Pädophilie-Netz: Britischer Ex-Minister unter Verdacht
Gab es in Großbritannien ein Pädophilennetz, das bis in die Regierung reichte? Ein führender Tory der Thatcher-Ära, der seinen Namen nicht nennt, beteuert seine Unschuld. Innenministerin Theresa May warnt alle, seinen Namen zu nennen.
In der Serie britischer Skandale um prominente Pädophile und die Vertuschung ihrer Taten hat Innenministerin Theresa May zwei weitere Untersuchungen angeordnet. Die BBC hatte im Oktober bereits zwei unabhängige Kommissionen mit Prüfungen ihrer „Kultur und Praxis“ beauftragt. Die ermitteln postum gegen den verstorbenen TV-Star Jimmy Savile „und andere“, und ehemals prominente Popstars wie Gary Glitter und Freddy Starr sind bereits in Gewahrsam.
Nun soll die National Crime Agency – eine neue Behörde, die man auch als „das britische FBI“ bezeichnet – herausfinden, ob die Polizei Anfang der neunziger Jahre bei ihrer Untersuchung eines angeblichen landesweiten Pädophilenrings geschlampt – oder gar willentlich beide Augen zugedrückt hat. Der Grund: In den Ring, der in den siebziger Jahren aktiv war, sollen Prominente verwickelt gewesen sein, auch ein hoher Tory-Politiker der Thatcher-Ära. In einem BBC-Programm hatte ein Opfer der Attacken, Steve Messham, Anschuldigungen wiederholt, er sei, damals ein Minderjähriger, in einem Auto von dem Abgeordneten vergewaltigt worden. Zuvor sei er zum Essen eingeladen worden, das der Politiker mit einer „Gold Credit Card“ bezahlte. Messham, damals Zögling des Kinderheims in Wrexham, Nordwales, spricht von einem systematischen „Vermieten“ der Heiminsassen an Pädophile, „vor allem sonntagabends“. Den Namen des Politikers nannte er nicht. Innenministerin May warnte alle Betroffenen und insbesondere ihre parlamentarischen Kollegen davor, den Namen des Mannes zu nennen. Dies würde die Ermittlungen und eine strafrechtliche Ahndung möglicherweise unmöglich machen. Dabei dachte sie an den Labour-Abgeordneten Tom Watson, der im Unterhaus vor einigen Wochen eine erneute Polizeiuntersuchung eines „mächtigen Pädophilennetzes mit Verbindungen zum Parlament und der Nummer 10 Downing Street“ forderte. Nun warten viele darauf, dass Watson seine parlamentarische Immunität nützt und den Namen im Unterhaus nennt.
Der Skandal schlägt weiterhin so große Wellen, dass Premier Cameron am Dienstag seine Verhandlungen über Rüstungskooperation mit Ländern des Nahen Ostens unterbrechen und die neuen Untersuchungen anordnen musste. „Kindsmissbrauch ist ein so gehässiges und widerliches Verbrechen, dies sind wirklich schreckliche Anschuldigungen, die man nicht einfach in der Luft hängen lassen darf“, begründete Cameron den Schritt. Der „Daily Telegraph“ hat mit dem inkriminierten Politiker gesprochen. Er bestreite die Vorwürfe „entschieden“, berichtet die Zeitung und zitiert ihn – aber namenlos. „Einer behauptete, ich hätte Jungen mit einem Rolls Royce im Kinderheim abgeholt. Dabei war ich nur einmal in Wrexham, ich besuchte nie das Kinderheim, ich hielt eine Rede und war immer von Offiziellen umgeben. Und einen Rolls Royce habe ich nie besessen.“ Nach der Kirche und der BBC gerät nun die Polizei selbst unter Beschuss. Hat sie die Augen vor dem Missbrauch Minderjähriger verschlossen und Vorwürfe von Opfern in den Wind geschlagen? Als die Anschuldigungen über das Pädophilennetz aus den siebziger Jahren in den neunziger Jahren laut wurden, beauftragte der damalige Minister für Wales, der heutige Außenminister William Hague, den Richter Sir Ronald Waterhouse mit einer umfassenden Untersuchung. Waterhouse vernahm 650 Zeugen und legte im Jahr 2000 einen Bericht vor. Waterhouse bezeichnete die Vorwürfe als „im Randbereich der Fantasie“.
Messham nannte den Namen des Politikers damals, macht heute aber geltend, die Polizei habe seine Aussagen blockiert und unter den Teppich gekehrt. Die WaterhouseUntersuchung wird heute auch kritisiert, weil sie zu eng gefasst war. Gegenstand der Ermittlungen waren nur Missbrauchsfälle „in“ Kinderheimen, nicht außerhalb.
Die Oppositionssprecherin Yvette Cooper warnte die Briten, nicht nur an die Vergangenheit zu denken. „Wir nahmen die Opfer von Missbrauch nicht ernst und hörten ihnen nicht genau zu. Aber wir müssen uns auch fragen, ob das heute viel besser ist.“
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