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Am Donnerstag, dem ersten WM-Tag, dürften einige russische Fußballfans in der Stadt unterwegs sein.
© picture-alliance/ dpa

Vor der Fußball-WM in Russland: Moskau an der Spree

Heute startet die Fußball-WM. Wer das Gastgeberland kennenlernen will, muss nicht weit reisen.

Abramowitschallee, Bersarinplatz, Puschkinallee. Schon die Straßennamen zeigen: In Berlin steckt ganz schön viel Russland. Es gibt russische Hotels, Restaurants und Cafés. Kein Wunder, schließlich ist die deutsche Hauptstadt nicht nur bei Touristen aus dem riesigen Land beliebt, es sind auch zahlreiche Russen in Berlin zu Hause. Knapp 24.000 haben hier ihren Hauptwohnsitz – ganz zu schweigen von den Berlinern mit russischen Wurzeln.

Einer von ihnen ist Alexander Grüner, genannt Sascha. Als 17-Jähriger zog er mit seiner Familie von Russland nach Deutschland. Vor zehn Jahren eröffnete er das Kvartira 62 in Kreuzberg – eine gemütliche Bar mit übergroßem Matrjoschka-Bild an der Wand und verschiedenen Sorten Wodka im Regal. „Wir setzen auch selbst Nastoika an“, sagt Grüner und meint damit aromatisierten Wodka, in dem Früchte wie etwa Kirschen eingelegt sind. Auf der Karte stehen seltene Spirituosen, zum Beispiel Polugar, ein Vorgänger des russischen Wodkas. Den gibt es im Kvartira 62 sogar mit Knoblauch- und Pfeffernote, die man riechen kann, wenn man die Nase ranhält.

Alexander Grüner gießt zwei Gläser Polugar ein und räumt mit einem deutschen Irrglauben über Russland auf. Der Ausspruch „Nastrovje“ sei nämlich nicht die russische Übersetzung von „Prost“, wie viele glauben. Es bedeute so viel wie „Gesundheit“ und könne zwar in einem Trinkspruch vorkommen, müsse allerdings auch auf jemanden bezogen werden. „Ein kurzes Wort wie Prost gibt es auf Russisch nicht“, sagt Grüner. Vielmehr seien in Russland Trinksprüche üblich, in denen man erklärt, dass man auf sein Gegenüber, die Liebe oder sonst etwas Passendes trinken möchte.

Dazu wird es bei der Fußballweltmeisterschaft ab Donnerstag sicher Gelegenheit geben. Für Alexander Grüner ist es selbstverständlich, dass er die Spiele von Deutschland und Russland in seiner Bar zeigt, selbst wenn sie außerhalb seiner Öffnungszeiten liegen. Ein paar Fähnchen will er auch aufhängen.

Die meisten Berliner Russen findet man in Charlottenburg-Wilmersdorf

Weiter geht es durch das russische Berlin, das – zumindest aus Sicht von Filmemachern – offenbar optische Ähnlichkeiten mit Moskau aufweist. So wurden Szenen der „Bourne Verschwörung“, die eigentlich in der russischen Metropole spielen, am Alexanderplatz, auf der Karl-Marx-Allee und in einigen Friedrichshainer Straßen gedreht.

Die meisten Berliner Russen findet man allerdings in Charlottenburg-Wilmersdorf, fast 4000 sind hier gemeldet. Wie praktisch, dass es direkt am S-Bahnhof Charlottenburg den Imbiss Rossia gibt – definitiv ein Treffpunkt für Russen in der Stadt. Hinterm Tresen arbeitet Irina Schmidt. Ihren deutschen Nachnamen hat sie vom Großvater. Seit 15 Jahren lebt sie in Deutschland, sieben Jahre davon in Berlin. Im Imbiss gibt es russische Klassiker, darunter Borschtsch und den Kartoffelsalat Olivier. Wer die Landesküche noch nicht kennt, dem empfiehlt Schmidt Piroggen. Die frittierten Teigtaschen, die hier am Bahnhof etwa die Größe von Germknödeln haben, werden mit verschiedenen Füllungen angeboten: Fleisch, Kartoffel oder Sauerkraut, immer warm serviert und wunderbar saftig. Auch Irina Schmidts Lieblingsgericht Okroschka gibt es im Rossia: Eine kalte Suppe mit Gemüse und Schmand, passt gut jetzt im Sommer.

Russisch durch die Stadt. Alexander Grüner (o.) serviert in seiner Kreuzberger Bar Wodka mit eingelegten Früchten.
Russisch durch die Stadt. Alexander Grüner (o.) serviert in seiner Kreuzberger Bar Wodka mit eingelegten Früchten.
© C. Kleine

Bis auf ihre in Russland lebende Verwandtschaft vermisst Irina Schmidt in Berlin eigentlich nichts aus ihrer Heimat. „Hier gibt es ja alles“, sagt sie und macht eine Geste rüber zum russischen 24-Stunden-Supermarkt, zu dem der Imbiss gehört. Dort liegen vor allem Süßigkeiten in den Regalen, zum Beispiel der traditionelle Gewürzkuchen Prjanik.

„Am wichtigsten ist eigentlich, zu sehen, dass wir alle gleich sind“

Russland kann man in Berlin aber nicht nur schmecken, sondern auch erleben: In Karlshorst gibt es das Deutsch-Russische Museum, ein Überbleibsel aus der Besatzungszeit. Auf der Kantstraße werden russische Bücher verkauft, das Theater Russkaja Szena auf der Kurfürstenstraße hat derzeit Tschechows „Möwe“ auf dem Spielplan und das Kino Krokodil in Prenzlauer Berg zeigt regelmäßig auch russische Filme.

An einem Ort ballt es sich besonders: Das Russische Haus der Wissenschaft und Kultur in der Friedrichstraße ist das Äquivalent zum Goethe-Institut und bietet wohl die besten Möglichkeiten, um Russland von Berlin aus kennenzulernen. Es ist ein riesiges Gebäude, das sich über vier Hausnummern erstreckt. Neben Russischunterricht für Kinder und für Erwachsene finden auch viele Veranstaltungen statt, zum Beispiel im Konzertsaal mit seinen 500 Plätzen, im Kino mit 200 Plätzen und in den drei Ausstellungsräumen. Man gibt sich sprachlich flexibel: Manchmal gibt es einen Film nur auf Russisch, manchmal mit deutschen oder englischen Untertiteln.

Am S-Bahnhof Charlottenburg gibt es den Imbiss Rossia und einen 24-Stunden-Supermarkt.
Am S-Bahnhof Charlottenburg gibt es den Imbiss Rossia und einen 24-Stunden-Supermarkt.
© Foto. G. Breloer

In der Eingangshalle des Russischen Hauses steht eine Statuette von Katharina der Großen. Die einstige russische Kaiserin mit deutschen Wurzeln ist für Direktor Pavel Izvolskiy ein passendes Beispiel dafür, dass die deutsche und die russische Kultur eng miteinander verwoben sind. „Am wichtigsten ist eigentlich, zu sehen, dass wir alle gleich sind“, sagt er auf Englisch.

Gemeinsam Spaß haben

Das finden auch seine Mitarbeiterinnen Alexandra Ogneva und Nata Kozaeva. Beide wohnen seit ein paar Jahren in Berlin, sprechen fließend Deutsch und können keine wesentlichen Unterschiede zwischen Russen und Deutschen feststellen. Klar, ein paar Sachen liefen schon anders. So würde man in Russland zum Beispiel zu einer früheren Uhrzeit tanzen gehen als in Berlin, sagt Alexandra Ogneva. Wie Fußball geguckt wird, unterscheide sich hingegen nicht von dem, was in Deutschland üblich ist, sagt sie mit Blick auf die Weltmeisterschaft: „Manche denken, dass in Russland zu jeder Gelegenheit Wodka getrunken wird, aber das ist nicht so.“ Läuft ein Match, trinken auch die Russen am liebsten Bier und Limo. Und genau wie in Deutschland, schiebt Ogneva noch hinterher, gehe es natürlich darum, gemeinsam Spaß zu haben.

Übrigens, Russland steckt nicht nur in Berlin, sondern auch andersherum. An der Grenze zu Kasachstan gibt es nämlich eine Siedlung namens Berlin – ein kleines Dorf, in dem weniger Russen leben als in der deutschen Hauptstadt.

Berlin im WM-Fieber

Die Aufbauarbeiten für die Fanmeile am Brandenburger Tor haben begonnen. Ab Sonntag werden dort alle Spiele der deutschen Nationalmannschaft sowie alle WM-Spiele ab dem Achtelfinale (Beginn 30. Juni) auf großen Bildschirmen gezeigt. Die Straße des 17. Juni ist für Autofahrer bis zum 15. Juli gesperrt. Schon am Donnerstag, zum ersten Spieltag, gibt es an vielen Orten in der Stadt Public Viewing. Besonders viel Platz gibt es im Innenhof der Kulturbrauerei in Prenzlauer Berg, 5000 Gäste können kommen. Auf dem großen Bildschirm werden alle Spiele übertragen, also auch das erste Duell (Russland – Saudi-Arabien) am Donnerstag. Dann verwandelt sich auch die Dachterrasse des Bikini Berlin am Zoo in ein Freiluftwohnzimmer mit Leinwand. Zugleich startet der Friedrichshainer Club Yaam sein kostenloses Programm „Priwjet und Hallo“ mit Spielübertragung, Fußball- und Kickerturnieren, Livemusik und DJs, Kinderecke und der Ausstellung „Russkij Futbol“. Tsp/dpa

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