Übergriffe in Köln gegen Frauen: Henriette Reker: Gewalttaten haben nichts mit Flüchtlingen zu tun
Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker weist die Verknüpfung der Gewalttaten von Köln mit der Flüchtlingssituation zurück. Die Polizei räumt Fehler in der Informationspolitik ein.
Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) hat eine Verknüpfung der Gewalttaten von Köln mit der Flüchtlingssituation zurückgewiesen. Es gebe keinen Hinweis, dass es sich bei den Tätern um Menschen handle, die in der Domstadt Unterkunft als Flüchtling erhalten hätten, erklärte die Politikerin am Dienstagnachmittag bei einer Pressekonferenz. Die Ereignisse seien „nicht tolerierbar“, betonte Reker erneut. Bei einem kurzfristig einberufenen Krisentreffen seien Maßnahmen entwickelt worden, „damit es solche Vorfälle hier nie wieder gibt“.
Mehrere hundert Männer hatten in der Silvesternacht auf der Domplatte und vor dem Kölner Hauptbahnhof mit Pyrotechnik auf Passanten geschossen. In der gemeinsamen Pressekonferenz von Henriette Reker und Kölns Polizeipräsident Wolfgang Albers war von insgesamt etwa 400 Personen die Rede. Zuvor hatte unter anderem der Vize-Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei in NRW von bis zu 1000 Männern gesprochen. Die Polizei habe sich dann dazu entschlossen, den Bahnhofsvorplatz zu räumen, die Treppen vor dem Dom wurden abgesperrt. Dann hätte sich die Großgruppe in mehrere Kleingruppen aufgeteilt, aus denen heraus es demnach zu den Überfällen und zum Teil massiver sexueller Gewalt gegen Frauen kam.
Eine direkte Reaktion auf die Übergriffe ist jetzt, dass an den Karnevalstagen die Polizeipräsenz erhöht werden soll. Auch sollen mobile Videoanlagen eingesetzt werden. Zudem wird derzeit laut dem Kölner Polizeipräsidenten Wolfgang Albers geprüft, ob bekannte Straftäter wie Taschendiebe bestimmte Bereiche nicht mehr betreten dürften. Reker sagte: "Wir werden uns den Karneval in Köln durch solche Vorfälle nicht nehmen lassen." Zukünftig solle es ein Sicherheitskonzept bei Großveranstaltungen geben.
"Die Information, es sei in der Silvesternacht ruhig gewesen, war falsch"
Wolfgang Albers räumte am Dienstagnachmittag zudem Fehler beim Umgang mit Presseinformationen der Polizei ein: "Die Information, es sei in der Silvesternacht ruhig gewesen, war falsch und wurde im Nachhinein geändert. Dies ist nicht korrekt gewesen." Polizisten am Bahnhof hätten bereits in der Nacht von den Übergriffen Kenntnis genommen. Der Umfang der Übergriffe sei der Polizei allerdings erst am nächsten Tag klar geworden, als die ersten Anzeigen eintrafen.
Bereits am Montag hatte Albers von Tätern aus dem "nordafrikanischen und arabischen Raum" gesprochen. Normalerweise geht die Polizei bei Straftaten nicht auf die Herkunft der Täter ein. Arnold Plickert, Vize-Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in Nordrhein-Westfalen verteidigte in einem Interview mit der MDR das Verhalten Albers: Dies sei "genau richtig", sagte er. "Wir müssen den Fall jetzt aufklären, müssen sehen, wer war das. Das darf auch nicht verschwiegen werden, weil das sonst in eine ganz falsche Richtung geht. Das hat nichts mit ,rechts' zu tun. Wer in unserem Wertesystem lebet, der hat sich daran zu halten, wer solche Verfehlungen begeht, dem muss an Grenzen aufzeigen." Zumal man "fast von organisiertem Vorgehen ausgehen" müsse. So seien Frauen von Gruppen von bis zu 40 Männern umzingelt und ausgeraubt worden, wobei es dann auch zu den zum Teil massiven sexuellen Übergriffen gekommen sei, darunter auch eine Vergewaltigung.
"Es hat eine neue Qualität", sagte Arnold Plickert. "Das ist ungeheuerlich und unfassbar."
Nach Polizei-Angaben sollen in der Silvesternacht alle Einsatzkräfte, die zur Verfügung waren, vor Ort gewesen sein. Das seien in Spitzenzeiten rund um den Hauptbahnhof gut 210 Beamte gewesen. Doch diese hatten demnach nichts von den sexuellen Übergriffen und Diebstählen gemerkt oder die Situation falsch eingeschätzt. Dementsprechend gibt es jetzt Kritik und viele offene Fragen zu dem Einsatz. So verlangt der Chef der NRW-Grünen, Sven Lehmann: "Aufgeklärt werden muss auch, warum die Polizei in Köln erneut von einer aggressiv auftretenden Menschenmenge derart überrascht wurde." Zudem stellte er klar: "Gewalt und Übergriffe müssen tabu sein. Egal, welchen Pass die Täter bei sich tragen."
Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) reagierte scharf auf die Ereignisse. „Wir nehmen es nicht hin, dass sich nordafrikanische Männergruppen organisieren, um wehrlose Frauen mit dreisten sexuellen Attacken zu erniedrigen“, zitierten der Kölner „Express“ und der „Kölner Stadt-Anzeiger“ den Minister. „Deshalb ist es notwendig, dass die Kölner Polizei konsequent ermittelt und zur Abschreckung Präsenz zeigt.“
"Die abscheulichen Übergriffe auf Frauen werden wir nicht hinnehmen. Alle Täter müssen konsequent zur Rechenschaft gezogen werden", schreibt Justizminister Heiko Maas (SPD) am Dienstag auf Twitter. Bei einem öffentlichen Statement zu den Vorfällen sprach er außerdem von einer "völlig neuen Form und neuen Dimension organisierter Kriminalität". Auch weitere Politiker fordern ein rigides Durchgreifen, warnen aber auch vor falschem Generalverdacht.
Die Polizei kündigte am Montag mit Blick auf den bevorstehenden Karneval an, alles dafür zu tun, damit sich solch ein Vorfall nicht wiederholt. „Das sind wir den Frauen schuldig und zugleich den nordafrikanischen Flüchtlingen, die friedlich bei uns leben wollen“, sagte Jäger.
Auch nach Silvester Übergriffe am Hauptbahnhof
Nach Silvester kam es am Köllner Hauptbahnhof offenbar erneut zu Übergriffen. In einer Pressemitteilung der Polizei vom Sonntag heißt es, Beamten hätten fünf Verdächtige in Alter von 18 bis 24 Jahren festgenommen. Die Männer hatten zuvor weibliche Reisende bedrängt und unter anderem Mobiltelefone entwendet. Zuvor waren die Beamten Hinweisen nachgegangen, eine Personengruppe belästige Menschen an der Stadtbahnhaltestelle Dom-Hauptbahnhof. Die fünf Verdächtigen konnten am Kölner Hauptbahnhof gestellt werden. Nach Zeugenaussagen hatten drei der Täter wenige Minuten zuvor mehrere Frauen angesprochen und bedrängt.
"Ich sah die Polizisten auf dem Bahnsteig. Ich meldete sofort, dass ich von zwei Männern aus der Gruppe beklaut worden war", so ein 25-Jähriger, dem sein Mobiltelefon geklaut wurde. Auch der Geschädigte war zuvor durch "Antänzer" körperlich bedrängt worden. Die Täter hatten versucht durch Unterhaken und Bein stellen von ihrem Vorhaben abzulenken. Die Festgenommenen wurden der eingerichteten Ermittlungsgruppe der Kölner Polizei übergeben. Wie die Polizei schreibt, werde noch geprüft, ob "das Quintett" für Taten aus der Silvesternacht in Betracht kommt.
Übergriffe in der Silvesternacht auch in Hamburg
Auch die Polizei in Hamburg ermittelt wegen Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht. Die Opfer im Alter von 18 bis 24 Jahren seien jeweils von mehreren Männern an der Reeperbahn umringt und an der Brust oder im Intimbereich angefasst worden, sagte Polizeisprecher Holger Vehren am Dienstag. Zugleich hätten ihnen die Täter Handys, Papiere und Geld weggenommen. Es gehe um neun Fälle von sexueller Beleidigung, Raub und räuberischem Diebstahl.
Die Opfer seien am Beatles-Platz und im Bereich der Großen Freiheit "im Gedränge zum Teil gleichzeitig von mehreren Männern in unterschiedlicher Gruppengröße mit südländischem oder arabischem Aussehen angegangen worden", sagte die Polizei. Die Anzeigen bearbeite das Landeskriminalamt.
Es sei das erste Mal, dass solche Taten "so konzentriert und kompromiert" in Hamburg geschehen seien, sagte ein Sprecher der Polizei dem Tagesspiegel. Ob es eine Verbindung zu den Vorfällen in Köln gebe, lasse sich noch nicht sagen, "wir sind am Anfang der Ermittlungen". Außerdem seien die Angaben der betroffenen Frauen zu den Tätern "eher dürftig". Es sei von Männern im Alter zwischen 20 und 40 Jahren die Rede, die Tätergruppen würden auf fünf bis 20 Personen geschätzt. Die kriminelle Methode des "Antanzens" von Diebstahlsopfern sei allerdings nicht neu. "Das haben wir als Modus operandi bei Taschendiebstählen regelmäßig", sagte der Sprecher, "allerdings ohne sexuelles Antatschen".
Polizeisprecher Vehren zeigte sich optimistisch: In der Tatzeit zwischen 1.00 und 3.00 Uhr am Neujahrsmorgen hätten die zahlreichen Feiernden auf der Reeperbahn sicherlich viele Fotos gemacht. Wie es in einer Pressemitteilung der Polizei heißt, benötigen die Ermittler aufgrund der bislang nur vagen Personenbeschreibungen dringend weitere Zeugen. Insbesondere Besucher der Großen Freiheit, die dort in der betreffenden Nacht im Zeitraum von etwa 00:30-02:00 Uhr im Bereich des Beatles-Platzes/Eingang zur großen Freiheit Fotos von den Taten gemacht und dabei gegebenenfalls Personengruppen mit mehreren Männern aufgenommen haben, sind von Interesses für die Ermittler.
Hinweise bitte an die Verbindungsstelle im Landeskriminalamt unter der Rufnummer 040 - 4286-56789.
In Berlin bislang keine derartigen Fälle bekannt
Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) hat die sexuellen Übergriffe auf Frauen in der Silvesternacht in Köln und anderen deutschen Städten scharf verurteilt. "Es ist unerträglich und zutiefst verstörend, wie kriminelle Sexbanden hier mitten in unserem Land Jagd auf Frauen machen konnten", sagte der Innensenator am Dienstagvormittag. In Deutschland dürfe es keine "No-Go-Areas für Frauen" geben, der Rechtsstaat müsse mit aller Härte durchgreifen. Wer Frauen derart erniedrige oder als Beute betrachte, der können kein Teil unserer Gesellschaft sein, sagte Henkel weiter. "Diese Täter gehören hart bestraft und dort, wo es geht, auch abgeschoben." (mit dpa)