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Schaumwein ist ein Exportschlager aus der Ukraine.
© Getty Images/iStockphoto

Schaumwein von der umstrittenen Halbinsel: Gibt es bald keinen Krimsekt mehr?

Wenn um Mitternacht die Korken knallen, wird in Deutschland auch Krimsekt fließen. Sanktionen und Krieg in der Ukraine haben jedoch Folgen für den Schampus.

Ein wenig Geduld müssen Besucher mitbringen, den größten Schatz bekommen sie nicht sofort zu sehen. Adrian, ein junger Mann mit blondem Haar und routiniertem Ton, geleitet Gäste durch das unterirdische Reich der Kellerei Artwinery im Osten der Ukraine.

In einem Gewölbe der Artwinery drehen Frauen die Flaschen mit ihren Händen.
In einem Gewölbe der Artwinery drehen Frauen die Flaschen mit ihren Händen.
© Oliver Bilger

Die Tour durch das alte Gipsbergwerk führt vorbei an Tanks und Abfüllanlagen. Bis zu 72 Meter tief unter der Erde reifen auf 25 Hektar Weißwein, Rotwein, Rosé und Muskatwein.

Bekannt ist das Unternehmen indes vor allem für seinen Schaumwein, der in Flaschen gärt. In einem Gewölbe drehen Frauen die Flaschen mit ihren Händen, damit abgestorbene Hefe langsam in den Flaschenhals wandert. „Sehen Sie! Fotografieren Sie!“, ruft Adrian den Besuchern zu, „dann fahren wir weiter.“

Nach einer guten halben Stunde in den Stollen der Sektfabrik steuert Adrian sein Golfwägelchen, in eine Halle im Fels. Hier lagert und reift so weit das Auge reicht in olivfarbenen Flaschen, ein Tropfen, der auch in vielen deutschen Haushalten zur Silvesternacht gehört wie gute Vorsätze und Feuerwerk: Krimsekt.

In Bachmut lagern Millionen von Flaschen

Ende der 1950er Jahre sicherte ein Vertrag zwischen Sowjetunion und DDR die Lieferung des lieblichen Schaumweins von der Krim. Fortan stieg in Deutschland die Popularität. Jahre zuvor hatte Josef Stalin die Massenproduktion – insbesondere als Festtrunk zum Sieg über die Nazis – vorangetrieben. Der Sowjetskoje Schampanskoje war Moskaus Antwort auf den französischen Champagner.

Heute gibt es diverse Marken des weißen oder roten Schaumweins, die längst nicht nur auf der Krim entstehen. „Krimskoye“ aus der Ostukraine zählt wohl zu den bekanntesten.

In dem Gewölbe der Artwinery liegen die Flaschen dicht an dicht und mit dicker Staubschicht überzogen: Zehntausende, Hunderttausende – 1,2 Millionen, wie Adrian erklärt. Der Tourguide stellt sich auf einen Schemel, um die Berge aus Glas zu überblicken. Sie sind nur kleiner Teil, insgesamt sollen 14 Millionen Flaschen Krimsekt in den Kellergewölben lagern.

So weit das Auge reicht: Der Krimsekt gärt in Flaschen in den Kellern der Artwinery.
So weit das Auge reicht: Der Krimsekt gärt in Flaschen in den Kellern der Artwinery.
© Oliver Bilger

„Das sind die letzten Flaschen“, sagt Adrian. Der Grundwein stammt noch von der Krim und wird mit Zucker und Hefe abgefüllt, wie Adrian erläutert, dann gärt das Getränk zwei bis drei Jahre. Die feuchte Luft und Temperaturen zwischen zwölf bis 14 Grad – im Sommer wie im Winter – sind ideal für den Reifeprozess. „Der letzte Wein von der Krim“, wiederholt Adrian. Das sind keine prickelnden Aussichten.

Der edle Tropfen – ein Krisengetränk. Der seit bald sechs Jahren dauernde Konflikt zwischen Russland und der Ukraine sowie die Krim-Annexion im Jahr 2014 haben Folgen. Zwischen Halbinsel und Festland ist eine Grenze entstanden, die Lieferketten beendete. Die Artwinery hat im Herbst 2013 das letzte Mal Wein von der Krim erhalten. Seitdem bleiben nur die Vorräte. Unklar ist zunächst, wie lange noch mit dem Schampus vom Schwarzen Meer die Korken knallen werden. Endet die Krimsekt-Tradition in Deutschland?

Weinbau schon in der Antike

Begonnen hat der Weinbau auf der sonnigen Krim bereits in der Antike. Schaumwein soll erstmals im Jahr 1799 in Sudak und Aluschta an der Schwarzmeerküste erzeugt worden sein. Fürst Lew Golizyn gründete im späten 19. Jahrhundert eine Kellerei bei Jalta – im Dienst des Zaren. Internationale Popularität erlangte der Schampanskoje auf der Pariser Weltausstellung 1900, wo er mit einem Grand Prix ausgezeichnet wurde.

Traubenernte auf der Krim: Seit 2014 gelangen keine Güter mehr von der Halbinsel aufs ukrainische Festland.
Traubenernte auf der Krim: Seit 2014 gelangen keine Güter mehr von der Halbinsel aufs ukrainische Festland.
© Sergei Malgavko/imago images / ITAR-TASS

Der Name Krimsekt bezieht sich allerdings lange nicht mehr allein auf die Halbinsel. Gekeltert wird schon seit Jahrzehnten vor allem in der Ostukraine, knapp 700 Kilometer nordöstlich gelegen.

Die Stadt Artjomowsk, Heimat der Sektkellerei, wäre 2014 fast in die Hände der Separatisten in der Region Donezk gefallen. Bis an die Front sind es bis heute nur wenige Kilometer. Im Februar 2016 gab die ukrainische Regierung Artjomowsk einen neuen Namen: Bachmut. Die Marke Artyomovsk Winery wurde zu Artwinery.

Die Marke „Krimskoye“ zählt zu den bekanntesten in Deutschland.
Die Marke „Krimskoye“ zählt zu den bekanntesten in Deutschland.
© Oliver Bilger

Die Kellerei ist nach eigenen Angaben der größte Sektproduzent in Osteuropa. Im Sommer 1950 nahm das Unternehmen den Betrieb auf. Mehr als 600 Millionen Flaschen Schaumwein wurden seitdem produziert. Seit 1972 exportiert Artwinery roten Sekt, die Spezialität des Unternehmens, nach Westeuropa. Ein Großteil des in Deutschland bekannten Krimsekts kam also gar nicht von der Krim, sondern aus der Ostukraine.

Über Jahre war Krimsekt ein Exportschlager aus der Ukraine – und Deutschland ein großer Markt für Artwinery: Dorthin verkaufte die Firma bis 2014 knapp eine Million Flaschen pro Jahr, zuletzt sollen es 700.000 jährlich gewesen sein. Eine Zeit lang dürften die alten Bestände noch reichen. Was aber geschieht danach? Solange der Konflikt um die Halbinsel gärt, statt neuer Sekt in Flaschen, wächst die Gefahr, dass die Deutschen in Zukunft auf dem Trockenen sitzen. Denn eine Lösung im Streit um die Krim ist alsbald nicht absehbar.

Was wird aus dem Krimsekt?

„Wenn alle Flaschen leer getrunken sind, dann endet die Marke“, vermutet Gästeführer Adrian spontan – zumindest in Deutschland. Für den ukrainischen Markt könne man auch mit Trauben aus Odessa, Nikolajew und Cherson produzieren, sagt er. Auf dem Etikett kann trotzdem „Krim“ stehen, auch wenn die Trauben aus anderen Regionen kommen. Krimsekt ist, anders als Champagner, keine geschützte Marke. Aber was in die EU exportiert wird, muss Standards erfüllen: Ein Teil des Produktionsprozesses müsste auf der Krim stattfinden. Doch unterliegt der Verkauf von Produkten von der Krim ohnehin seit 2014 einem Einfuhrverbot in die EU.

Die Sanktionen machen das Geschäft zu einer Prüfung für Unternehmen. Wie Artwinery sich dieser stellen wird, vermag Adrian nicht zu beantworten. Das sei eine Frage für die Marketingabteilung. Doch dort herrscht offenbar ebenso Ratlosigkeit. Eine Mitarbeiterin verweist stattdessen an den deutschen Geschäftspartner: den Importeur Simex im nordrhein-westfälischen Jülich, der die Markenrechte an „Krimskoye“ hält. In einer schriftlichen Antwort heißt es dort: „In der Tat wird es in Zukunft in der Europäischen Union schwierig werden Krimsekt zu beziehen, solange die Sanktionen gegenüber Russland fortbestehen.“

„Zum heutigen Tag gibt es in Deutschland keinen echten Krimsekt“

Andere haben bereits reagiert. Die Sektkellerei Henkell Freixenet in Wiesbaden zum Beispiel, vertrieb früher einen Krimsekt namens „Ukrainskoye“, dessen Trauben zu 100 Prozent von der Krim stammten. „Aufgrund der politischen Situation konnte dies allerdings durch Wein-Bevorratung nur bis 2016 aufrechterhalten werden“, erklärt eine Unternehmenssprecherin. Weil die Weine nun aus der Südukraine stammen, verkauft das Unternehmen seinen Schaumwein seit 2016 als „Ukrainskoye – versektet in der Ukraine“.

Wenn Alexander Schneckenhaus, Gründer des Lebensmittelproduzenten und -Vertriebs Aldim aus dem brandenburgischen Eberswalde, über Krimsekt spricht, steigen Wehmut und auch ein wenig Ärger in ihm auf wie Bläschen im Sektglas. Bis 2014 verkaufte er die Marke „Sojus Krim“ nach Deutschland, deren gesamte Herstellung in Sewastopol stattfand. Für Schneckenhaus ist nur Sekt, der auch auf der Krim gärt, wirklich Krimsekt. „Zum heutigen Tag gibt es in Deutschland keinen echten Krimsekt“, sagt er. „Alles, was in den Geschäften als Krimsekt verkauft wird, ist falscher Sekt.“

Seiner Meinung nach ist Krimsekt also längst aus Deutschland verschwunden. Mit der Krim-Annexion und Sanktionen gegen Produkte der Halbinsel endete sein Geschäft. Bis heute, erzählt Schneckenhaus, erhalte er Anfragen von Kunden: „Wann kommt der Krimsekt von der Krim zurück?“ Eine Antwort kennt der Unternehmer nicht. Ihm bleibt nur die nur Erinnerung „an den besonderen Geschmack eines besonderen Sekts“.

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