Nicaragua: Eine Sekte wartet auf den Weltuntergang
Eine Sekte in Nicaragua verweigert ihren Kindern medizinische Behandlung. Nun sind die Windpocken ausgebrochen. Die Regierung ist alarmiert
Den Erlöser erwarten die Jünger von Pastor Javier Sánchez in El Viejo, einer Kleinstadt rund 200 Kilometer entfernt von Nicaraguas Hauptstadt Managua. Sánchez hat sich mit einem Dutzend Priestern hier niedergelassen und mit seiner Gemeinde einen kleinen Staat im Staate geschaffen. Rund 650 Menschen aus vier Ländern zählt die Glaubensgemeinschaft, die Hälfte davon Kinder. Viele von ihnen sind an Windpocken erkrankt, doch die Sánchez-Jünger verweigern jede medizinische Behandlung durch die Behörden des mittelamerikanischen Landes. „Unser einziger Retter ist Jesus“, schmettern sie allen Versuchen entgegen, mit schulmedizinischer Kunst der Krankheit entgegenzutreten.
Die Familien haben ihr Geld den Priestern gegeben
Die lokalen Medien nennen die Mitglieder der Glaubensgemeinschaft eine Sekte. Sie selbst gaben sich den Namen „Der mystische Körper von Jesus Christus“ und warten auf den Untergang der Welt und das Erscheinen des Heiligen Geistes. Vor ihrer Reise nach Nicaragua haben die Familien ihre Häuser, Autos, Haushaltsgeräte und Möbel verkauft, um sich in die Gemeinschaft einzubringen. Das Geld verwalten nun die Priester, die auch die Regeln für das Leben in dem Camp aufstellen.
Die nicaraguanische Tageszeitung „El Nuevo Diario“ hat die Menschen vor Ort besucht. Journalistin Carol Munguia zeichnet ein besorgniserregendes Bild über die Zustände in El Viejo. Zahlreiche Kinder wiesen Anzeichen von Unterernährung, Zahnproblemen und Hauterkrankungen auf. Viele schliefen auf einfachen Matratzen. Deutlich besser ergehe es dagegen den elf Priestern der christliche Gemeinde, die in eigenen Häusern samt Computern und Flachbildschirmen ein verhältnismäßig komfortables Leben führen. Der Luxus hat allerdings eine begrenzte Haltbarkeit. Laut Prognose der Priester wird der Heilige Geist innerhalb der nächsten sechs Monate in El Viejo eintreffen. Danach dürfte es von den Jüngern allerdings erste kritische Fragen geben.
Ein Pastor ist an der Grenze verhaftet worden
Die Regierung des mittelamerikanischen Landes betrachtet die Aktivitäten mit großer Sorge. Vor allem der jüngste Windpockenausbruch bedeutet ein großes Gefährdungspotenzial für die Region. Regierungssprecherin Rosario Murillo, zugleich Lebensgefährtin des sandinistischen Präsidenten Daniel Ortega, erklärte, das Land wolle einerseits die Ausübung der Religionsfreiheit garantierten, aber Nicaragua sei auch dem Schutz der Kinderrechte verpflichtet. „Wir konnten bislang diese Menschen nicht davon überzeugen, dass die Kinder einer medizinischen Behandlung bedürfen“, so Murillo. Es liegen auch keine Informationen darüber vor, ob die Kinder eine entsprechende Impfung aus früheren Zeiten haben.
Inzwischen hat die Regierung Familienministerin Marcia Ramírez in die Region geschickt. Sie soll die Entwicklung vor Ort beobachten. Sie wolle auch das Gespräch mit Mitgliedern der Sekte suchen, um mögliche Lösungen zu finden. Die ersten Reaktionen sind jedoch ernüchternd. Die Sektenmitglieder weisen die Vorwürfe als Verfolgung ihrer Gemeinschaft zurück. Inzwischen wurde Pastor Javier Sánchez beim Versuch, mit weiteren Familien aus Honduras nach Nicaragua einzureisen, an der Grenze festgenommen. Lokale Medien berichten, die Familien hätten keinerlei eigenen Willen gezeigt, sondern das getan, was ihnen der Priester gesagt habe. Sie seien nun verzweifelt.
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