Hochwasser in Deutschland: „Fahrzeuge wurden zum Spielball der Wassermassen“
Starkregen und Hochwasser treffen auch Oberbayern schwer – und wieder sterben Menschen. In Rheinland-Pfalz wird das immense Ausmaß jetzt erst richtig deutlich.
Sie steht vor ihrem Haus in Bischofswiesen und traut ihren Augen nicht. „Ich hab mein ganzes Hab und Gut verloren“, sagt die verzweifelte Frau, die ihren Namen nicht nennen möchte. Ihr Keller steht unter Wasser – und die Wassermassen in der Straße haben Tonnen an Geröll mit sich gebracht.
So wie ihr geht es zahlreichen Anwohnern in der 7000-Einwohner-Gemeinde im äußersten Südosten Oberbayerns. Insbesondere der Landkreis Berchtesgadener Land ist schwer von dem Hochwasser in der Nacht zu Sonntag getroffen worden. Zwei Menschen starben, 130 Menschen mussten ihre Häuser verlassen, weil diese vom Einsturz bedroht sind.
Massive Regenfälle von bis zu 100 Litern pro Quadratmeter im Berchtesgadener Talkessel hatten am Samstagabend den Fluss Ache über die Ufer treten und Hänge abrutschen lassen. Der örtliche Einsatzleiter Anton Brandner sprach von dramatischen Szenen: „Fahrzeuge auf den Straßen wurden zum Spielball der Wassermassen.“ Betroffen waren vor allem die Orte Berchtesgaden, Bischofswiesen, Schönau am Königssee, Marktschellenberg und Ramsau.
Um 22.22 Uhr rief der Landkreis den Katastrophenfall aus. Mit Rekordwerten von über 3,80 Metern hat die Berchtesgadener Ache so viel Wasser geführt wie noch nie. Zwar kam die Regenfront mit Ansage, gewappnet war aber kaum einer.
„Unsere Helfer sind im Dauereinsatz“, sagte Landrat Bernhard Kern (CSU) am Sonntagvormittag. Die ganze Nacht hindurch waren Keller leergepumpt und Straßen mit schwerem Hilfsgerät wieder freigelegt worden. Zu den zwei Opfern sagte Kern, eines sei an einer natürlichen Ursache verstorben. Aber auch das könne mit dem Unwetter zusammenhängen.
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Rund 890 Feuerwehrleute und Einsatzkräfte sind Samstagnacht aus dem südostbayerischen Raum angereist – und waren bei bis zu 500 Einsätzen vor Ort. Sie halfen, wo es nur ging, auch bei der Sicherung mit Sandsäcken. Die Kunsteisbahn am Königssee traf es besonders schwer. Dort schätzt der Generalsekretär des Deutschen Bob- und Schlittenverbands die Schäden auf über 20 Millionen Euro.
In der rund 2000 Einwohner zählenden Gemeinde Kordel in Rheinland-Pfalz begannen am Samstag hingegen die ersten Aufräumarbeiten. In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag war dort der kleine Fluss Kyll über die Ufer getreten und hatte große Teile der Gemeinde unter Wasser gesetzt. Bis zu 2,50 Meter hoch habe das Wasser in den Straßen gestanden, berichteten Anwohner.
Der Ortskern war zeitweise von der Außenwelt abgeschnitten, die Bewohner mussten sich teils auf die Dächer ihrer Häuser retten und konnten nur mit Booten erreicht werden.
„Tote und Verletze haben wir glücklicherweise keine zu beklagen“, sagte Feuerwehrsprecher Christian Otto. Dennoch bietet sich in Kordel am dritten Tag nach der Katastrophe ein verheerendes Bild. Hunderte Häuser seien teils schwer betroffen, sagte die zuständige Feuerwehr, einige von ihnen einsturzgefährdet.
Am Samstag stapelten sich durchnässte Möbel, Elektrogeräte und persönliche Gegenstände auf den Straßen, Einheiten von Feuerwehr, Polizei, DLRG, dem Technischen Hilfswerk und der Bundeswehr waren aus ganz Deutschland angereist, um die lokalen Kräfte zu unterstützen.
Wie lange die Aufräumarbeiten dauern könnten, dazu wollte Feuerwehrsprecher Otto nichts sagen: „Wir beginnen gerade erst das Ausmaß der Schäden zu sehen“, sagte er. „Vielerorts gibt es noch kein Wasser oder Strom, die Kläranlage ist zerstört. Es wird sehr lange dauern.“
Zumal die Lage immer noch kritisch sei, wie Otto betonte: „Es gibt immer noch Gefahren, zum Beispiel durch Erdrutsche.“ Zuletzt habe am Samstag eine Straße wegen eines solchen gesperrt werden müssen.
Bäume und Stahlcontainer trieben in den Wassermassen
Ganze Hangabschnitte hatten sich auch in Bischofswiesen gelöst, und rutschten Richtung Tal. Die Baustelle des Bischofswieser Bahnhofs war zeitweise überflutet. In Berchtesgaden musste am späten Samstagabend eine Schleuse der Ache geöffnet werden – per Hand.
Das Flussbett konnte die Wassermassen, in denen Bäume, Möbel und Stahlcontainer trieben, nicht mehr führen. Dutzende Personen waren aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen. „Die Schäden sind immens“, sagte ein Feuerwehrmann. Und die Lage bleibt angespannt, denn die nächste Regenfront ist bereits angekündigt.
Riesige Schäden gibt es auch in der Gemeinde Marktschellenberg, die rund um den Fluss vollständig überflutet war. Die Ache, die sonst nur etwa 1,5 Meter Wasser führt, trat dort über ihre Ufer. In den engen Gassen stand das Wasser. Talwärts drückten die Regenmengen von den Berghängen. Auf der anderen Seite des Berges liegt das österreichische Hallein. Dort kam es zu dramatischen Szenen, als Fahrzeuge weggespült wurden und die Altstadt einem reißenden Fluss glich.
„Das Problem ist, dass man die Intensität eines Unwetters nicht vorhersehen kann“, sagte ein Helfer. Sich dagegen zu schützen, sei unmöglich. Das letzte große Unwetter, das Berchtesgaden Hochwasser bescherte, war im Jahr 2013. Damals lag der Pegel der Ache bei 3,21 Meter – rund 60 Zentimeter niedriger als am Samstagabend. Auch im pfälzische Kordel lag der Pegel weit über den bisherigen Rekordwerten. Wurden bislang knapp fünf Meter erreicht, lag die höchste Messung am Donnerstag bei über acht Metern.
Kilian Pfeiffer, Dennis Pohl