Klimaphänomen: El Niño kommt mit voller Wucht
Wetterchaos von Asien bis Afrika – Dürren und Überflutungen rund um den Pazifik. Der aktuelle El Niño ist einer der stärksten bisher. Und der Höhepunkt ist noch nicht erreicht.
Die Erleichterung über den Starkregen in Kalifornien Mitte Oktober hat nicht lange angehalten. Zwar haben sich viele nach vier Jahren Dürre schon darüber gefreut, dass es endlich einmal wieder schüttete. Doch die knochentrockenen Böden, auf denen vielerorts auch aufgrund dramatischer Buschfeuer nichts mehr wächst, konnten das Wasser nicht aufnehmen. Sturzbachartig wurde die Erde großflächig weggeschwemmt.
Die Wissenschaftsplattform „Phys.org“ zitiert Tim Krantz, einen Professor für Umweltstudien an der Redlands-Universität in Kalifornien mit der Einschätzung, dass die El-Niño-Niederschläge nicht ausreichen würden, um die ausgetrockneten Trinkwasserreservoirs und die Grundwasserreserven wieder aufzufüllen. Dafür brauche es Schneefälle. Und ob es die in einem El-Niño-Jahr geben wird, das stets wärmer ausfällt als Durchschnittsjahre, ist schwer zu sagen. 2015 ist, so viel ist jetzt schon klar, auf dem Weg eines der wärmsten Jahre seit Beginn der Wetteraufzeichnungen zu werden.
Am Montag bestätigte die Welt-Meteorologie-Organisation (WMO) noch einmal, dass der aktuelle El Niño einer der drei stärksten je gemessenen ist. El Niño ist ein in unregelmäßigen Abständen wiederkehrendes Klimaphänomen, das dann vorliegt, wenn über mindestens drei Monate die Temperatur im Ost-Pazifik mindestens 0,5 Grad oberhalb der des West-Pazifiks liegt. In den vergangenen drei Monaten lag die Temperaturdifferenz im Durchschnitt bei zwei Grad, das ist zuvor nur drei Mal gemessen worden: 1972/73, 1982/83 und 1997/98.
WMO-Generalsekretär Michel Jarraud sagte: „Es sind schwere Dürren und verheerende Überflutungen in den tropischen und subtropischen Regionen beobachtet worden – dieser El Niño ist der stärkste seit 15 Jahren.“ Jarraud warnte davor, dass in Zeiten fortschreitender Erderwärmung Wechselwirkungen zwischen diesem „natürlich vorkommenden El-Niño-Ereignis und dem menschengemachten Klimawandel“ in einer Weise möglich seien, „die wir noch nie zuvor erlebt haben“.
In den betroffenen Regionen reicht den Menschen aber bereits das, was El Niño üblicherweise mit sich bringt. Die Zahl der tropischen Zyklone und Taifune im Pazifik liegt deutlich höher als in früheren Jahren. Im Juli sind sechs tropische Wirbelstürme zur gleichen Zeit beobachtet worden. Ein sehr seltenes Ereignis. Erst vor wenigen Tagen hinterließ Hurrican Patricia eine Spur der Verwüstung in Mexiko. Bereits im Frühjahr hatte ein Zyklon den pazifischen Inselstaat Vanuatu schwer getroffen. Der Höhepunkt des El Niño steht erst noch bevor. Er wird in der Regel kurz vor dem Jahresende erreicht. Doch nach WMO-Angaben ist damit zu rechnen, dass El Niño noch bis in die ersten drei Monate des kommenden Jahres hineinreicht.
Ein schwacher Monsun und Dürre in Südostasien
Der indische Monsun zwischen Juni und September ist – wie es zu befürchten war – schwächer ausgefallen. Es fielen nur rund 86 Prozent der durchschnittlichen Regenfälle, der fehlende Niederschlag lässt die Ernten deutlich geringer ausfallen. Die Vereinten Nationen haben vor Wochen vor Versorgungsengpässen bei der Ernährung Hunderttausender Menschen auf dem Subkontinent gewarnt.
In Südostasien herrscht seit Monaten Dürre. Das ist in diesem Jahr besonders dramatisch, weil die Waldbrände in Indonesien die gesamte Region mit einer dicken Rauchwolke bedeckt haben. In Singapur, Malaysia und auf vielen indonesischen Inseln ist die Luftverschmutzung wegen der Brände derzeit so dramatisch wie in Peking. Die Trockenheit hat die Brandrodungen, die immer noch vorkommen, völlig außer Kontrolle geraten lassen. Auch in früheren Jahren haben Wälder und Torfböden gebrannt, aber in diesem Jahr gelingt es den Behörden in Indonesien bisher offenbar nicht, die Brände wieder unter Kontrolle zu bringen.
In Ostafrika dagegen leiden die Menschen seit Wochen unter sturzbachartigen Regenfällen, die häufig zu Schlammlawinen oder Erdrutschen führen. In Kenia reißen die Katastrophenmeldungen seit gut vier Wochen nicht mehr ab. Dabei ist der Höhepunkt der eigentlich „kleinen Regenzeit“ noch gar nicht erreicht. Er liegt Anfang Dezember.
Im Süden Afrikas dagegen ächzen die Länder unter einer hartnäckigen, auch El-Niño-bedingten Dürre. In Südafrika sind Trinkwasservorräte knapp. In Botswana sind die Wasserlöcher der Nationalparks fast leer. Die in dieser Jahreszeit ohnehin nur spärlich tröpfelnden Viktoria-Fälle sind auf sambischer Seite gerade völlig versiegt. Und überall fallen die Ernten dürftig oder ganz aus. Das trifft allerdings auch auf Äthiopien zu, wo in diesem Jahr erstmals seit mehreren Jahrzehnten wieder vor einer Hungersnot gewarnt worden ist.
Im nördlichen Südamerika, also in Peru, Ecuador, womöglich auch Bolivien und im Norden Chiles erwarten die Meteorologen in diesem Jahr starke Regenfälle. Die haben bisher noch nicht eingesetzt. Sicher ist aber, dass die Fischer vor Peru in diesem Jahr ziemlich leere Netze aus dem Meer ziehen werden. Den Anchovis-Schwärmen, die sonst um Weihnachten herum dort zu erwarten wären, ist es wegen des El Niños einfach zu warm. Das hat dem Phänomen auch seinen Namen eingebracht: das Christkind, wenn auch ein ziemlich böses.
Im gesamten Pazifik leiden zudem die Korallen unter dem zu warmen Meer. Schon Ende 2014 setzte im Nordpazifik eine Korallenbleiche ein, die sich in diesem Jahr in den südlichen Pazifik und den Indischen Ozean ausgedehnt hat. Korallen reagieren auf höhere Temperaturen sehr empfindlich. Die Ökosysteme gelten schon bei einer globalen Erwärmung um 1,5 Grad im Vergleich zum Beginn der Industrialisierung als nicht mehr zu retten.