Oscar-Verleihung: Bekommt Leonardo DiCaprio ihn endlich?
Einst spielte er romantische Helden. In „The Revenant“ kämpft Leonardo DiCaprio ums Überleben. Gewinnt der Schauspieler endlich seinen ersten Oscar?
Dieses Mal klappt’s, Leo! Davon sind jedenfalls die knapp eine Milliarde Fernsehzuschauer aus 200 Ländern überzeugt, die das Event in der Nacht von Sonntag auf Montag verfolgen. Mit „The Revenant“ ist Leonardo DiCaprio zum vierten Mal für einen Oscar in der Kategorie Bester Hauptdarsteller nominiert. Auch wenn man ihn als Trapper mit Zottelbart und langen Haaren in diesem düsteren Überlebensdrama aus dem frühen 19. Jahrhundert kaum erkennt, so ist doch klar, dass der Schauspieler in dieser Rolle bis an seine physischen Grenzen gegangen ist – und darüber hinaus.
Schnee und eisiges Wasser, rohe Bison-Innereien zum Essen und Temperaturen von bis zu 40 Grad unter null – das waren nur einige der Schwierigkeiten, mit denen DiCaprio sich während der Dreharbeiten herumschlagen musste. Dafür war allerdings wenig Dialog zu lernen: DiCaprio grunzt, ächzt und brüllt, denn es ist weitgehend ein Überlebenskampf gegen die Natur, den er führt, allein auf sich gestellt.
Die Inszenierung des in Mexiko gebürtigen Regisseurs Alejandro González Iñárritu, der erst vergangenes Jahr mit „Birdman“ den Oscar gewann, zieht die Zuschauer in den Film hinein, seiner überwältigenden Wirkung kann man sich nur schwer entziehen. Im vergangenen Jahrzehnt sind Oscars eher für physische Verwandlungskunst als für subtiles, nuancenreiches Spiel vergeben worden. Auch dieser Trend spricht dafür, dass DiCaprio diesmal endlich gewinnt – er ist zum sechsten Mal nominiert.
Rasiert, in Schlips und Kragen
Auch mit seinem letzten Film „The Wolf of Wall Street“ kandidierte er 2014 für den Oscar, da musste er sehr viel sprechen. Allerdings rasiert und in Schlips und Kragen, obwohl das von Martin Scorsese inszenierte Biopic über Aufstieg und Fall eines Wallstreet-Brokers ihm körperlich ebenfalls viel abverlangte. DiCaprio agierte lustvoll zwischen Engagement und Wahnsinn, brachte einige bis dahin ungesehene Formen des Exzesses auf die Leinwand und schaffte es, die Geldgier als bürgerliches Laster und als Motiv für außerordentliche kreative Leistungen erscheinen zu lassen.
Scorsese, der durch Robert DeNiro auf DiCaprio aufmerksam wurde, ist für die Image-Änderung des ehemaligen Teeniestars und Marzipan-Bübchens verantwortlich, der noch im Jahr 2000 im künstlich verrätselten Esoterik-Krimi „The Beach“ wenig mehr zu tun hatte, als seinen wasserbeperlten Körper an einem thailändischen Strand zur Schau zu stellen – der Film war ein reines DiCaprio-Vehikel.
Da hatte er „Titanic“ (1997) bereits hinter sich, und kaum ein Liebespaar konnte damals der Versuchung widerstehen, die Paarpose von Kate Winslet und DiCaprio am Bug des dem Untergang geweihten Luxusliners nachzustellen. Vorausgesetzt, es stand ein Boot zur Verfügung. Nach körperlichen Strapazen, Verwandlung bis zur Unkenntlichkeit und derbem, urwüchsigen Männlichkeitsgehabe sah es also nicht unbedingt aus, wenn man DiCaprios Karriere betrachtet.
Der 1974 in Hollywood geborene Schauspieler stand bereits als 14-Jähriger vor der Kamera, zunächst in TV-Werbespots. Dann wurde er sehr schnell zum Fernseh-Serienstar. 1993 eroberte DiCaprio die internationalen Leinwände: Mit 19 Jahren war er süß, weizenblond, sah jünger aus und spielte – großartig – entsprechende Rollen: in „This Boy’s Life“ einen von seinem autoritären Stiefvater (Robert DeNiro) misshandelten Jungen, im gleichen Jahr den autistischen, kleinen Bruder von Johnny Depp in „Gilbert Grape – Irgendwo in Iowa“, wieder ein Film über Familienprobleme, der ihm seine erste Oscar-Nominierung als bester Nebendarsteller einbrachte.
Zum Schwarm der Teenie-Internationale wurde DiCaprio dann 1996, in „William Shakespeares Romeo & Julia“, einer modernisierten Klassikeradaption. Aus Shakespeares sich verzehrendem, romantischem Liebeshelden machte DiCaprio einen Popstar und löste damit eine ganze Flut von Shakespeare-Verfilmungen aus. In dem schönen, traurigen Familiendrama „Marvins Töchter“ spielte er im selben Jahr dann noch einmal an der Seite von Robert DeNiro. Dann kamen, in schneller Folge, „Titanic“, Woody Allens „Celebrity“ und eben „The Beach“.
Im Straßenkampf
Viel Ruhm in jungen Jahren, aber damals war DiCaprio 26, und es muss ihm klar gewesen sein, dass er mit dem Bübchen-Image nicht mehr sehr weit kommen würde. Seine Leistung, so hat er einmal gesagt, hänge zum größten Teil von den Regisseuren ab, mit denen er arbeitet. Und so traf er Anfang des 21. Jahrhunderts die kluge Entscheidung, mit Martin Scorsese zu drehen, auch wenn es der nicht rundum gelungene Film „The Gangs of New York“ (2002) war: Er erzählt von den 1860er Jahren in Lower Manhattan, wo sich ethnisch-religiös geprägte Gangs erbittert bekämpften, während gleichzeitig der Bürgerkrieg tobte. Leonardo DiCaprio spielt einen jungen Iren, der als Kind mitansehen musste, wie sein Vater im Straßenkampf umkam.
DiCaprios Figur ist weder strahlend noch romantisch, sondern zerlumpt und verdreckt, von den Narben früherer Kämpfe gezeichnet. Seine Zähne sind braun<NO1>und schadhaft<NO>, die Haare hängen in fettigen Strähnen um sein Gesicht; so gesehen ähnelt diese Rolle der in „The Revenant“. Man kann sich vorstellen, dass diese Veränderung ins Hässliche auch eine Befreiung für DiCaprio bedeutete. Scorsese hat das Potenzial des Schauspielers erkannt: Im Biopic „The Aviator“ (2004) gab er DiCaprio die Rolle des irren Millionärs Howard Hughes, im Gangster-Film „The Departed“ (2006) setzte er ihn in seinem Lieblingsgenre ein; und im düsteren 50er-Jahre-Drama „Shutter Island“ (2010) schickte er ihn in eine psychiatrische Anstaltshölle.
Leonardo DiCaprio, der immer mal wieder mit Models gesehen wird und offenbar auch werden will, engagiert sich in in seinem Privatleben, wiederum öffentlichkeitswirksam, für ökologische Nachhaltigkeit. Ein hochbegabter Darsteller, reich, schön, überzeugend auf der Leinwand – kein Wunder, dass die Boulevard-Gazetten ihm gern Verlobte andichten. Aber jetzt gewinnt er hoffentlich erst mal einen Oscar – vor allem für die grausame Szene, in der er nur mit einem Messer bewaffnet eine Grizzlybären-Mutter besiegt.