Osterfeiern trotz Corona-Schließung: Die Jerusalemer Grabeskirche bietet Messen nur im Livestream
Wo sonst an Ostern Gläubige sich drängen und einen Stein küssen, wird es nun ruhig sein: Die Grabeskirche in Jerusalem ist geschlossen - Messen gibt es dennoch.
Die schweren Holztüren der Grabeskirche in Jerusalem sind verschlossen. Der großzügige Vorplatz, auf dem sich zu gewöhnlichen Zeiten Menschen aus aller Welt drängen, ist still und leer.
Es nahen die Osterfeiertage, die sonst Zehntausende Gläubige aus aller Welt nach Jerusalem locken, um hier der Auferstehung Jesu zu gedenken. Doch in diesem Jahr bleiben die Tore über Ostern für die Öffentlichkeit verschlossen, nach allem, was bekannt ist, zum ersten Mal in ihrer Geschichte. So hat es Israels Gesundheitsministerium angeordnet, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen.
Zu Ostern erlebt der christliche Tourismus in der Heiligen Stadt sonst seinen Höhepunkt: Gläubige von überallher ziehen durch die Via Dolorosa und drängen sich zu Hunderten in der Grabeskirche. Zwei Stunden und mehr müssen die Menschen auf dem Platz vor der Kirche ausharren, bis sie jenes legendäre Gotteshaus betreten können, das der Überlieferung nach die Stelle der Kreuzigung Jesu markiert. Schon im Frühling ist die Hitze in der Kirche für viele Besucher, eingeklemmt zwischen schiebenden und drückenden Leibern, schwer erträglich.
Besonders dicht drängen sie sich vor dem Stein, auf dem der Leichnam Jesu für die Beerdigung gesalbt worden sein soll. Viele Gläubige berühren ihn andächtig mit der Hand, manche Küssen den Stein sogar. Gebräuche, die in Zeiten des Coronavirus undenkbar geworden sind.
Über 9000 Israelis positiv getestet
Über 9000 Israelis wurden bis Dienstag positiv auf das Virus getestet, 60 Todesfälle gab es bisher. Zu den größten Infektionsherden zählen Synagogen. Schon vor zwei Wochen mussten Kirchen, Synagogen und Moscheen im Heiligen Land schließen.
Für einen kleinen Kreis ausgewählter Geistlicher sollen sich die Tore der Grabeskirche zu Ostern aber doch öffnen, wie Wadie Abunassar mitteilte, ein Sprecher der katholischen Kirche im Heiligen Land. Mehrere heilige Messen sind geplant, selbst feierliche Prozessionen über die Via Dolorosa, benannt nach dem Leidensweg Jesu, bis zur Grabeskirche sollen stattfinden.
Gottesdienste und Prozessionen nur live im Internet
Alle Gottesdienste und Prozessionen werden live im Internet übertragen. Mit dieser Lösung hoffen die Kirchenverantwortlichen alle Seiten zufriedenzustellen: die israelische Regierung ebenso wie Christen rund um die Welt, die zu dieser Jahreszeit besonders sehnsüchtig gen Jerusalem schauen.
Das Verhältnis zwischen Staat und den christlichen Institutionen ist in Israel nicht frei von Spannungen. Erst Ende März verfasste der Repräsentant des Vatikans in Jerusalem, Farid Jubran, ein Protestschreiben an Israels Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit, in dem er sich über angebliche Diskriminierung beschwerte: Es sei nicht gerecht, dass an der Klagemauer, dem höchsten Heiligtum des Judentums, Gebete weiter erlaubt seien, die Grabeskirche dagegen für die Öffentlichkeit schließen müsste.
Das Argument, dass Juden an der Klagemauer in gebotenem Abstand unter freiem Himmel beten können, ließ er nicht gelten. Im Februar 2018 ließen die Kirchenverantwortlichen die Tore des ikonischen Gotteshauses gar aus Protest gegen einen Gesetzesentwurf schließen, der ihnen Nachteile beim Verkauf von Grundstücken hätte einbringen können.
In der Grabeskirche sind sechs Konfessionen zuhause
Im Konflikt mit dem Staat kooperieren ausnahmsweise die sechs Kirchen, die sich die Grabeskirche teilen: Auf die griechisch-orthodoxe, die römisch-katholische und die armenisch-apostolische Kirche entfällt ein Großteil der Verwaltung, doch auch die syrisch-orthodoxe Kirche, die Kopten und die äthiopisch-orthodoxe Kirche sind vertreten und reden mit. So sieht es der Status Quo vor, der im 19. Jahrhundert noch unter den Osmanen beschlossen wurde.
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Dass sie einer Auffassung sind, ist jedoch längst nicht selbstverständlich: Die Konflikte zwischen den verschiedenen Konfessionen, die sich oft um Gottesdienstzeiten, bauliche Maßnahmen, Finanzen und Machtverhältnisse drehen, sind legendär. In der Vergangenheit soll es gar vereinzelt zu Handgreiflichkeiten zwischen Anhängern verschiedener Konfessionen gekommen sein.
Muslimische Familie verwaltet den Schlüssel
Damit die Streits nicht gänzlich eskalieren, ist es gemäß einer Jahrhunderte alten Tradition die muslimische Familie Joudeh, die den Schlüssel der Grabeskirche verwaltet. Eine zweite, ebenfalls muslimische Familie namens Nusseibeh schließt die Haupttür der Kirche morgens auf und abends wieder zu; ihre Mitglieder engagieren sich überdies als Streitschlichter, wenn es zwischen den kirchlichen Konfessionen mal wieder zu Auseinandersetzungen kommt.
Es ist eine eigentümliche und erstaunlich erfolgreiche Form der interreligiösen Zusammenarbeit in einer Region, in der freundschaftliche Kooperation zwischen Anhängern verschiedener Glaubensrichtungen selten ist.
Wann die Grabeskirche ihre Tore wieder für die Öffentlichkeit öffnen kann, ist ungewiss; die israelische Regierung hat angedeutet, dass nach dem jüdischen Pessachfest, das ebenfalls diese Woche beginnt, möglicherweise erste Lockerungen der strengen Ausgangs- und Kontaktsperren folgen könnten. Bis es so weit ist, bleibt Christen rund um die Welt nichts anderes übrig, als aus der Ferne zu beten – und rechtzeitig zum Livestream aus der Grabeskirche das Handy einzuschalten.
Mareike Enghusen