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Für die meisten gehören Weihnachtsgeschenke zum Fest dazu.
© dpa/Gerald Matzka

Martenstein über Weihnachten: Fest der Heuchelei

Wir alle sollten an Heiligabend so tun, als ob uns alle Geschenke gefallen. Geheuchelte Freude ist oft das schönste Geschenk.

Der ideale Adressat eines Weihnachtsgeschenks ist ein Mensch, der nichts hat. Da kann man nicht viel falsch machen. Leider gibt es viele Menschen, die alles haben. Diese Leute müssen nicht unbedingt reich sein. Sie haben lediglich alles, von dem sie annehmen, dass sie es brauchen oder wollen.

Ich möchte für diese Personen nicht die Formulierung „wunschlos glücklich“ verwenden, da mir auch Zeitgenossen bekannt sind, die wunschlos unglücklich sind. An Weihnachten stellt die Bevölkerungsgruppe der wunschlosen Alleshaber jedenfalls ein Problem dar.

Manche Leute schenken einander nichts, zum Beispiel Paare. Das dürfte jedoch eine Minderheit sein. Den meisten macht Schenken ja auch Spaß, man schenkt nicht zuletzt, um dabei selber ein gutes Gefühl zu haben. Die Freude der Beschenkten macht den Schenkenden Freude, dies beweist, dass, neben anderem, auch das Gute in unserem Gemütsgebäude Platz hat.

Man kann das vorm Spiegel üben

Für mich war es früher ein Horror, meinem Vater etwas zu schenken. Er war ein netter Kerl, aber er hatte alles. Als ich ihm ein „Zeit“-Abo schenkte, sagte er: „Wozu soll ich denn so eine dicke Zeitung lesen? Denkst du, ich langweile mich?“ Als ich ihm einen besonders edlen Korkenzieher schenkte, sagte er: „Mein alter Korkenzieher funktioniert bestens, dieses Ding da sieht unpraktisch aus.“ Leider reagiere ich manchmal ähnlich. Als ich mal von Kollegen eine Lederhose geschenkt bekam, das war kurz vor meinem Umzug nach Bayern, sagte ich: „Die Bayern haben ein Rad ab, wer soll denn so was anziehen?“

Weihnachten, heißt es, sei das Fest der Liebe. Weihnachten sollte auch ein Fest der Heuchelei sein. Geheuchelte Freude ist oft das schönste Geschenk. Wir alle sollten an Heiligabend so tun, als ob uns alle Geschenke gefallen, sehr gut sogar. Man kann das vorm Spiegel üben.

Die Schenkenden schauen genau hin, sie erkennen auch Ironie. Von Formulierungen wie „Selbst gestrickte Socken mit Blümchenmuster habe ich mir schon immer gewünscht“ ist abzuraten. Wer jedes Jahr ein Buch bekommt, sollte nicht sagen: „Ein Buch, wow, das ist jetzt aber mal eine Überraschung.“ Falls es aber irrtümlicherweise das gleiche Buch ist wie im vergangenen Jahr, empfiehlt sich die Formulierung: „Da hast du wieder mal genau das Richtige ausgesucht.“

Kinder an die Macht? An Weihnachten stimmt es

Kinder sind die angenehmsten Weihnachtsgäste. Sie haben zum Beispiel kein Geld. Es ist also vollkommen ausgeschlossen, dass sie sich den Roboter mit Fernsteuerung, von dem sie seit Oktober reden, im November heimlich selbst gekauft haben. Kinder sagen, was sie wollen. Und sie wollen immer was. Der Satz „Ich brauche nichts, weil ich schon alles habe“ kommt einem Kind nicht über die Lippen.

Kinder an die Macht? An Weihnachten stimmt es.

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