen Welt sind dafür nach Israel gereist.
Nicht ohne Grund findet dies alles in Tel Aviv statt. Die Bewohner der Stadt, die 1909 von 66 Familien praktisch auf Sand erbaut wurde, haben ihren Unternehmergeist nie verloren. „Wir haben keine Angst zu scheitern“, erklärt Hila Oren das Phänomen. Oren leitet die Marketingorganisation der Stadt. „Und wir haben Chuzpe“, fügt sie hinzu. Sie meint damit: Die Menschen haben den Mut und auch die Dreistigkeit, es immer wieder neu zu versuchen.
Avi Hasson hat noch eine andere Erklärung. „Innovation ist für uns kein Hobby“, sagt der Forschungschef des Wirtschaftsministeriums. „50 Prozent unserer Exporte stammen aus der Hightechindustrie und sorgen für ein robustes Wirtschaftswachstum.“ 450 Millionen Dollar gibt sein Ministerium jedes Jahr für Forschung und Entwicklung aus. Allerdings wird kein Projekt allein vom Staat finanziert. Geld fließt nur, wenn sich auch Private beteiligen. „So werden Projekte von mehr als einer Milliarde Dollar jährlich durch unser Programm unterstützt.“ Fast fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts investiere Israel in Forschung und Entwicklung. „Das ist mehr als jedes andere Land der Welt“, sagt er. Und diese Zahl beinhalte noch nicht einmal die Forschungsausgaben des Militärs. „Aber diese Zahlen sind nicht öffentlich“, sagt er und lächelt vielsagend. Denn es ist klar, dass das Militär einer der großen Treiber der Hightechindustrie im Lande ist. Nicht nur als Nachfrager, sondern bereits bei der Ausbildung der jungen Leute, die praktisch alle nach der Schule Militärdienst leisten.
Intel, Microsoft, Google, Apple und jetzt Facebook: Alle forschen in Tel Aviv
Onavo ist so ein Beispiel. Gerade hat Facebook die Übernahme des Tel Aviver Start-ups angekündigt. Die Gründer der Softwarefirma haben ihren Militärdienst in der Aufklärungsabteilung der israelischen Armee absolviert. Facebook will das Entwicklungsteam von Onavo mit 30 Mitarbeitern in Tel Aviv behalten. Es wird der Hauptstandort von Facebook in Israel werden. Damit folgt das Unternehmen nur anderen US-Konzernen wie Intel, Microsoft oder Google, die Forschungseinrichtungen in Israel haben. Apple richtete sein erstes Forschungszentrum außerhalb des Heimatlandes in Israel ein, ebenso wie zuvor die Deutsche Telekom. Insgesamt forschen etwa 300 internationale Konzerne in dem kleinen Land mit nicht einmal acht Millionen Einwohnern. Noch mehr Talente aus der ganzen Welt anzuziehen, das ist eines der Ziele von Avi Hasson. Darum arbeite seine Verwaltung auch gerade daran, die Visa-Erteilung für ausländische Experten zu erleichtern.
Neben der Forschung unterstützt der israelische Staat auch die Gründer des Landes – und bedient sich dabei ebenfalls privater Expertise. Es gibt 20 lizensierte Inkubatoren, also Einrichtungen, die Gründer in einer ganz frühen Phase unterstützen, in der sie meist nicht viel mehr als eine gute Idee haben. Auch hier sind es oft internationale Unternehmen, die die Inkubatoren betreiben. Wird ein Team aufgenommen, kann es 85 Prozent der benötigten Mittel vom Staat bekommen. Je nach Bedarf von 30 000 bis zu sechs Millionen Dollar. Der Rest kommt vom Inkubator. Das Schöne daran: Der Staat verlangt für das Geld keinen Anteil am Unternehmen, und zurückbezahlt werden muss auch nur, wenn das Unternehmen später tatsächlich Umsätze macht. Positiver Nebeneffekt: Weil die Start-ups regelmäßig Rechenschaft ablegen müssen, weiß Hasson recht genau, wie sie sich entwickeln.
Derzeit gibt es etwa 700 Start-ups allein in Tel Aviv, also in einer Stadt, die nur 500 000 Einwohner hat. Zum Vergleich: Im sieben Mal so großen Berlin wurden im vergangenen Jahr in der digitalen Wirtschaft gerade einmal 469 Firmen gegründet. Überdies ist Tel Aviv eine junge Stadt: 35 Prozent der Einwohner sind zwischen 18 und 35 Jahren alt, in der Innenstadt sind es sogar 50 Prozent.
Mitten durch die Innenstadt zieht sich der Rothschild-Boulevard, an dem liegt nicht nur der Gründerplatz, der an die 66 Familien erinnert, die die Stadt aufgebaut haben, sondern rings herum haben sich auch unzählige Start-ups angesiedelt. In den oberen Etagen wird gearbeitet, am Abend unten in den Bars gefeiert. Bürgermeister Ron Huldai ist es dabei wichtig, dass nicht nur „die begabten jungen Menschen“ von den Errungenschaften der Hightechindustrie profitieren. „Alle sollen Zugang haben“, sagt er.
Auch in der Bibliothek sitzen jetzt Start-ups
Und so bietet die Stadt ihren Bürgern viele Dienste in elektronischer Form an. Auch die Daten, die die Stadt sammelt – von der Einwohnerzahl über die Zahl der Taxen oder der Bäume – stellt sie zur Verfügung, damit Firmen daraus Produkte entwickeln können. Eine der ersten war eine Foto-App: Wenn man ein Gebäude fotografiert, kann man sich dazu ein Bild zeigen lassen, wie das Gebäude früher aussah. Die historischen Bilder dazu liefert das Stadtarchiv. Und noch eine Anwendung kam schnell heraus: Ein Raketenwarnsystem, das zugleich den Weg zum nächstgelegenen Schutzraum weist.
Ami Daniel, Mitgründer von Windward Maritime Solutions, sitzt mit seinem Start-up ebenfalls in der Nähe des Rothschild-Boulevards. Auch er war beim Militär. Mit seinem Produkt kann man weltweit alle Schiffsbewegungen überwachen. Die Schiffe (länger als 40 Meter) sind kleine Punkte auf einer Weltkarte. Dazu nutzt die Firma kommerzielle Satelliten. Derzeit sind es vor allem staatliche Einrichtungen, die die Dienste in Anspruch nehmen und so auffälliges Verhalten, das zum Beispiel auf Schmuggel hindeutet, erkennen können. Bald will das Start-up den Dienst ebenfalls für Unternehmen anbieten, etwa in der Öl- und Gasindustrie. Auch Windward ist in einem Inkubator groß geworden. „2013 werden wir profitabel sein“, ist Daniel überzeugt.
Die Leute in Tel Aviv sind nicht nur selbstbewusst, sondern auch sehr pragmatisch. Weil immer weniger Menschen Bücher ausleihen, ist ein Teil der örtlichen Bibliothek zu einem Co-Working-Raum umfunktioniert worden. Dort können Gründer in einem ganz frühen Stadium für wenig Geld einen Schreibtisch mieten und vier Monate lang an ihrer Idee arbeiten. Die Plätze sind immer ausgebucht, sagen die Initiatoren.
Corinna Visser