Nepal: Dutzende Tote bei neuem Beben im Himalaya
Noch hat sich Nepal vom dem schweren Beben Ende April nicht erholt, da erschüttet ein weiterer Erdstoß die Himalayaregion. Allein in Nepal starben mehr als 50 Menschen. Unsere Korrespondentin wurde in Kathmandu während eines Interviews von dem Beben überrascht.
Plötzlich fängt der Boden an zu rütteln. Es fühlt sich an wie ein Unwetter auf einem Schiff, aber wir sitzen im vierten Stock eines Hauses in Boudha, einem buddhistischen Viertel am Stadtrand von Kathmandu. Gerade wollte ich ein Interview mit Tulku Sherab Zangpo beginnen, einem reinkarnierten Lama aus der Bergregion Dolpo. Er hat eine kleine Organisation gegründet, die dort eine Schule unterhält und sich um soziale Dinge kümmert. Jetzt hilft sie den Opfern des Erdbebens mit Unterkunft und Essen.
Das Rütteln wird immer heftiger. Die Butterlampen und Buddhabilder an der Wand klappern, ein erschrockener Blickwechsel, ein Blick zur Decke, dann rennen wir los, die marmorne Treppe hinunter. Tulku Sherab Zangpo hat seine Mönchsrobe um die Hüfte gerafft, er hält sich am Treppengeländer fest. Immer wieder schaut er sich um, ob ich noch hinter ihm bin. Ich folge, so schnell ich kann. Eigentlich ist das Treppenhaus ein schlechter Ort, um sich bei einem Erdbeben aufzuhalten. Stärke 7,4 werden die Erdbebenmessstellen melden. Das Epizentrum liegt bei Namche Basar, der Heimat der Sherpa nahe dem Mount Everest Basiscamp.
Während er sich am Geländer festklammert, ruft Tulku Sherab Zangpo seinen Vater, der im ersten Stock einen Mittagsschlaf macht. In den Augen des sonst so ruhigen und heiteren Mönches steht Panik. Immer noch rüttelt alles, das Beben dauert gefühlte Minuten an, in Wahrheit sind es nur einige Sekunden. Nach und nach sammeln sich die Hausbewohner auf einer kleinen Grünfläche am Rand des Innenhofs. Die sechsjährige Nichte von Tulku kommt pitschnass und nackt nach draußen gelaufen. Sie war gerade unter der Dusche auf dem Dach, als das Beben begann. Weinend und zitternd zieht sie ihre Kleider an, bleibt immer wieder mit den Füßen in den Hosenbeinen hängen, bis ihr jemand hilft. Zwar sitzt allen der Schrecken in den Knochen, doch Tulku beginnt als Erster an zu lachen und wir alle stimmen ein. So gehen die Menschen hier immer mit schwierigen Ereignissen um.
Bisher mindestens 70 Tote
Nachrichten aus dem Zentrum Kathmandus kommen nur spärlich an. Die Telefonleitungen scheinen überlastet. Immerhin funktioniert das mobile Internet. In Nepal starben nach offiziellen Angaben 52 Menschen bei dem Nachbeben. In Indien kamen mindestens 17 Menschen ums Leben und in China eine Frau. Die Zahl könnte aber weiter steigen, wenn Berichte aus den entlegenen Gebieten eintreffen.
Thierry, ein französischer Arzt, der nach dem ersten Beben nach Nepal gekommen war, um zu helfen, kommt gerade aus dem Zentrum zurück. „Viele Schäden habe ich nicht gesehen.“ Andere berichten, dass zahlreiche Häuser, die beim ersten großen Beben beschädigt wurden, eingestürzt sind. Aus den betroffenen Bergregionen werden Erdrutsche gemeldet. In Bhaktapur, einer der drei Königsstätten im Kathmandutal mit einer großen Altstadt, gab es erneut Verletzte.
Petra Lange ist dort mit einem Team von Apotheker ohne Grenzen im Einsatz. Zusammen mit der deutschen Organisation Navis betreibt sie eine mobile Krankenstation, die sich um die Verletzten aus dem ersten Erdbeben gekümmert hat. „Wir hatten heute zeitweise 300 Leute da, es gab etwa zehn Verletzungen“, sagt sie. „Wir mussten röntgen, aber den OP haben wir zum Glück nicht gebraucht.“ Sajan Napit, ein 22-jähriger Student, der in dem Camp als Übersetzer aushilft, berichtet: „Einige, die heute zu uns kamen, litten an einem Schock. Sie zitterten und konnten sich nicht bewegen.“
Retter am Ende ihrer Kräfte
„Es war schrecklich, nicht in Worte zu fassen. Menschen weinten und flüchteten in Angst um ihr Leben auf die Straße. Der Boden wankte so sehr, dass wir kaum stehen konnten“, beschreibt Francesca Schraffl, Mitarbeiterin der Deutschen Welthungerhilfe (DWHH) in Nepal, die Minuten des Bebens. „Die Hitze und der Staub verängstigen die Menschen zusätzlich.“ Die Menschen, die diesmal überlebten, konnten kaum atmen. Nach Auskunft der Welthungerhilfe haben die Retter so eine Situation, bei der sie selbst zweimal so kurz hintereinander eine Naturkatastrophe bewältigen mussten, noch nie erlebt.
Tagesspiegel-Spendenaktion erfolgreich
Um so mehr sind sie nun auf die Unterstützung von Spenden aus Deutschland angewiesen. In der Gegend um Sindhupalchowk erhielten schon 2000 Familien von Mitarbeitern der Deutschen Welthungerhilfe (DWHH) und der größten lokalen Nichtregierungsorganisation RRN Decken und Zeltplanen als provisorische Unterkunft vor dem Regen. Im Distrikt Dhading, wo die Hilfsbedürftigkeit und Zerstörung schon nach dem ersten Beben besonders groß war, wurden bereits an 2.000 Familien Nahrungsmittelpakete verteilt, sie sichern die Versorgung für zwölf Tage.
All das ist auch möglich, weil die Leserinnen und Leser des Tagesspiegels bereits 151.000 Euro über die Spendenaktion dieser Zeitung „Menschen helfen!“ für Nepal überwiesen haben. „Wir sind so dankbar und freuen uns riesig, Ihre Leser sind einfach großartig“, sagt Vera Schernus von der DWHH. Jürgen Mika, Mitglied des Nothilfeteams, hat so viel „Schmerz, Verzweiflung und Zerstörung“ gesehen; Menschen, die vor den Ruinen ihres Lebens stehen, er weiß, wie sehr Hilfe nottut.
Spenden bitte an: Spendenaktion Der Tagesspiegel e. V., Verwendungszweck: „Menschen helfen!“, Berliner Sparkasse (BLZ 100 500 00), Konto 250 030 942 – Namen und Anschrift für den Spendenbeleg notieren. BIC: BELADEBE, IBAN: DE43 1005 0000 0250 0309 42