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Weihnachtsgeschenke liegen unter einem geschmücktem Christbaum.
© Karl-Josef Hildenbrand / dpa

Konsum: Die Stille Macht der Geschenke

Die Geschenke abschaffen? Unmöglich: 18,4 Milliarden Umsatz allein in Deutschland. Weihnachten ist „too big to fail“. Ein Essay.

Ein Essay von Stephan Haselberger

In dieser Zeitung warb ein Spandauer Fotograf vor ein paar Tagen für ein mögliches Weihnachtsgeschenk: ein „Familien-Shooting“, ab 35 Euro. Und in einem kurzen, verwegenen Moment blitzte auf, was damit gemeint sein könnte: ein kurzer Schusswechsel. Dann endlich Stille.

Stille Nacht. Ein Ende der gehetzten Geschenkerallye mit ihrem wochenlangen Crescendo. Keine Wünsche mehr offen. Der perfekte Höhepunkt für die Adventszeit, an deren Ende alle sowieso ganz erschossen sind.

Ist Flucht in schwarzen Humor die Lösung für das drängendste Problem vor Weihnachten?

Die Stille zum Fest ist reine Erschöpfung

Die Jagd nach Geschenken seien für ein Viertel der Deutschen der größte Stressauslöser an Weihnachten, hieß es zuletzt. Die Zeitungen sind voll von Notfallplänen, wie man das ohne Schnappatmung überlebt. „Stie-hille Nacht …“, trägt das Lied in den Einkaufszonen zum Gegenteil bei. Und wer jemals einen Adventssamstag in den Shoppingzonen der Städte verbracht hat, hegt den Verdacht: Die Stille zum Fest ist reine Erschöpfung.

Warum tun wir uns das an? Jedes Jahr wieder? 

„Das Beste an Geschenken ist das Schenken“ – Schöne Beschenkung“, wirbt das Unterwäschemodel Sylvie Meis für ein Kaufhaus. Es sind die Wochen der Tautologien. Der Wiederholungen, der mantraartigen Beschwörungen. „Es weihnachtet mehr!“ (Saturn). „Einpacken ist das Vorspiel des Schenkens“, versucht man sich (Bikini Berlin) an „sex sells“. „Freude schenken“ (Comspot): ja Gott, was denn sonst? Stille Nacht, kommen Sie runter, aber „Feiern Sie Weihnachten mit GigaSpeed“ (Vodafone).

Lustvoll triggern die Firmen die Stresshormone: „Na, schon alle Geschenke beisammen?“, ploppt es in der In-Box auf. Mit ihren täglichen Mail-Countdowns erhöhen sie den Druck, nur um gleich die Lösung zu liefern: Kauf dich frei. Bei uns. Zwischen 282 und 452 Euro, je nachdem, welcher Studie man glaubt, will jeder Deutsche in diesem Jahr durchschnittlich ausgeben, um sich von diesem gesellschaftlichem Druck zu befreien.

Das Ritual: Jedes Jahr vor Weihnachten wird die Bereitschaft der Deutschen abgefragt, wie viel sie für Geschenke auszugeben bereit sind. In diesem Jahr sollen es 18,4 Milliarden werden, schon wieder eine Steigerung, sechs Prozent. Hinterher wird abgefragt, ob die Händler zufrieden sind. Es dämmert längst vielen, dass das in Bezug auf Weihnachtsgeschenke, auf den Sinn des Schenkens überhaupt, die völlig falschen Fragen sind.

Drogerie-Gutschein statt Weihrauch und Myrrhe

Geschenke sind die stille Macht, die dafür sorgt, dass Weihnachten überhaupt noch stattfindet, obwohl immer weniger Leute mit dem religiösen Inhalt etwas anfangen können. Diese wenigen spüren einen steten Schmerz: Wie konnte auf verschlungenen Wegen in 2000 Jahren aus Gold, Weihrauch und Myrrhe der Heiligen Drei Könige ein Drogerie-Gutschein werden?

Das Monster steht nun für sich selbst. 18,4 Milliarden, das ist „ too big to fail“. Man kann es nicht mehr abschaffen. 900 Millionen wollen allein die Berliner ausgeben. Man denke an die Arbeitsplätze! Die gut geölte Weihnachtsmaschine läuft das ganze Jahr, ab September für alle sichtbar. Weihnachten, dieses menschengemachte soziale Phänomen erscheint jährlich mit der Unausweichlichkeit einer Naturgewalt. Doch der zunehmend an Ekel grenzende Widerwillen gegenüber dieser schieren Masse, dieser Verpackungs-, Schenk-, Umtausch- und Einlösorgie nimmt stetig zu. 38 Prozent, sagt eine Umfrage, würden das Fest am liebsten ignorieren und verreisen, beugen sich aber ihren familiären Verpflichtungen.

In dem Versuch, die Kontrolle über die Geschenkespirale zurückzugewinnen, entstehen die individuellsten Formen: durch Totalverweigerung (Wir schenken uns nichts!) und durch selbst gesetzte Regeln: Jeder beschenkt nur eine Person, die Älteren nur die Jüngeren, oder es dürfen nur die Kinder etwas auspacken (leuchtende Kinderaugen!). Der Versuch produziert Leute, die lautstark sagen, dass sie nichts wollen – und trotzdem enttäuscht sind, wenn man sich dran hält.

Wert nicht an Kriterien des Opferns messen

Ein neueres Konzept haben die „Minimalisten“, die keine Gegenstände wollen. Sie schenken einander nur Immaterielles, gemeinsame Unternehmungen, Zeit. Auf den ersten Blick sieht das bescheiden aus, dabei ist es die viel größere Zumutung, nichts außer Zeit gelten zu lassen. Das knappste Gut von allen. Ein Geschenk ist danach nur dann wertvoll – und nur Wertvolles wollen wir ja –, wenn man es sich wirklich aus den Rippen geschnitten hat. Dann wird sein Wert allerdings eher an den Kriterien eines Opfers gemessen.

Nun ist es der Verkaufsmaschine egal, mit welchem Antrieb sie läuft: Cyber Monday, Black Friday, Halloween, Weihnachten. Bis zu 40 Prozent des Jahresumsatzes werden in den letzten beiden Monaten erwirtschaftet. Wirtschaftlich ist Weihnachten alternativlos. Und doch schenkt man ja nicht zur Erhaltung von Arbeitsplätzen. Geben alle Leute dieses Geld bloß aus, „weil es auf dem Sparbuch nichts mehr bringt“, oder ist es noch ein inneres Bedürfnis, viel zu schenken? Und was wäre es sonst, was uns vor Weihnachten immer wieder im Griff hat? Wie kann etwas sich dauernd wiederholen, obwohl alle daran leiden? Ist es Masochismus? Pflicht? Ein Opfer auf dem Altar der Freundschaft? Der dringend benötigte menschliche Kitt für die säkulare Gesellschaft? Eine Art Glaube daran, dass man sich die drei freien Tage verdienen muss, indem man vorher durch die Hölle geht? Diese merkwürdige Tradition, in der alle so tun, als würden sie auf Weihnachten warten, aber in Wahrheit warten alle auf den Frühling und dass es wieder heller wird und die Leute wieder freundlicher. Bis dahin produzieren sie mit Zucker gute Laune. Der ganze Süßkram: legale Stimmungsaufheller.

Gelegenheit macht Geschenke. Termine machen Stress. Leider ist Weihnachten ein reines Termingeschäft. Viele stehen mit einem Gefühl der Kapitulation an den Kassen.

„Und wenn wir uns dieses Jahr nichts schenken?“ – „Zu spät, ich habe schon was für dich.“

Leider ist es mit dem Schenken wie mit dem Kommunismus: Es gibt ein Ideal, aufgeladen mit Magie. Und es gibt eine real existierende Form, die manchmal, wenn es ganz schlecht läuft, das Ideal sogar in sein Gegenteil verkehrt, pervertiert.

Ein Geschenk ist ein Kommunikationsangebot. Und als solches kann es in die Hose gehen. Aus der Botschaft „Ich habe an dich gedacht“ wird dann: „Ich habe das Denken den Verkäufern überlassen“. Oder: „Ich dachte, die gute Absicht reicht aus“. Oder: „Denken war noch nie mein Fall“.

Es ist schrecklich. Wir alle kennen ja die Studien über die Wohltaten des Schenkens, sie werden pünktlich vor Weihnachten immer wieder zitiert – eine kanadische Studie, die nachwies, dass Teilen und Schenken blutdrucksenkend wirken. Ähnlich dem Effekt von Sport. Eine amerikanische Studie, die nachwies, dass es glücklicher mache, anderen als sich selbst etwas zu kaufen. Kauft Geschenke, also tut ihr Euch selbst etwas Gutes!

"Was wollen Sie denn ausgeben?"

Ein Geschenk, das spiegele immer die Beziehung. Hilflos eingesponnen in das Netz der Beratungsgespräche der Verkäufer vom jeweiligen Fach erfahren die Leute, dass Zwei-Wege-Boxen keinem Vergleich mit Drei-Wege-Boxen standhalten, Kaltschaum kein Vergleich zu Rosshaar ist und, na klar, Qualität hat ihren Preis. „Sie können sich natürlich auch für ein Plastikgehäuse entscheiden, wenn Sie es nach Weihnachten gleich wegwerfen wollen ...?!“ In der merkwürdigen Bereitschaft, Beziehungen ein Preisschild zu verpassen, ist „Das bist du mir wert“ direkt an die Frage gekoppelt: „Was wollen Sie denn ausgeben?“ 13,8 Millionen Deutsche wollen ihre Geschenke über den Dispo finanzieren. Weil sie es sich wert sind. Haha. Oder dieser Tage besser: Hoho.

Aber die Masse der Gegenstände und ihr exorbitanter Wert sind noch nicht der Kern des Schenkens. Sie sind nur das Symptom. Es geht ja nicht um den Gegenstand an sich, sondern um seine soziale Funktion. Das Schenken webt uns ein in eine Kontinuität gegenseitiger Rituale und Verpflichtungen. 1950 hat der Soziologe Marcel Mauss in „Die Gabe“ archaische Gesellschaften mit ihren Geschenkritualen untersucht und berichtet von großartigen Auswüchsen, bis hin zu indianischen Stämmen, die im „Potlatsch“ ihre komplette Habe herschenken.

Würde man die Deutschen mit Abstand als fremde Gesellschaft betrachten, fiele sofort auf: Hier gibt es immer mehr Geschenke. Aber wir verweigern die Freude. Wir freuen uns nicht einfach über ein Geschenk, wir wehren es ab und erklären es sogar für überflüssig. Berühmte Sätze zur Abwehr fortan kursiv:

„Was wünschst du dir?“ – „Ich brauche nichts.“

Brauchen? Wer kam eigentlich auf die schräge Idee, dass Schenken an das Brauchen zu koppeln? Hat man nicht schon immer auch Könige beschenkt? Das Motiv des Schenkers ist vom Bedürftigkeitsstatus des Beschenkten völlig unabhängig. Abgesehen davon, dass man nun wirklich nicht jedes Mal eine Niere spenden kann: Schenkte man nur dem, der etwas „braucht“, wäre damit nicht jedes Geschenk eine latente Beschämung für die, die es „nötig haben“? Weitergedacht schwingt mit: Da wir ja eigentlich in einer Gesellschaft wie unserer alle nichts mehr „brauchen“ und „schon alles haben“, ist im Großen Ganzen das Schenken überhaupt überflüssig.

„Aber das war doch nicht nötig!“

Genau deshalb macht es doch so viel Freude! Wenn nichts erwartet wurde. Nie ist man freier im Schenken, als wenn nichts nötig ist. Nie macht es größeren Spaß. Keine bessere Überraschung möglich. Vielleicht brechen genau deshalb einige immer wieder den vereinbarten Geschenke-Nichtangriffspakt – weil Schenken endlich wieder eine Überraschung ist. Nicht erwartet wird. Denn Geschenke müssen freiwillig sein und gegeben werden, ohne sofort eine Gegenleistung zu erwarten, sonst ist es im Kern etwas anderes. Dann ist es ein Tauschhandel, eine gesellschaftliche Konvention, ein Opfer, eine Entschädigung oder eine soziale Investition.

„Der kann sich doch alles selber kaufen, was er haben möchte.“

Na und? Wenn man Freunden nur schenkt, „was sie sich nicht selber kaufen können“, dann müsste man vielen Leuten sehr teure Dinge schenken. Wer so etwas sagt, enttarnt sein Geschenk als schnöde Lieblosigkeit. Denn wer sagt denn, dass derjenige überhaupt weiß, was er haben möchte? Sicher könnte er sich das Buch kaufen, das ihm eine neue Welt eröffnet, aber er hätte es niemals alleine gefunden!

Beim Schenken feuert das Belohnungszentrum im Gehirn wie wild. Wilder noch, als wenn man selber beschenkt wird. Die Studien differenzieren aber nicht, was passiert, wenn das Gegenüber das Geschenk für überflüssig oder aber für zu groß erklärt.

Im Prinzip schneiden wir den Schenkenden mit unseren rituell abwehrenden Antworten die Freude ab. Einerseits mit dem jährlichen Lamento über das generell Überflüssige des Schenkens in einer Gesellschaft wie der unseren. Andererseits aber auch mit dem merkwürdigen Bedürfnis, „quitt“ zu sein, nicht auf Dauer mehr zu kriegen, als man selber gibt. Und möglicherweise ist das der Grund für die Abwehr: Viele Leute freut ein Geschenk nicht, es beschämt sie. Es belastet sie, weil sie sich zu Reaktionen verpflichtet fühlen. Und weil wir nur schwer ein Ungleichgewicht stehen lassen können, fühlen wir uns gedrängt, mitzuhalten. Darin liegt der Hebel: Wenn Geschenke keine Dankbarkeit, sondern Schuldgefühle auslösen, macht uns das anfällig für die Spirale, für die werbenden Erlösungsversprechen: Kauf dich frei von deiner Schuld!

Man könnte das unterbrechen: Einfach mal ein Geschenk annehmen. Und nur Danke sagen.

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