Richtungsweisendes Urteil: Samenspender darf nicht anonym bleiben
Die Tochter eines anonymen Samenspenders hat am Oberlandesgericht Hamm (OLG) das Recht auf die Herausgabe des Namens ihres biologischen Vaters erreicht. Doch das könnte schwierig werden.
Jeder Mensch hat das Recht zu erfahren, wer sein Vater ist – auch wenn er durch eine anonyme Samenspende gezeugt worden ist. Diese wegweisende Entscheidung hat am Montag das Oberlandesgericht Hamm (OLG) getroffen. Die 21-jährige Studentin Sarah P. aus Nordrhein-Westfalen hatte das Essener „Zentrum für Reproduktionsmedizin“ auf die Herausgabe des Namens ihres Vaters verklagt. Sie ist das erste Spenderkind in Deutschland, das diesen Schritt gegangen ist. Die Essener Klinik hatte dem Spender Anonymität zugesichert. Das OLG hat dem nun widersprochen: Sarah P. hat einen Anspruch darauf zu erfahren, wer sie gezeugt hat, entschied der 14. Zivilsenat (Akz.: I-14 U 7/12). Das Urteil ist rechtskräftig. Eine Revision haben die Richter nicht zugelassen. Die Klinik kann dagegen jedoch Beschwerde einlegen. Vor vier Jahren erfuhr Sarah P., dass der Mann, den sie ihr Leben lang für ihren Vater hielt, nicht ihr leiblicher Vater ist. „Dein Papa ist nicht dein Papa“, habe ihre Mutter ihr eines Abends gestanden. Sie erfuhr, dass sie durch eine anonyme Samenspende gezeugt wurde und der Mann, den sie Vater nennt, unfruchtbar sei. So hat Sarah P. es einer Boulevardzeitung erzählt.
Sarah P. entschloss sich, gemeinsam mit ihrem Berliner Anwalt Markus Goldbach die Reproduktionsklinik per Gericht zu zwingen, ihr ihren Vater zu nennen. In erster Instanz verlor sie vor dem Landgericht Essen. In zweiter Instanz hat sie nun Erfolg. Es gehöre zu den Persönlichkeitsrechten jedes Menschen, seine Herkunft zu kennen, erklärte OLG-Sprecher Christian Nubbemeyer. Das OLG hat in seiner Entscheidung dem Wissen um die eigene Herkunft Vorrang gegeben gegenüber einer Geheimhaltungsvereinbarung zwischen Ärzten, Eltern und Spendern. Die anonyme Samenspende ist damit in Deutschland quasi passé: Will ein Kind den Namen seines Vaters erfahren, muss eine Reproduktionsklinik ihm dabei helfen. Es geht ihr nicht ums Geld, hat Sarah P. stets betont. Sie will nur wissen, wer ihr biologischer Vater ist. Ihre bisherigen Informationen sind dürftig: Er soll etwa 1,85 Meter groß, rund 45 Jahr alt sein und blaue Augen haben.
Vor dem Gericht in Hamm ist der Hinweis auf einen Namen hinzugekommen. Eine Laborassistentin meinte sich plötzlich zu erinnern, dass jener Spender, der regelmäßig Samenproben abgab und wohl auch die Zeugung von Sarah P. ermöglichte, mit Vornamen Hubert oder Hubertus heiße. Das OLG hat den beklagten Klinikchef nun dazu verpflichtet, Sarah P. bei der Suche nach ihrem Erzeuger mit einer „umfassenden Recherche nach den vermeintlich fehlenden Unterlagen“ und durch „eine vollständige Befragung seiner damaligen Mitarbeiter“ zu unterstützen. Doch ob Sarah P. wirklich erfahren wird, mit wessen Samen sie gezeugt wurde, bleibt ungewiss. Der Mediziner behauptet, die Daten seien gar nicht mehr vorhanden. Zwar hatte der Bundesgerichtshof bereits 1989 entschieden, dass es zu den Persönlichkeitsrechten eines Menschen gehört, seine genetische Herkunft zu kennen. Der Klinikchef beruft sich aber unter anderem darauf, dass die gesetzliche Regelung, sie 30 Jahre lang aufzubewahren, erst 2007 in Kraft trat, das heißt nach der Geburt von Sarah P. im März 1991. Die 21-Jährige könnte aber nach dem OLG-Urteil nun versuchen, die Klinik per Zwangsvollstreckungsverfahren zu zwingen, den Namen ihres Vaters preiszugeben. Ihr Anwalt jedenfalls hat bereits angekündigt, entsprechende Schritte beim Landgericht Essen einzuleiten. Im Zweifel könnten dem Arzt hohe Geldstrafen oder sogar Gefängnis drohen, würde er sich weigern, Informationen herauszugeben, so ein OLG-Sprecher. Laut Schätzungen sind in Deutschland seit den siebziger Jahren bis zu 100.000 Kinder durch künstliche Befruchtung und den Samen von anonymen Spendern geboren worden.
Nach Auskunft des Vereins Spenderkinder wissen die meisten Betroffenen gar nicht, wie sie entstanden sind. 20 Spenderkinder im Alter zwischen 18 und 45 Jahren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz sind nach eigenen Angaben in dem Verein mit Sitz in Nordrhein-Westfalen organisiert. Sie hoffen nun auf eine Signalwirkung des OLG-Urteils. Der Verein lehnt anonyme Samenspenden ab. „Alle von uns möchten mehr oder weniger dringend wissen, von wem sie genetisch abstammen“, heißt es auf der Internetseite. Er setzt sich außerdem dafür ein, „dass Eltern ihre durch Samenspende gezeugten Kinder schon früh über diese Zeugungsart aufklären“. Sorgen, das Urteil werde dazu führen, dass kaum jemand mehr bereit sei, Samen zu spenden, etwa aus Angst vor Unterhaltsverpflichtungen, widerspricht der Verein. „Diese Gefahr ist absolut hypothetisch.“ Er verweist auf Länder wie die Niederlande, Schweden, Großbritannien, Österreich und der Schweiz, wo anonyme Samenspenden bereits verboten seien, ohne dass es dort zum Erliegen von Samenspenden gekommen sei. Unterhaltsforderungen durchzusetzen, sei zudem an viele Voraussetzungen geknüpft. Etwa daran, dass das Spenderkind zunächst die Vaterschaft seines rechtlichen Vaters anfechten muss. Und zwar innerhalb von zwei Jahren, nachdem es erfahren hat, dass sein biologischer Vater ein anonymer Samenspender ist. Im Fall von Sarah ist diese Frist verstrichen. Schon deshalb muss ihr unbekannter, biologischer Vater nicht fürchten, dass sie von ihm Geld einfordern könnte. Zum anderen verpflichteten sich die meisten Eltern vertraglich, mögliche Unterhaltspflichten des Spenders gegenüber dem Kind zu übernehmen. Der Verein betont, was auch Sarah P. immer gesagt hat: „Uns geht es einzig und allein darum, dass wir mehr über unsere Abstammung wissen möchten.“
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