Pädophilie-Skandal in Großbritannien: Eine Verurteilung und eine verschwundene Liste
Der Fernsehmoderator Rolf Harris ist wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Großbritannien rätselt vor diesem Hintergrund auch über ein Pädophilen-Dossier.
Der Entertainer und Maler Rolf Harris wird die nächsten Jahre im Gefängnis verbringen. Am Freitag wurde der Onkel aus dem Kinderfernsehen zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt – wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen in 12 Fällen. Jetzt machen sich die Briten daran, die Erinnerungen an einen weiteren beliebten Entertainer zu vernichten – ähnlich wie bei BBC-Star Jimmy Savile, bei dem nicht nur der Gedenkstein vom Grab entfernt wurde. Plötzlich will zum Beispiel niemand wissen, wo das Porträt von der Queen ist, das die BBC 2005 bei ihrem malenden Fernsehstar Harris bestellte. In seinem australischen Geburtsort wurde das Foto des inzwischen 84 Jahre alten Entertainers im Rathaus abgenommen.
Andere werden die Erinnerungen an Harris und seinesgleichen nicht so leicht los. Täglich melden sich neue Opfer. 120 Parlamentarier, angeführt von dem Labour-Abgeordneten Simon Danczuk und dem ehemaligen Tory-Minister für Kinder, Tim Loughton, fordern eine umfassende parlamentarische Untersuchung von „historischem sexuellem Missbrauch“ in Großbritannien. „Um den Opfern eine Stimme zu geben“, sagte Danczuk. Die Aufarbeitung des Missbrauchs von Minderjährigen in Kirchen, Schulen, in Fernsehstudios, sogar in Krankenhäusern, ist längst nicht zu Ende.
Beschwerden wurden nie ernsthaft verfolgt
„Die Politik ist der letzte Zufluchtsort für den Missbrauch von Kindern“, sagt Danczuk, der Abgeordneter in Rochdale ist, wo der nun wegen Kindsmissbrauch enttarnte Liberale Cyril Smith bis 1992 Abgeordneter war. „Er hörte erst damit auf, als er starb“, sagte Danczuk, der ein Buch über den 2010 verstorbenen Politiker schrieb. Demnach gab es im Laufe der Jahre 140 Beschwerden über Smith, der vor allem in Waisenhäusern sein Unwesen trieb. Nie wurden sie ernsthaft verfolgt. „Smith war Teil eines Netzwerkes, das sich gegenseitig schützte“, behauptet Danczuk und bezieht sich auf ein Dossier, das nun Furore macht – weil es verschwunden ist.
Es wurde 1983 von dem Tory-Abgeordneten Geoffrey Dickens an den damaligen Innenminister Leon Brittan überreicht. „Acht Spitzennamen stehen auf meiner Liste der Schande“, hatte Dickens erklärt, machte die Namen aber bis zu seinem Tod nie bekannt. Brittan will das Dossier dem Innenministerium, das Innenministerium will es der Polizei weitergereicht haben. Finden kann es niemand. „Das wird die Skepsis der Menschen noch erhöhen, dass hier etwas unter den Teppich gekehrt wird“, sagte Danczuk. Alle fassen das Thema mit höchster Vorsicht an. Als der inzwischen gestorbene, ehemalige Politiker Lord McAlpine 2012 in der BBC bezichtigt wurde, Teil eines Pädophilenrings gewesen zu sein, stellte sich das als falsch heraus. Die BBC musste Entschädigung zahlen und sich entschuldigen.