Tabakindustrie sucht nach neuen Produkten: Droht der Zigarette das Ende?
Der Tabakindustrie geht aufgrund von immer mehr Restriktionen zunehmend die Luft aus. Deshalb sucht sie nach neuen Vertriebswegen und Produkten.
Irgendwann wird auf diesem Planeten die letzte Zigarette ausgehen. Weil die Menschheit vernünftig geworden ist oder weil es ein alternatives Genuss- oder Rauschmittel gibt. Dieser Zeitpunkt liegt irgendwo in der Zukunft – auch für Andre Calantzopoulos, den Chef vom Marlboro-Konzern Philip Morris. Calantzopoulos sinnierte dieser Tage über das Ende der Zigarette. Das ist noch ein bisschen hin – Mitte des nächsten Jahrzehnts wird es vermutlich rund eine Milliarde Raucher auf der Welt geben. Da lassen sich noch gute Geschäfte machen, vor allem in Afrika und in Schwellenländern.
Konzerne forschen an "gesünderen" Produkten
Zeitpunkt und Inhalt der Äußerung des Philip-Morris-Chefs hatten ihren Grund: Der Konzern führt in Großbritannien eine neue Zigarette namens „Iqos“ ein, er nennt das ein „risikoreduziertes Produkt“. Daran tüfteln alle großen Hersteller. Der Tabak wird beim Rauchen von Iqos nicht mehr verbrannt, sondern verdampft. In Folge der geringeren Hitze entstehen weniger Schadstoffe, diese neue Form der Zigarette sei also „gesünder“, wird geworben.
Wie gesund oder ungesund das „Dampfen“ von bereits auf dem Markt befindlichen rauchlosen elektronischen (E-)Zigaretten ist, darüber gehen die Einschätzungen der Experten auseinander. In den USA weisen Fachleute auf mögliche Risiken hin und dringen darauf, E-Zigaretten wie Tabak einzustufen. Die Deutsche Krebshilfe und das Deutsche Krebsforschungszentrum warnten zum Weltnichtrauchertag vor E-Zigaretten und plädierten für eine schärfere Regulierung.
Schadensminderung statt Aufhören um jeden Preis
Britische Mediziner dagegen stehen der E-Zigarette eher positiv gegenüber. Ihrer Ansicht nach ist die E-Zigarette um 95 Prozent weniger schädlich als eine herkömmliche Zigarette. Ihnen geht es nicht um Abstinenz – Aufhören um jeden Preis –, sondern um Schadensminderung.
In der E-Zigarette wird lediglich eine nikotinhaltige Flüssigkeit (Liquid) verdampft und eingeatmet. Damit entfällt das Hauptrisiko des Zigarettenrauchs, der krebserzeugende Teer. Zwar gibt es über das in der E-Zigarette verdampfte Liquid noch keine Langzeitdaten zur Gefährlichkeit, aber die bislang vorliegenden Informationen zum Kurzzeitgebrauch deuten nicht auf schwerwiegende Gesundheitsschäden hin, auch nicht durch „Passivdampfen“. Das verdampfte Nikotin ist suchterzeugend, aber bei Erwachsenen weder kurz- noch langfristig gesundheitsschädlich, jedenfalls nach heutigem Kenntnisstand.
Entwöhnung oder neue Verlockung durch das Dampfen?
Die Befürworter rechtfertigen sich vor allem damit, dass das Dampfen hilft, vom Rauchen loszukommen. So ergab eine 2015 veröffentlichte britische Untersuchung, dass 2015 durch die E-Zigarette 18 000 Raucher in England von ihrem Laster loskamen. „Erfolgreiche Tabakentwöhnung mit elektronischen Zigaretten ist eine mögliche Ursache dafür, dass die Zahl der Raucher rückläufig ist“, kommentierte John Britton von der Universität Nottingham. Gegner der E-Zigarette argumentieren nicht mit dem Aus-, sondern mit dem Einstieg: Das Dampfen könne Jugendliche dazu verleiten, später zu rauchen. Ob das tatsächlich so ist, ist jedoch noch ungeklärt. Unter anderem um dieser Gefahr zu begegnen, ist der Verkauf von E-Zigaretten an unter 18-Jährige in Deutschland seit April verboten.
Ob die von Phillip Morris entwickelte rauchlose Tabakzigarette im Vergleich zur herkömmlichen Zigarette ein ähnlich geringes Risiko wie die E-Zigarette mit sich bringt, ist vorerst nicht bekannt. Die Konkurrenz äußerte sich schon vor einem Jahr despektierlich über das Iqos-Rauchgerät: „Nach dem Benutzen enthält es eine Menge schwarzen Dreck und riecht wie ein Aschenbecher“, unkte Steve Stotesbury. Er leitet die Entwicklung von E-Zigaretten bei Imperial Tobacco.
Zigarettenindustrie sieht noch große Märkte in Afrika und Asien
Bevor Iqos und die herkömmlichen E-Zigaretten den gewohnten Glimmstengel verdrängen, werden noch viele Milliarden Kippen inhaliert. Was auf dem Markt noch möglich ist, wurde anhand eines Megadeals vor sechs Wochen deutlich: Die britische BAT (Lucky Strike, Pall Mall) gab bekannt, für 47 Milliarden Dollar den US-Konkurrenten Reynolds (Camel) übernehmen zu wollen und dadurch zum weltgrößten Tabakkonzern aufzusteigen. Der neue Riese will vor allem in Südamerika und Afrika, im Nahen Osten und in Asien Zigaretten verkaufen. Dort sind die politischen Restriktionen noch nicht so ausgeprägt wie in Europa und den USA.
Hierzulande möchten die Regierenden ein komplettes Werbeverbot für Zigaretten, Tabak und Zigarren – der Bundestag hat es allerdings noch immer nicht beschlossen. In den Medien ist Tabakwerbung schon lange verboten, nun soll das auch für Plakate und andere Außenwerbung gelten. „Werbeverbote schaden der deutschen Wirtschaft“, hält der Deutsche Zigarettenverband dagegen. Er hat schon eine andere Restriktion zu verkraften. Seit Mai müssen auf allen Packungen große Schockbilder abgedruckt sein, die vom Rauchen abhalten sollen.
Der Anteil minderjähriger Raucher sinkt drastisch
Dabei ist der Anteil minderjähriger Raucher schon seit der Jahrtausendwende von mehr als 27 Prozent auf knapp acht Prozent gefallen. Fast 80 Prozent der Kinder und Jugendlichen hatten noch nie eine Kippe im Mund. Und auch insgesamt sinkt der Zigarettenverbrauch in Deutschland. Seit 2002 fiel der Absatz um mehr als 40 Prozent. Neben gesundheitlichen Erwägungen dürfte dafür auch der Preis ursächlich sein. Denn seit 2002 gab es zehn Preiserhöhungen. Mit wohltuender Wirkung für den Staat: 2015 nahmen die Finanzämter knapp 15 Milliarden Euro aus der Tabaksteuer ein.
Die Gegenrechnung der Gesundheitsexperten: 120 000 Tabaktote pro Jahr. Von 482.500 Krebsneuerkrankungen im Jahr hätten sich nach Angaben des Robert- Koch-Instituts ohne das Rauchen 15 Prozent vermeiden lassen. Und bei den Frauen steigt die Lungenkrebsrate noch immer. Nach Prognosen der Deutschen Krebshilfe werden bis 2020 mit 23.700 etwa 25 Prozent mehr als jetzt daran erkranken.
Folgekosten des Tabakkonsums bei 80 Milliarden Euro im Jahr
Auch volkswirtschaftlich kommt der Tabakkonsum die Deutschen teuer zu stehen. Eine Studie des Deutschen Krebsforschungszentrums bezifferte die Folgekosten vor einem Jahr auf knapp 80 Milliarden Euro im Jahr – das sind 2,8 Prozent des Bruttoinlandprodukts. 22,76 Milliarden Euro kostet demnach allein die Krankenbehandlung. Arbeitsunfähigkeit, Erwerbsminderung und Pflegebedürftigkeit durchs Rauchen summieren sich auf weitere 53,7 Milliarden. Entsprechend umgelegt auf den Verkaufspreis müsste die Packung Zigaretten hierzulande 11,30 Euro kosten.