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Nichts gelernt. George Entwistle, der neue Chef der BBC, wird nach der Parlamentsanhörung von den Medien umringt.
© dapd

Nach dem Pädophilie-Skandal: Die BBC steht am Abgrund

Nach dem Pädophilie-Skandal um Jimmy Savile tauchen Vorwürfe gegen weitere Mitarbeiter auf. Groß ist auch das Entsetzen über den neuen Chef George Entwistle, der der altehrwürdigen Institution ihre Integrität wiedergeben sollte. Das ging schief.

Der Pädophilie-Skandal um den verstorbenen britischen Fernsehstar Jimmy Savile hat die BBC als eine der angesehensten Organisationen der britischen Gesellschaft in Aufruhr versetzt. Aber die BBC ist nicht die einzige Establishment-Institution, die in den Strudel des Skandals gezogen wird. Premier Cameron ordnete gestern eine Untersuchung an, die herausfinden soll, warum Kronanwaltschaft und Polizei nicht schärfer und konsequenter gegen den BBC-Star ermittelten. Jahre, vielleicht jahrzehntelang scheint die Gesellschaft die Augen und Ohren vor Gerüchten und auch ganz konkreten Hinweisen verschlossen zu haben, dass Savile systematisch und dauerhaft verwundbare Kinder und Teenager missbraucht hat. Und Savile scheint, wie sich jetzt zusätzlich herausstellt, nicht der Einzige gewesen zu sein. Die BBC untersucht nach eigenen Angaben inzwischen neun Vorwürfe sexueller Belästigung gegen jetzige und frühere BBC-Angehörige – darunter seien auch „berühmte Namen“. In einigen Fällen sei die Polizei eingeschaltet worden.

Der exzentrische Savile, blond, immer mit Zigarre und glitzernden Trainingsanzügen, Moderator von „Top of the Pops“ in den sechziger Jahren, dann mit seiner eigenen Familiensendung „Jim’ll fix it“, war unentwegt als Wohltäter für Kinderheime und Krankenhäuser aktiv und wurde sogar von Papst Benedikt geehrt. Aber wie wir heute wissen, nützte er den Status und das Ansehen, das er als Bürgerschreck vor allem bei naiven Teenagern hatte, zu unheiligen Zwecken. Er starb im Oktober des letzten Jahres mit 85 Jahren, wurde mit Pomp und unter großer nationaler Anteilnahme begraben. Die BBC selbst ehrte Savile mit einer Sendung in ihrem Weihnachtsprogramm. Dann kam heraus, dass das BBC-Magazin „Newsnight“ Anfang Dezember selbst Recherchen über das Sittenleben des Stars begonnen hatte. Nur, dass das Programm abgesetzt wurde. Geschah dies auf Geheiß der Programmdirektion, um die Tributsendung nicht zu gefährden? Diese Woche wurde ein Programm des BBC-Recherchemagazins „Panorama“ ausgestrahlt, das sich kritisch mit der Absetzung des „Newsnight“-Programms befasste. Die Reporterin Liz MacKean sprach in dem Programm von „irreführenden Erklärungen“ der Programmleitung und beschrieb, wie die Einstellung der BBC gegenüber der Untersuchung Saviles schlagartig umgeschlagen sei. „Im einen Moment hieß es, exzellent, lasst uns das ausstrahlen, am nächsten Tag hieß es Stopp“.

Jimmy Savile, exzentrischer BBC-Star. Er starb vor einem Jahr im Alter von 85 Jahren.
Jimmy Savile, exzentrischer BBC-Star. Er starb vor einem Jahr im Alter von 85 Jahren.
© dpa

Seit der Stein ins Rollen kam, haben sich der Polizei zufolge über hundert Menschen gemeldet, die in ihrer Jugend, teilweise vor Jahrzehnten, von Savile belästigt und missbraucht wurden. Die Familie Saviles selbst ließ, empört über die Enthüllungen, seinen Grabstein entfernen und auf eine Müllhalde bringen. Starkult und Bewunderung hinderten die Opfer oft, sich zu melden. In anderen Fällen wurden ihre Anschuldigungen nicht ernst genommen oder von den Menschen in Saviles Umgebung unterdrückt. BBC Generaldirektor George Entwistle, erst vier Wochen im Amt, sprach am Dienstag in einer zweistündigen Parlamentsanhörung von einem „allgemeineren kulturellen Problem der BBC“, das Savile den Missbrauch in den sechziger, siebziger und achtziger Jahren ermöglicht habe.

Aber es war die Aussage Entwistles selbst, die dem Skandal nun eine neue Wende gab. Abgeordnete und die Presse, sogar der BBC wohlgesinnte Kreise, waren über die ausweichenden und vagen Aussagen Entwistles ziemlich entsetzt. Es wurde klar, dass er und andere BBC-Chefs die Vorwürfe gegen Savile immer noch nicht wirklich ernst nahmen. Dass trug nicht gerade zu Vertrauen bei, dass die BBC selbst es schaffen könnte, die Vorwürfe aufzuklären. Zusätzlich gab es Empörung, dass der leitende Redakteur des Nachrichtenmagazins „Newsnight“ nun als Sündenbock hingestellt und suspendiert wurde. Die „Daily Mail“ schrieb: „Der BBC schien ihre Marke und ihre Reputation wichtiger gewesen zu sein als Gerechtigkeit für Opfer, die in einem Klima sexueller Verderbtheit belästigt und vergewaltigt wurden“.

Gestern fetzten wieder per Twitter die Anschuldigungen durch das Internet. Prominente BBC-Journalisten schienen kurz vor der Auflehnung gegen ihre Chefs zu stehen. Tory-Abgeordnete forderten den Rücktritt Entwistles und des BBC-Chairmans, Lord (Chris) Patten. Kulturministerin Marina Miller hatte Patten nachdrücklich aufgefordert, bei der Aufdeckung des Skandals jeden Stein umzudrehen. Patten antwortete mit einer kaum verhohlenen Warnung, die Regierung solle sich nicht in die „Unabhängigkeit der BBC“ einmischen. Dies wiederum brachte vor allem der BBC kritisch gegenüberstehende Abgeordnete in Wut. Die BBC selbst hat den ehemaligen Nachrichtenchef des Konkurrenzsenders Sky News, Nick Pollard, mit der Untersuchung der Absetzung des Newsnight-Programms beauftragt. Aber die Abgeordneten des Medienausschusses, kampferprobt durch die Affären um die Murdoch-Zeitungen und die illegalen Hackangriffe auf Prominente und Abgeordnete, dürften nun nicht mehr locker lassen.

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