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Der frühere Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone
© DPA

Missstände im Vatikan: Kardinal Bertone verursacht Finanz-Desaster in Millionen-Höhe

Der frühere Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone hat in Rom tiefe Finanzlöcher hinterlassen. Er sagt aber: Alles ist ganz regulär gelaufen.

Sieben Jahre lang, von Benedikt XVI. berufen, war Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone der mächtigste Mann im Vatikan. An seiner Eignung für indes kamen immer mehr Zweifel auf. In der Kurie hielt man ihm übersteigerten Selbstdarstellungsdrang ebenso vor wie Unfähigkeit zu Verwaltung und Menschenführung, darüber hinaus – ganz unverhohlen – "politische Dummheit". Nach dem Vatileaks-Skandal gehörte die Ablösung Bertones zu den dringenden Wünschen, die die Kardinäle beim Konklave an den neuen Papst richteten, und Franziskus wartete nicht lange zu.

Seit Sommer 2013 ist der heute 79-jährige Bertone also offiziell "zurückgetreten", aber er sorgt weiterhin für Wirbel. War vor vier Wochen ans Tageslicht gekommen, dass sich der Pensionär hoch über den Dächern des Vatikans mit beträchtlichem Baustellenaufwand eine Luxuswohnung einrichten lässt, so zeigt sich jetzt, dass er in die Bilanz der Vatikanbank IOR ein Loch von 15 Millionen Euro gerissen hat. Veruntreuung krimineller Art, wie es die "Bild"-Zeitung unterstellt, war es wohl nicht, weit eher – so heißt es - Freunderl-Wirtschaft, verbunden mit unternehmerischer Blauäugigkeit, ermöglicht durch überkommene Hierarchie- und Entscheidungsstrukturen, an deren Überwindung der "neue" Vatikan noch arbeitet.

Bertone auch Aufseher der Vatikanbank

An Bertone, der damals nicht nur Kardinalsstaatssekretär war, sondern auch oberster Aufseher über das IOR, hatte sich im Februar 2013 die italienische Unternehmerfamilie Bernabei gewandt. Ihre Firma – Lux vide – produziert recht erfolgreiche Kino- und Fernsehfilme, in der Hauptsache über die Bibel, über Päpste, über Heilige, vor allem aber die demnächst in zehnter Staffel laufende TV-Serie "Don Matteo", wo Terence Hill (75) einen überaus populären Priester-Detektiv gibt.

Lux vide aber war in wirtschaftlicher Schieflage, und Bertone wies das IOR an, den befreundeten Bernabeis eine Millionenhilfe zu gewähren. Genauer hingeschaut wurde nicht; auch im Aufsichtsrat der IOR nicht. Was Bertone sagte, das – so heißt es im Vatikan – "war eben Gesetz". Aber nicht mehr lange. Kaum hatte das IOR die Wandelanleihe zugunsten der Bernabeis gezeichnet, bekam – nach einem Jahr Pause – das IOR einen neuen Präsidenten von außen; es zogen externe Finanz- und Kontenprüfer ein, und bald entdeckten sie alle: Die Papiere der schwer verschuldeten Lux vide waren wertlos. Praktisch null. 15 Millionen Euro unwiederbringlich dahin.

Güter im Wert von 130 Millionen Euro gepfändet

Bertone verteidigt sich heute, es sei "alles regulär gelaufen"; auch noch der letzte Schritt, die Abtretung der Papiere vom IOR an eine vatikanische Stiftung im Dezember 2013, sei "von den Gremien beschlossen worden". Da aber, im Dezember, war der Schaden schon entstanden. Und Mitte Januar schickte Papst Franzµiskus vier von fünf IOR-Aufsichtskardinälen in die Wüste. An der Spitze: Tarcisio Bertone.

In Rom schließt man nicht aus, dass das IOR aus Bertones Zeiten noch einiges mehr wird abschreiben müssen. Sichtbar klafft bereits jetzt das noch viel tiefere Finanzloch, an dem der Kardinal mitgegraben hat. Es könnte – das endgültige Gerichtsurteil steht bevor – die wirtschaftliche Struktur jener Ordensgemeinschaft zum Einsturz bringen, der Bertone angehört: der "Salesianer Don Boscos". Güter im Wert von 130 Millionen Euro sind bereits gepfändet, darunter die Ordenszentrale in Rom.

99 Millionen Euro Honorar

Der schwerreiche Marchese Alessandro Gerini hatte den Salesianern 1990 einen gewaltigen Immobilienbesitz vermacht; beim Streit mit Gerinis Enkeln aber ließen sich die Ordensleute auf einen zwielichtigen Vermittler ein, der 15 Prozent vom Wert der Erbschaft als Honorar verlangte – allerdings bevor dieser Wert offiziell festgelegt war. Bertone, damals schon Kardinalstaatssekretär, drängte die Salesianer zur Unterschrift – und es passierte, was passieren musste: Die vom Mediator eingeschaltete Kommission bezifferte den Wert der Grundstücke plötzlich auf das Sechsfache der ursprünglich vermuteten Summe. Damit verlangte auch der Mediator auf einen Schlag 99 Millionen Euro Honorar.

Die Salesianer wollten nicht zahlen, klagten vor Gericht über Betrug, aber die Richter gaben dem Makler recht und ließen die Pfändung des Ordensbesitzes zu – nicht zuletzt aus Verärgerung darüber, dass Bertone auf offiziellem vatikanischem Briefpapier das Gericht während des Prozesses gedrängt hatte, "eine der bedeutendsten Erziehungsorganisationen der Kirche" nicht pleitegehen zu lassen. Ende April sollte die Ordenszentrale versteigert werden; doch noch läuft das Verfahren.

Paul Kreiner

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