WM in Russland: In Moskau werden die Betten knapp
Wer freien Wohnraum hat, kann in Moskau gerade gut Geld verdienen. Schließlich suchen tausende Touristen zur Fußball-WM Unterkünfte.
Oleg Soloschenko weiß, dass er sich eine riesige Möglichkeit entgehen lässt. „Wenn ich meinen Vater auf die Datscha schicken würde, könnte ich mir eine goldene Nase verdienen“, sagt er. Der 52-jährige Moskauer beobachtet seit Monaten, wie seine Freunde schon ein halbes Jahr im Voraus ihre Ferien planen und eifrig ihre Wohnungen auf Airbnb inserieren. „So könnte ich das auch machen: Zwei Betten habe ich da, dann kaufe ich noch zwei Matratzen bei Ikea und verlange 100 Euro pro Gast", sagt Soloschenko.
„Das ist billiger als das Marriott.“ Ganz so dramatisch ist es zwar nicht, wenn man auf Airbnb nach Wohnungen sucht. Auffällig ist aber, dass es keine Unterkünfte mehr in Stadionnähe gibt und das viele Inserate in Englisch mit Überschriften wie „football time flat“ speziell um Fußballfans werben.
Eröffnung und Finale finden in Moskau statt
Der Grund: Am 14. Juni wird im Lushniki-Stadion das Eröffnungsspiel der Fußball-Weltmeisterschaft angepfiffen, am 15. Juli findet hier das Finalspiel statt, dazwischen werden zehn weitere Spiele in den beiden Moskauer Stadien ausgetragen. 81000 Zuschauer fasst das Stadion, das bedeutet, pro Spiel werden ungefähr ebenso viele Touristen kommen, insgesamt eine Million erwartet die Stadtverwaltung, die sogar Preisdeckelungen für Hotelzimmer einführte. Denn viele Fans reisen mit der Familie an und nutzen Moskau als Ausgangspunkt zum Turnier-Hopping zwischen den teilweise tausende Kilometer auseinanderliegenden Spielorten.
Die Moskauer werden zwar auch ins Stadion gehen, viele können sich aufgrund der hohen Ticketpreise aber den Eintritt nicht leisten – oder haben erst gar kein Interesse am Fußball. Eishockey ist der Nationalsport Russlands, die russische Fußballnationalmannschaft steht gerade mal auf Platz 70 der Fifa-Weltrangliste. Fragt man Russen, ob sie die WM schauen werden, winken die meisten ab. Sobald ihre Mannschaft aus dem Turnier ausscheidet, wird das Interesse am Spielgeschehen verpuffen. Das Interesse an den wirtschaftlichen Möglichkeiten dagegen ist groß: „Die Moskauer sind schlau, sie wissen, wie sie Geld verdienen können“, sagt Soloschenko.
Die Innenstadt wirkt irgendwie leer
Die WM verändert Moskau, das konnte man in den Wochen und Monaten vor ihrem Beginn beobachten. Vor dem berühmten Bolschoi-Theater harken Arbeiter eifrig die Beete, Straßenkehrmaschinen fahren mehrmals am Tag den Teatralny Prospekt hinauf und hinab. Als bekannt wurde, dass Russland die WM ausrichten wird, wurde eigens ein neues Stadion für einen der drei Moskauer Erstligisten, den FC Spartak, in Auftrag gegeben. Vorher wanderte der Verein von Stadion zu Stadion, musste gar beim Erzfeind FC Dynamo gastieren. Passend zur neuen Arena baute man eine neue Metrostation, die ähnlich wie das rot-weiß verkachelte Stadion dem Besucher modern und steril entgegenstrahlt.
Die Innenstadt ist auffallend sauber und wirkt irgendwie leer. Erst im Gespräch mit Vladimir wird klar, was im Vergleich zu Berlin oder Hamburg fehlt. „Die WM bedeutet, dass die Polizei sehr präsent ist und viel Druck auf uns Grafitti-Maler ausübt“, sagt der Frontsänger der Hardcore- Hip- Hop-Crossover-Band „Moscow Death Brigade“. Er verbrachte seine Jugend in den Vororten verschiedener russischer Städte und kam dort mit der Punk-, Skate- und Hip-Hop-Kultur in Berührung. „Ich bin kein großer Fan der Weltmeisterschaft“ erklärt Vladimir seine Abneigung. „Die Regierung will, dass die Städte sauber aussehen, dabei könnte man das Geld viel besser verwenden, zum Beispiel, um die Armut zu bekämpfen.“
Unmut kommt auch von den Studenten der Lomonossow-Universität: Neben ihrem Campus , auf dem auch 4000 Studenten in Wohnheimen leben, sollte eine Fanmeile für bis zu 45000 Fans aufgebaut werden – und das in der Prüfungsphase. Nach Protesten reduzierte die Stadtverwaltung die Anzahl der Zuschauer auf 25000 und verschob Tribüne und Zuschauerareale geringfügig.
Es gibt 76 neue U-Bahn-Stationen
Die größte staatliche Investition aber floss in die Verkehrsinfrastruktur: Moskau ist eine stark wachsende Stadt, deren Autoverkehrsaufkommen sich seit dem Jahr 2000 verdoppelt hat. Um dem zusätzlichen Verkehrsbedarf entgegenzukommen und die sieben Millionen täglichen Passagiere zu bewältigen, baute die Stadt einen zweiten U-Bahn-Ring und will bis 2020 insgesamt 76 neue Stationen eröffnen, die mit ihrem modernen Design im krassen Gegensatz zum sozialistischen Prunk der meist in den Fünfzigerjahren entstandenen alten Metrostationen stehen. Auf der offiziellen Webseite der Stadt werden die Kosten mit 13Milliarden Euro beziffert.
100 Hotels eröffnen allein in der russischen Hauptstadt
Wen man auch fragt in Moskau: Alle beobachten, wie nervös die Regierung angesichts der internationalen Aufmerksamkeit vor und während der WM ist. Die Kritik nach den Winterspielen in Sotschi empfanden die Russen als Demütigung. Jetzt wollen sie noch einmal beweisen: Wir sind gastfreundlich und perfekt im Organisieren. Die Gäste jedenfalls werden sich um ein Dach über dem Kopf nicht sorgen müssen: Mehr als 100 Hotels eröffneten laut Stadtverwaltung seit vergangenem Herbst neu, zusätzlich zu den privaten Unterkünften, die 18 Prozent Steuern auf die Vermietungseinnahmen abführen müssen.
Der alte Vater von Oleg Soloschenko wird aber trotz alledem nicht auf die Datscha abgeschoben. „Er ist querschnittsgelähmt, um Gottes willen“, sagt Soloschenko, der bei einer deutschen Stiftung arbeitet. „Das tue ich ihm nicht an.“ Seine Freunde aber haben bei den Buchungen schon ausgesorgt. Für die Vorrunde und das Finalwochenende haben sie ihre Wohnung an Deutsche vermietet. Oleg Soloschenko zog daraufhin gegenüber seinem Freund die Schlussfolgerung: „Andrej, jetzt wissen wir, wer im Finale spielt.“