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Samenspende: Kinder haben ein Recht darauf, den Namen ihres Vaters zu erfahren. Das entschied ein Gericht in Hamm.
© dpa

Urteil zur genetischen Auskunft: Samenspenden sind in Zukunft gefährlich

Die Vaterschaft ist nach vieltausendjähriger Ungewissheit nachprüfbar geworden. Das neue Urteil des Oberlandesgerichts Hamm macht eines deutlich: Männer, die sich auf eine Samenspende einlassen, sind entweder töricht oder mittellos.

Sie ist neugierig. Die junge Frau, die sich vor dem Oberlandesgericht Hamm das Recht auf Kenntnis ihrer Abstammung erstritten hat, will kein Geld. Sie möchte wissen, ob sie ihrem Vater ähnlich sieht. Ob sie so ist, weil er so ist. Das genügte, um einen alten Komment brüchig werden zu lassen – dass Samenspender einen Anspruch auf Vertraulichkeit und Anonymität besitzen. Sie sind Väter, mit allen Pflichten. Manche womöglich dutzend- oder hundertfach.

Andere Gerichte könnten in Ansehung des Einzelfalls zu anderen Ergebnissen gelangen. Doch liegt das Urteil auf einer Linie, die sich mit dem Aufkommen verlässlicher und bezahlbarer Abstammungsgutachten gefestigt hat. Die Vaterschaft ist nach vieltausendjähriger Ungewissheit nachprüfbar geworden. Die DNA-Analyse hat nicht nur Medizin und Verbrechensbekämpfung revolutioniert, sie hat auch das Kindschaftsrecht unter neue Vorzeichen gestellt. Der Nachweis biologischer Herkunft ist zum Auflösungsargument für bestehende rechtliche Beziehungen geworden. Und er kann neue schaffen, im Zweifel gegen den Willen der Beteiligten.

Das als Fortschritt zu begrüßen, sollte nicht von Problemen ablenken. Rund 100 000 Kinder in Deutschland sollen ihre Existenz einem Samenspender zu verdanken haben; Männer, die auch nach dem OLG-Urteil damit weitermachen, sind entweder töricht oder mittellos oder beides. Die Unsicherheit ist da, die Politik muss sich etwas einfallen lassen. Jedenfalls dann, wenn ihr familienpolitisches Mantra von der Geburtenförderung mehr sein soll als eine Phrase.

Nachzudenken wäre aber auch, welche Rolle die Abstammung wirklich spielen soll. Zu entscheiden hat das letztlich jeder für sich. Soeben jubelten einige, mit Verabschiedung des neuen Sorgerechts für unverheiratete Väter werde eine angebliche Vormachtstellung der Mütter aufgebrochen. Tatsächlich ist es richtig und wichtig, leiblichen Vätern auch gegen den Willen von Müttern den Zugang zur Sorge zu ermöglichen. Aber sie sollten es eben auch ernst meinen mit ihrer Verantwortung. Und das kann bedeuten, auf Rechte zu verzichten, die einem zustehen. Viele Sorgerechtskonflikte sind nun mal die Fortsetzung ex-partnerschaftlichen Zwists. Ob das neue Recht mit diesen Konfliktlagen gut umgehen kann, wird sich erst noch erweisen müssen.

Der genetisch geprüfte Vater ist noch immer ein Novum in der Weltgeschichte. Mit ihm haben sich auch Rollenbilder verschoben. Väter, die sich kümmern wollen, werden zum gesetzgeberischen Leitbild. Wahr bleibt allerdings auch, dass sich viele – sehr viele – ihren Pflichten entziehen. Oder dass sie, wie Samenbank-Väter, mit ihren Kindern nichts zu tun haben wollen. Das könnte auch die junge Frau noch erfahren müssen, wenn sie dereinst ihren Erzeuger kennenlernt: Dass gesicherte genetische Abkunft keine Garantie dafür ist, von seinem Vater nicht enttäuscht zu werden.

Jost Müller-Neuhof

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