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Ein junges Paar küsst sich bei Sonnenschein - das war vor Corona.
© imago/Ikon Images

Liebe in Coronazeiten: „Ich empfehle so viel Sex wie möglich“

Was macht das ständige Zuhause sein mit unserem Sexleben? Und was können Singles tun? Sexualtherapeutin Ulrika Vogt über Lust, Leidenschaft und Blockaden.

Der Tweet vom 3. April klingt entschieden: „Ich lege mich fest: Single sein zu Corona-Zeiten ist Scheiße“, schreibt die 29-Jährige. Doch auch für Paare ist die aktuelle Situation nicht einfach. Sex in Zeiten von Corona? Die Gelegenheiten wären da – aber was ist mit der Lust?

„Wir haben jetzt – endlich – wieder Zeit für uns, lernen uns wieder kennen oder anders kennen“, sagt die Sexualtherapeutin Ulrika Vogt aus Köln. Nach ihrer Erfahrung spitzen sich Situationen für Paare jetzt zu: Ist die Beziehung sowieso stabil oder instabil? „Bislang gab es für Partner genug Fluchtmöglichkeiten, deswegen wurde Krisenhaftes weniger deutlich, man konnte einander ausweichen“, erklärt sie im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Das ändere sich angesichts der Beschränkungen und Ängste. Gleichzeitig werde jetzt spürbar „wie viel Trost und Halt ein Partner auch bedeuten kann“.

Wie sich das Sexualleben von Paaren derzeit entwickele, sei auch von psychischen Faktoren abhängig. „Es gibt Menschen, die in Krisenzeiten das Ruder rumreißen können und Menschen, die bei Stress blockieren und Angst haben“, sagt Vogt. Das betreffe natürlich auch die Lust. „Sexualität hat viel mit unserem Nervensystem zu tun. Zu viel Stress und Angst blockieren die Lust.“ Dabei stelle sich auch die Frage: Wie habe ich Sexualität bisher erlebt? Die Krise wirkt also wie ein Brennglas und verstärkt das, was zwischen Paaren bereits existiert.

„Ich kann Paaren nur nahelegen, so viel Sex wie möglich zu haben, weil das unglaublich entspannend ist.“ Und wenn es nicht immer Sex sein soll? „Dann einfach den Körper des anderen zu spüren, weil auch das äußerst beruhigend und verbindend ist.“

Natürlich droht auch Paaren – gerade als Eltern – der Lagerkoller. In vielen Familien ist die Stimmung nach mehr als zwei Wochen auf engem Raum nicht die beste. Die Therapeutin empfiehlt, Zeit für sich alleine zu finden. „Zum Beispiel indem ein Elternteil mit beiden Kindern rausgeht und der andere wieder einmal Platz für sich alleine hat.“

Papp-Plakat an einem Balkon in Bremen-Schwachhausen.
Papp-Plakat an einem Balkon in Bremen-Schwachhausen.
© imago images/Eckhard Stengel

Und wie ist es nun mit der Sexualität bei Singles? „Ruhig bleiben und Dildos benutzen“, wirbt ein Hersteller für Sexspielzeug auf großen Plakaten in der Hauptstadt. Erotik-Onlineshops registrieren steigende Verkaufszahlen, Verkaufshits seien derzeit Vibrationskissen („genießen Sie diese ganz neue Erfahrung der Ekstase“) und per Fernbedienung steuerbare Paarvibratoren. Per Fernbedienung? „Damit ihr bei der Verwendung der Vibratoren nicht den Sex unterbrechen müsst“, erläutert kumpelhaft ein Hersteller die Bedienung des Utensils, das auch für Singles geeignet sei.

„Als Abwechslung kann ein Porno durchaus einen Impuls geben. Die Filme können etwas Inspirierendes haben“, sagt Therapeutin Vogt. Aber sie sollten nicht als Standard genutzt werden, denn dann beeinflussten sie die Sexualität meist negativ. Der Betrachter eigne sich an, was er sehe und verlagere seine Aufmerksamkeit von innen auf außen. „Durch einen Porno zum Orgasmus zu kommen ist völlig in Ordnung. Aber auf Dauer besteht die Gefahr, den Reiz, den Kick im Kopf beständig erhöhen zu wollen, zum Beispiel durch noch mehr Reiz und damit auch härtere Pornos.“ Menschen, die viele Pornos sehen oder Pornosüchtig seien, würden der Gefahr der sexuellen Abstumpfung unterliegen.

"Solosex" klingt schöner als Masturbation

Und wie geht es denen, deren Hormone gerade Frühling spielen? Den Jugendlichen? „Um den eigenen Körper zu entdecken empfehle ich Solosex. Seinen Körper zu spüren und zu fühlen, es sich schön zu machen“, sagt die Expertin. Dazu könnten Düfte gehören, Musik, es gehe dabei nicht nur um Selbstbefriedigung, Masturbation. „Solosex meint das gleiche, aber Solosex oder Selbstliebe sind schönere Wörter.“ Jeder könne herausfinden: Was macht meinem Körper Freude, was bringt mir Genuss?

Ist das wirklich eine Option für einen 17-Jährigen, der endlich seine Freundin oder seinen Freund küssen und anfassen will? „Ich weiß, es ist schwierig aber was bleibt?“, sagt Ulrika Vogt und verweist auf fast verloren Geglaubtes: „Man könnte sich auch Briefe schreiben, Liebesbriefe oder Tagebücher.“ Oder – um im Bild vergangener Zeiten zu bleiben – zum Hörer greifen ... „Telefonsex hat den Vorteil, dass wir stärker bei uns bleiben. Wer den anderen nicht sieht, kann sich meist leichter auf sich selbst konzentrieren.“

Sehr viele Frauen, so die Erfahrung der Expertin, fänden ihren Körper „nicht so toll“ und fühlten sich nicht wohl, wenn ihr Partner oder ihre Partnerin sie nackt sehe. Das wirke sich – naturgemäß – „ungünstig auf die Qualität ihrer Sexualität aus“. In solchen Fällen könnte Telefonsex freier machen. Außerdem „gibt es viele Männer, die es anturnt, wenn ihre Partnerin lustvoll ist“. Auch das könne man gut am Telefon ausleben.

Rund 20 Prozent ihrer Patienten nutzten jetzt die Möglichkeit der Videoberatung, berichtet die Sexualtherapeutin. Ansonsten habe sich in ihrer therapeutischen Arbeit bisher nicht viel verändert. „Aber meine Hypothese ist, dass das noch kommt. Ich vermute, dass sich in den nächsten Wochen und Monaten mehr Menschen Hilfe holen werden, weil die Not größer wird.“

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