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Diese Familie in Bhaktapur in Nepal versucht, ihr zerstörtes Haus wieder aufzubauen. Es dauerte bis Januar, bis das Bauministerium die neuen Regeln für die Errichtung erdbebensicherer Gebäude erlassen hatte.
© Navesh Chitrakar/REUTERS

Ein Jahr nach den schweren Erdbeben in Nepal: Die konservierte Katastrophe

Der Wiederaufbau in Nepal kommt langsam voran. Vier Millionen Menschen leben unter Planen. Erst kam der Monsun, dann eine politische Krise mit Grenzblockade nach Indien, dann der Winter.

Als hätte Nepal nicht mit der Bewältigung der beiden Erdbeben am 25. April und am 12. Mai 2015 genug zu tun, spielt sich in den Wäldern des Landes schon wieder eine neue Katastrophe ab. Bis nach Nepal wirkt das pazifische Wetterphänomen El Niño und hat vor dem Ende Mai, Anfang Juni erwarteten Monsun-Regen brutale Trockenheit ins Land gebracht. Die Wälder in Nepal und im Norden Indiens brennen seit Tagen und lassen sich nur schwer löschen.

4,1 Milliarden Dollar haben internationale Geber im vergangenen Jahr zugesagt, um beim Wiederaufbau zu helfen. Fast 8700 Menschen waren bei den beiden Erdbeben ums Leben gekommen. Die Gewalt des Ereignisses führte zu unzähligen Erdrutschen, rund 700 000 Häuser wurden zerstört, und ein Jahr später leben noch immer rund vier Millionen der insgesamt 30,4 Millionen Einwohner in Zelten, unter Plastikplanen oder aus Trümmern zusammengeschusterten Behausungen. Die Wasser- und Sanitärversorgung ist selbst in der Hauptstadt Kathmandu noch nicht wieder aufgebaut. Strom gibt es an vielen Orten für zwei Stunden am Tag. Den Monsun im vergangenen Jahr und auch den Winter mussten diese Menschen den Elementen ziemlich ausgeliefert überstehen. In Sachen Wiederaufbau ist wenig passiert, beklagten viele internationale Hilfsorganisationen zum Jahrestag der Katastrophe.

Tagesspiegel-Leser spendeten für die Erdbebenhilfe

Auch die Spenden der Tagesspiegel-Leser, rund 180 000 Euro, sind noch nicht vollständig ausgegeben. Rund 100 000 Euro sind gleich nach der Katastrophe in die unmittelbare Nothilfe geflossen. Da ging es um Decken, um Plastikplanen, um Nahrung. Die noch verbliebenen 80 000 Euro werden in den Bau der Sarada-Schule in der Region Ramechhap fließen, den die Welthungerhilfe koordiniert. In den kommenden Monaten dürfte das Projekt anlaufen. Doch dem Schulprojekt erging es im vergangenen Jahr wie den meisten Projekten: Es kam zunächst nicht voran.

Die neue Verfassung führte in die Krise

Der Grund dafür liegt in politischen Auseinandersetzungen, die das vergangene Jahr in Nepal geprägt haben. Nach einem langjährigen Konflikt zwischen der Regierung und maoistischen Milizen befand sich Nepal in einem politischen Übergang, als die beiden Erdbeben das Land erschütterten. Im September beschloss das Parlament eine neue Verfassung, über die jahrelang heftig gestritten worden war. Besonders unglücklich darüber waren zwei der mehr als 100 verschiedenen Volksgruppen in Nepal. Die Madhesi und die Tharu im Süden des Landes fühlen sich durch die neue Verfassung noch stärker diskriminiert als zuvor. Sie blockierten – teilweise mithilfe Indiens – für viereinhalb Monate die Grenze zwischen den beiden Ländern. Die Folgen waren katastrophal. „Wir hatten kein Benzin, kein Gas zum Kochen, keine Versorgung mit Lebensmitteln“, berichtet Sabine Pretsch, die seit 2008 in Nepal lebt und mit ihrem Mann, Temba Gyalbo Sherpa, ein Trekkingunternehmen betreibt. Die beiden haben sich vorgenommen, das Dorf Brabal im Langtang-Gebiet wiederaufzubauen. Sie haben dafür auch die Ingenieure ohne Grenzen begeistert, die sich um die Abwasserentsorgung und den Müll kümmern wollen. In regelmäßigen Rundbriefen berichtet Pretsch von den Fortschritten. Fast ein Jahr lang gab es wenig zu berichten.

Die Wiederaufbaubehörde begann erst im Januar zu arbeiten

Denn nicht nur die Grenzblockade behinderte die Arbeit, auch die Konflikte in der Regierung selbst machten es den Erdbebenopfern wie ihren Helfern nicht leicht. Erst seit diesem Januar arbeitet die im Dezember 2015 endlich beschlossene Wiederaufbaubehörde. Ihr Chef Sushil Gyewali gab in einem Interview vor wenigen Tagen zu, dass bisher lediglich 700 Familien eine erste Teilauszahlung der versprochenen 1700 Euro Entschädigung bekommen haben, die Erdbebenopfer eigentlich bekommen sollen. Weitere 2500 Euro dürfen Hilfsorganisationen den Betroffenen für den Bau eines Hauses überweisen. Doch auch diese Vorgabe gibt es erst seit wenigen Wochen. Caritas International bemängelt, dass ein erdbebensicheres Haus 4500 Euro koste, und diese Regelung gerade den Ärmsten die Chance verbaue, ein Haus zu bauen. Erst seit Anfang des Jahres gibt es nun Vorgaben des Bauministeriums, wie erdbebensichere Häuser aussehen müssen. Und die Wiederaufbaubehörde muss jeden Neubau im ganzen Land genehmigen.

Langsam kehren die Touristen zurück

Langsam kehren die Touristen nach Nepal zurück. Die ersten Expeditionen auf den höchsten Berg der Welt, den Mount Everest, sind von Tibet her wieder auf dem Weg zum Gipfel. Sabine Pretsch und Temba Gyalbo Sherpa berichten, dass unter anderen der Deutsche Alpenverein die Trekkingwege in den Bergen wieder befestigt und instand setzt. Viele der Routen seien wieder begehbar. Aber die Zerstörung sei immer noch überall sichtbar. Dennoch werben die beiden um Besucher, weil viele Nepalesen nur so wieder ein Auskommen finden können. Die Arbeitslosigkeit nach der Katastrophe ist sehr hoch. Und angesichts des schleppenden Wiederaufbaus dürfte sich daran nur langsam etwas ändern.

Für die Gerda-Henkel-Stiftung geht die Arbeit in Nepal auch erst jetzt richtig los. Die Stiftung fördert den Erhalt des Kulturerbes und engagiert sich mit einer Million Euro beim Wiederaufbau von zerstörten Tempeln im Kathmandu-Tal und in der benachbarten Königsstadt Patan. Das Auswärtige Amt beteiligt sich am Wiederaufbau der zerstörten Denkmäler mit weiteren 250 000 Euro. Der Stiftung ist es besonders wichtig, dass „alle Projekte mit Partnern in Nepal entwickelt und maßgeblich von einheimischen Experten“ umgesetzt werden, sagt Sybille Wüstemann von der Stiftung. Außerdem sollen die Projekte mit Aus- und Weiterbildungsprojekten verbunden werden.

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