Nach dem großen Erdbeben: Nepal stürzt ins Chaos
Die Regierung von Nepal ist mit der Situation überfordert. Bei den Erdbebenopfern kommt die Hilfe nur schleppend an – es gibt Berichte über Plünderungen und Ausschreitungen.
Er hatte die Hoffnung aufgegeben. „Ich war sicher, dass ich sterben muss“, sagt Rishi Khanal. 82 Stunden war der 27-Jährige lebendig unter den Trümmern eines dreistöckigen Hotels begraben. In Dunkelheit, umgeben von Leichen. Er trank seinen eigenen Urin, um nicht zu verdursten. Erst nach mehr als drei Tagen hörten französische und nepalesische Retter sein Klopfen, befreiten ihn aus den Ruinen – völlig am Ende, aber lebend.
Kleine Wunder wie diese sind es, die ein wenig Hoffnung verbreiten in diesen Tagen der Not. Fünf Tage nach dem verheerenden Beben ist die Lage in der Erdbebenregion in Nepal weiter dramatisch. An mehreren Orten soll es zu Unruhen, Plünderungen und Kämpfen um Wasser und Essen gekommen sein. Die Wut auf die Regierung und der Ärger über die schleppende Hilfe wachsen, auch ausländische Helfer klagen über schlechte Koordination und völliges Chaos. In Langtang, einem beliebten Trekkinggebiet, soll es zu Auseindersetzungen zwischen Touristen und Einheimischen um Essensvorräte und Plätze in Rettungshubschraubern gekommen sein, berichteten Medien. In Kathmandu kam es am Mittwoch an einer Busstation zu Zusammenstößen zwischen Polizei und Bewohnern, als Überlebende einen Laster mit Trinkwasser stoppten und plünderten. Tausende warten dort auf einen Platz in den völlig überfüllten Bussen, um die Stadt zu verlassen.
Doch es gibt einfach zu wenig Busse. Erboste Demonstranten attackierten Busse und Autos mit Stöcken und Steinen. Polizisten versuchten, die aufgebrachte Menge in Schach zu halten. „Wir warten hier seit Tagesanbruch. Man hat uns versprochen, dass 250 Extrabusse bereitstehen. Aber kein einziger ist gekommen“, sagte der Student Kishor Kavre der Nachrichtenagentur AFP. Mindestens 100 000 Menschen sollen bereits aus der Hauptstadt geflohen sein. „Ich habe zu viel Angst, in Kathmandu zu bleiben“, sagt Raja Gurung dem Sender Al Jazeera. Er will in sein Heimatdorf zurück.
Die Preise für Lebenmittel haben sich vervielfacht
Es mangelt an allem. Es fehlen Wasser, Nahrung, Decken, Medikamente und Toiletten. Die Preise für Lebensmittel haben sich vervielfacht. Die Angst vor Seuchen geht um. Zudem zerrt der Regen an den Nerven der Menschen, die seit Tagen in Zelten oder unter Planen im Freien ausharren. Immerhin öffneten am Donnerstag die Banken stundenweise wieder und füllten die Geldautomaten auf. Auch Strom gab es teilweise wieder. Erste Menschen kehrten zurück in ihre Häuser.
Inzwischen erreichen erste Hilfslieferungen auch die entlegenen Dörfer um das Epizentrum bei Lamjung etwa 100 Kilometer von Kathmandu entfernt. Auch ein deutsches Team mit Spürhunden machte sich auf den Weg. Wo immer die Helfer auftauchen, werden sie von verzweifelten Menschen umringt, die um Wasser, Essen und medizinische Hilfe betteln. Doch wegen des Sturms müssen die Hubschrauber immer wieder am Boden bleiben. Andernorts versuchen Soldaten, zu Fuß zu den Dörfern zu gelangen.
Vor allem im Gorkha-Distrikt nahe dem Epizentrum hat das Beben gewütet. Die Häuser aus Ziegelsteinen und Holz stürzten ein wie Kartenhäuser. „Wir haben keinen Bissen mehr zu essen. Unser ganzes Dorf ist zerstört“, erzählt der Bauer Bahadur Rana der Nachrichtenagentur AP. „Die Regierung tut nichts für uns“, schimpft der Soldat Bhoj Kumar Thapa.
Die Regierung gibt Fehler zu. Man brauche Zeit, um alle zu erreichen. Das Ausmaß der Katastrophe ist dramatisch: Die Regierung rechnet mit mehr als 10 000 Toten. Den UN zufolge brauchen 1,4 Millionen dringend Nahrungsmittel, viele davon leben in schwer erreichbaren Bergdörfern. Zehntausende sind obdachlos, Tausende verletzt. Botschaften suchen weiter nach Staatsbürgern. Auch rund 100 deutsche Touristen sind noch nicht lokalisiert. Vor allem der hoffnungslos überlastete Flughafen von Kathmandu wird zum Nadelöhr. Zeitweise musste er erneut geschlossen werden, weil die einzige Landebahn Risse aufwies.