Mexiko: Experten zweifeln offizielle Version zu verschwundenen Studenten an
Eine unabhängige Kommission stellt die von der Staatsanwaltschaft festgestellten Motiv und Todesart in Frage.
Fast ein Jahr nach dem Verschwinden der 43 Lehramtsstudenten in Mexiko sind die offiziellen Ermittlungen infrage gestellt worden. Am Sonntag stellte eine Gruppe unabhängiger Ermittler ihren Abschlussbericht vor, wonach die Leichen der Studenten weder auf einem Müllplatz verbrannt wurden, noch ihr Verschwinden ein politischer Racheakt war. Damit brach die Hypothese, die von der Staatsanwaltschaft als „historische Wahrheit“ bezeichnet wurde, zumindest teilweise in sich zusammen.
Verbrennen hätte zu lange gedauert
Die offiziellen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft stützen sich auf die Aussagen von festgenommenen Killern einer Drogenmafia, denen zufolge die Studenten auf einer Müllkippe exekutiert und ihre Leichen verbrannt wurden. Diesen Tathergang stellte die unabhängige Kommission infrage. Es habe weder genügend Brennstoff zur Verfügung gestanden, noch habe es einen ausreichend langen Brand gegeben. 30 Tonnen Holz hätten mindestens 60 Stunden lang brennen müssen, um 43 Leichen einzuäschern, sagte er. Inhaftierte Gangmitglieder hatten angegeben, dass die Leichen nach 16 Stunden verbrannt gewesen seien. Vor Ort wurde lediglich Asche von einer Leiche identifiziert.
Auch das Tatmotiv zweifelten die Ermittler an. Der Staatsanwaltschaft zufolge handelte es sich um einen Racheakt des Bürgermeisters von Iguala, den die Kritik der linksradikalen Studenten störte, die an diesem Tag auf ihrem Weg zu einer Demonstration in die Hauptstadt in Iguala Station machten.
Beweise wurden unterschlagen
Die unverhältnismäßig brutale Reaktion könne vielmehr damit zu tun haben, dass die Studenten auf ihrer Fahrt unwissentlich einen Bus gekapert hatten, in dem eine Drogenladung transportiert wurde, so die Expertenkommission. Iguala ist einer der wichtigsten Umschlagplätze für Heroin, das in die USA geschmuggelt wird. Auch dem Bürgermeister von Iguala werden Verbindungen zu einem Drogenkartell nachgesagt.
Bei den Ermittlungen kam es den Experten zufolge zu zahlreichen Mängeln und Versäumnissen. Beweise wurden unterschlagen oder verschwanden. Die offizielle Hypothese beruhe auf Geständnissen, die zumindest teilweise durch Folter erzwungen wurden. Die Angeklagten hätten vier unterschiedliche Versionen des Tathergangs geschildert, resümierten die Experten.
Die unabhängige Ermittlungskommission wurde durch ein Abkommen zwischen der Interamerikanischen Menschenrechtskommission und dem mexikanischen Staat eingerichtet, nachdem im September vorigen Jahres eine Gruppe Studenten von Polizisten und Killern eines Drogenkartells beschossen und entführt wurde. Der Fall hatte wegen seiner Brutalität und der Verwicklung von Polizisten, Drogenkartellen und Politikern international Aufsehen erregt.
Präsident will Ermittlungen vertiefen
Die Kommission empfahl der Regierung, den Fall neu aufzurollen und insbesondere nach öffentlichen oder geheimen Krematorien zu suchen, in denen die Leichen möglicherweise verbrannt wurden. Nach Erkenntnis der Kommission wussten sowohl das Militär als auch die Bundespolizei von der Menschenjagd in Iguala. Ihre Rolle sei unklar. Zumindest aber hätten sie den Angriff nicht verhindert. Eine direkte Befragung der Verantwortlichen der örtlichen Militärkaserne erlaubte die Regierung den Experten nicht.
Präsident Enrique Peña Nieto ordnete umgehend an, die Argumente der Experten in Betracht zu ziehen und die Ermittlungen entsprechend zu vertiefen. „Mexiko wird sich weiter anstrengen, die Menschenrechte zu sichern und den Rechtsstaat zu stärken“, twitterte der Staatschef.