Schauspielerinnen über das Älterwerden: "Ich mache nur noch Sachen, die mir gefallen"
Die Schauspielerinnen Leslie Malton und Elisabeth Schwarz im Gespräch über das Älterwerden - aus ihrer Sicht und der des Publikums.
Sie haben beide im November einen runden Geburtstag. Und bei Ihnen steht im Wikipedia-Eintrag jeweils das Geburtsjahr. Das ist nicht unbedingt die Regel bei Schauspielerinnen.
Leslie Malton: Man hat doch in Deutschland gar nicht die Wahl.
Es gibt viele, die es geschafft haben.
Malton: Bei mir steht das schon da, seit es Wikipedia gibt.
Elisabeth Schwarz: Ich weiß noch von früher, dass Schauspielerinnen ihr Alter versteckt haben. Wenn es auf Abstecher ging und man im Hotel den Ausweis vorzeigen musste, haben manche rasch die Hand draufgelegt, damit man ja nichts sehen konnte. Es gibt Schauspielerinnen, die das Alter nicht preisgeben wollen und es auch schaffen.
Malton: Das kannte ich auch noch von einer amerikanischen Kollegin, die hat immer ins Gästebuch bei der Altersangabe geschrieben: „Guess!“ – Wenn mein Name in der Zeitung vorkommt, dann steht eigentlich immer das Alter in Klammern dahinter. Mir ist es wurscht. Aber mein Name existiert eigentlich auch ganz gut ohne diese Zahl.
Es bleibt selbst in MeToo-Zeiten eine Tradition, dass sich Schauspielerinnen jünger machen.
Schwarz: Man kann das ein bisschen rauszögern, wenn man ein eher schmaler mädchenhafter Typ ist zum Beispiel. Aber schließlich werden die Rollen weniger – und sie werden kleiner! Man ist nicht mehr stücktragend.
Malton: Natürlich hilft es zunächst, wenn man jünger wirkt. Doch wenn man hinterm Namen in Klammern 60 liest, kommt jeder und jedem zunächst mal die eigene Großmutter in den Sinn, aber nicht eine Schauspielerin, die womöglich jünger aussieht oder fitter ist als erwartet und nicht verlebt oder verbraucht; wobei ja auch Jüngere schon sehr verbraucht aussehen können ...
Im Schauspiel gibt es jedenfalls für Männer über 40 deutlich mehr Rollen. Die Geliebte oder die Femme Fatale sind selten über 40...
Schwarz: ... und selbst die schwierige Ehefrau ist das selten! Wenn man sich mal die Shakespeare-Dramen betrachtet als wichtigsten Fundus der dramatischen Weltliteratur: Da gibt es überhaupt wenig Frauenrollen, und wenn, dann kleine; eben weil es in Dramen oft um Macht geht – und Frauen haben bis heute weniger Macht als Männer. Also geht es um Männer. Lady Anne in „Richard III.“ etwa ist eine sehr kleine Rolle.
Es gibt die Lady Macbeth, immerhin. Und die ist nun ganz besonders böse.
Schwarz: Je älter, je böser.
Malton: Böse kann aber auch sehr viel Spaß machen. (Lachen) Bei Shakespeare gibt es mehrere Mütter – aber nur eine weibliche Figur, die eine Mutter hat: Julia. Ophelia zum Beispiel hat keine Mutter.
Schwarz: Und wo ist die Mutter von Lears Töchtern? Väter und Söhne gibt es en masse.
Malton: Außerdem gibt es bei Shakespeare etliche Frauenfiguren, die irgendwann im Stück Männer spielen, aber keine Männerfigur, die eine Frau spielt. Es gibt die Hosen-Rolle, aber keine Kleid-Rolle. Auch eine Machtfrage?
Schwarz: Mächtige Frauen gab es ja kaum. Elisabeth I. und Maria Stuart sind Ausnahmen. Machtspiele waren Männer-Spiele.
Was sich im 19. Jahrhundert geändert hat, da kamen dann die Noras und die Hedda Gablers. Auch die sind jedoch eher in ihren Zwanzigern und Dreißigern.
Malton: Damals hat man viel früher geheiratet, auch weil man früher gestorben ist. Darum kann man heute überall leicht zehn Jahre drauflegen und eine Hedda oder Nora Ende 30 sein lassen. Es dehnt sich.
Als wir uns 1982 kennenlernten, Elisabeth, haben Sie die Wassa Schelesnowa von Gorki gespielt, eine Frau in ihren Vierzigern, die wir heute als deutlich älter empfinden...
Schwarz: ... auch, weil sie sehr verbraucht ist, eine Geschäftsfrau, die viel gearbeitet hat.
Sie waren so alt wie die Figur im Stück, 44, haben sie aber deutlich älter „angelegt“, als „alte“ Frau um die sechzig!
Schwarz: Als junge Schauspielerin habe ich oft Kolleginnen gesehen, die ich für zu alt hielt, um zum Beispiel Minna von Barnhelm zu spielen. Das war mein mit der Arroganz der Jugend gefälltes Urteil. Ich wollte aber nicht eine Schauspielerin werden, die sich immer krampfhaft jünger macht, um bestimmte Rollen – noch – zu bekommen. Was konnte ich dagegen machen? Ich habe mit einer gewissen Leidenschaft früh auch „alte Schachteln“ gespielt.
Wir reden bislang vor allem über eine Form von Schauspielerei, die im Kino und Fernsehen, anders als im Theater, die vorherrschende ist: bei der eine Figur mit der Darstellerin gleichsam „identisch“ wird. Das ist auf der Bühne ja längst nicht mehr die Regel. Da ist die Korrelation zwischen Alter und Kunstfigur oft völlig unwichtig.
Schwarz: Die zwischen biologischem Alter und Figur vielleicht. Aber es gibt doch immer auch die Dimension der Vitalität. Bei manchen Theateraufführungen sehe ich erstaunt, wie sich Schauspieler als Artisten beweisen oder gegen Wände werfen, und denke: Interessanter Stoff, interessanter Zugriff. Aber in diesem „Stil“ könnte ich nicht mitspielen, allein, weil meine Kraft nicht mehr reicht.
Malton: Das könnte ich ja vielleicht noch schaffen! (Lachen). Aber wenn ich dich, Elisabeth, anschaue, denke ich nicht an 80, sondern an eine Frau etwas über 60.
Schwarz: Bei meiner Rolle im „Polizeiruf“ mit Matthias Brandt habe ich eine Achtzigjährige gespielt. Beim Abschlussfest waren dann alle sehr zufrieden, auch mit mir, meinten jedoch: „Ein bisschen sehr jung.“
Malton: Dass mir direkt jemand gesagt hätte: Du bist zu alt, das habe ich noch nie gehört. Oder wenn, dann hab ich’s vergessen. Zu jung, höre ich schon öfter. Bei „Da geht noch was“ mit Henry Hübchen musste ich mich deutlich älter machen: Schließlich habe ich meinen Mann nach 40 Jahren Ehe verlassen! Dafür gibt es aber auch Kostüm und Maske.
Das geht, wenn man eine „Verwandlerin“ ist.
Malton: Es muss gut gemacht sein. Ich hatte ein Bäuchlein und was um die Hüften und auch Falten. Alles sehr fein. Man hat nichts gesehen von den äußeren Mitteln der Verwandlung.
Schwarz: Natürlich muss man bedenken: Ein wesentliches Movens in unserem Leben ist die Erotik. Wenn du in einem bestimmten Alter bist, in dem man dich nicht mehr direkt mit Erotik verbindet – was man kapieren muss als Schauspielerin! –, dann ist ein riesiges Feld von Inhalten, Problemen, Dramatik, ja: auch Spaß für dich verloren.
Malton: Ja, wenn im Drehbuch steht: Mutter, oder gar Alte Mutter, dann scheint alles klar. Frau wird automatisch sächlich. DAS Mutter. DAS Großmutter. Man kann sich wohl nicht im selben Maße „erotisch halten“, wie man sich fit hält, leider.
Warum verderben sich schöne ältere Frauen mit Facelifting ihr Gesicht, obwohl sie gute Schauspielerinnen sind?
Malton: Die Motive sind sicher vielfältig. Was aber alle bewegt: die Angst, nicht mehr gewollt zu sein. Und dabei geht es nicht um den Mann oder die Frau oder die Familie oder die Freunde, sondern: DAS PUBLIKUM. Es wird häufig suggeriert, dass man nicht mehr gewollt wird als Frau, wenn man ein gewisses Alter überschritten hat.
Fernsehspieldirektoren oder Filmproduzenten denken und sehen so. Die haben einen bestimmten Typ: ob blond, ob braun – möglichst jung.
Malton: Was ja völlig absurd ist, wenn man bedenkt, dass das Fernseh- und selbst das Kino-Publikum inzwischen älter ist.
Schwarz: Ja eben, wer sitzt denn vor der Glotze? Menschen, die einen Großteil ihres Lebens schon gelebt haben.
Aber die Zuschauer wollen entweder jüngere oder sehr viel ältere Darsteller und Darstellerinnen sehen, die entweder Jugend suggerieren oder so alt sind, dass man selbst dagegen jung wirkt.
Malton: Die „Komische Alte“! Ich hatte mal einen sehr schönen Film gemacht, da war ich, glaube ich, gerade über fünfzig: „Halbe Hundert“, zusammen mit Martina Gedeck und Johanna Gastorf. Ein Riesenerfolg. Warum? Weil wir eben dieses Problem als Thema hatten: das halbe Hundert, Frauen um die Fünfzig, die man so wenig im Fernsehen sieht – und die Zuschauerinnen vielleicht auch nicht sehen wollen. Aber wenn man es gut macht, funktioniert es trotzdem, man erreicht das Publikum. Möglich wird so was, weil es inzwischen auch eine Reihe Produzentinnen und Redakteurinnen im selben Alter gibt, die gern Geschichten ermöglichen, die mit ihnen und ihren persönlichen Problemen oder besser: Realitäten zu tun haben. Da hat sich was verändert.
Schwarz: Unabhängig von diesen schönen Veränderungen: Der Unterschied zwischen 60 – deinem Alter, Leslie – und 80, meinem, ist enorm. Das hat auch positive Seiten. Die Gelassenheit wächst. Ich mache nur noch Sachen, die mir gefallen. Ich muss nichts mehr beweisen; auch mir selbst nicht, was das Wichtigste ist! Ich möchte meinen Beruf weiter ausüben, aber nicht mehr so oft. Und wenn mich die Kräfte verlassen, dann ist es eben so.
Malton: Du magst dich halt nicht mehr gegen Wände schmeißen, gib es zu!
Schwarz: (lacht) Dann bleib ich lieber zuhause. Oder mache Lesungen. Jedenfalls wäre ich nicht mehr unruhig, wenn keine Angebote mehr kämen.
Malton: Ich schon. Aber bei mir hat sich mit dem Älterwerden auch was Neues hinzugesellt. Ich habe das Gefühl, dass ich viel mehr zu erzählen habe als früher. Das ist ganz dringlich geworden. Das kommt mit „dem Alter“.
Schwarz: Und man riskiert mehr. Auch wenn es dem Publikum die Schuhe auszieht. Alter schafft Freiräume.
Malton: Die Gelassenheit, von der du sprichst, die habe ich nicht.
Schwarz: Noch nicht. Weil du einfach zu jung bist!
Eine erweiterte Fassung des Gesprächs online unter der-theaterverlag.de/das-theatermagazin
Michael Merschmeier
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