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Parforcetour. Leonardo DiCaprio ist als Broker und Betrüger nicht zu bremsen.
© Paramount/dpa

"The Wolf of Wall Street": Aufgebot der Alphamännchen

Sex bis zum Abwinken, Koks und Privatjets - in Martin Scorseses neuem Film "The Wolf of Wall Street" ist die Finanzwelt ein einziger Rausch. Mittendrin ist Leonardo DiCaprio - er heimste für seinen Auftritt schon eine erste Trophäe ein.

Schön die Schlange würgen, sagt der Profi zum Neuling, empfiehlt ihm, mindestens zwei Mal täglich zu wichsen, stößt Brunftschreie aus und trommelt sich mit den Fäusten auf die Brust, bevor er zum Lunch im Edelrestaurant hoch über den Straßen Manhattans den nächsten Martini kippt. Willkommen im Urwald der Wall Street, in der Welt des Wahnsinnsprofits und des Testosterons, der Hysterie, der Exzesse.

Wir schreiben das Jahr 1987, der Neuling hat Pech. Zwar lernt er in Windeseile, wie man das Geld aus den Taschen der Kunden in die eigenen schaufelt. Just sein erster Arbeitstag als Broker ist jedoch der 19. Oktober, der als „Black Monday“ in die Geschichte der Finanzwelt eingehen wird. Seine Firma fällt dem Börsencrash zum Opfer, und der Profi – Matthew McConaughey in einem grandiosen Kurzauftritt – taucht nie wieder auf.

Aber keine Sorge, Leonardo DiCaprio ist der Neuling namens Jordan Belfort, der sich schnell nach ganz oben katapultiert. DiCaprio hat sie alle gespielt, seit er dem Teenieschwarm aus „Titanic“ entwachsen ist: die Emporkömmlinge und Exzentriker, die Abgefuckten und Superreichen, Psycho- und Soziopathen, Prototypen der Gewalt wie des Betrugs. Den Bandenführer in „Gangs of New York“, den größenwahnsinnigen Pionier Howard Hughes in „Aviator“, den Hochstapler in „Catch me if you can“, den Paranoiker in „Shutter Island“, den Sadisten in Tarantinos „Django Unchained“, den mysteriösen Millionär im „Großen Gatsby“. In diesem Jordan, der in einer Klitsche auf Long Island mit Kleinstaktien sein eigenes Unternehmen aufzieht und sich mit miesen Tricks an den einfachen Leuten bereichert, der kokst, hurt, säuft, brüllt, tobt, protzt und Millionen scheffelt – in der Parforcetour dieses Jordan vereint er alle Figuren, die er bislang verkörperte. Was DiCaprio einen Golden Globe bescherte und, wetten, wohl einen Oscar einbringen wird.

Zum fünften Mal arbeitet der nun 39-Jährige mit Martin Scorsese zusammen. Dessen einstigen Lieblingsschauspieler Robert De Niro hat er längst beerbt, bullig, smart, gnadenlos gegen sich selbst. Scorsese und DiCaprio sind ein eingespieltes Team. Den Film, der auf den Memoiren des echten Jordan Belfort basiert, haben sie mit produziert, gelten als sichere Bank. Auch Scorsese klotzt erneut mit der eigenen Virtuosität und setzt „The Wolf of Wall Street“ so manisch und orgiastisch in Szene, wie sein Held Aktien vertickt. Jordan peitscht seiner Truppe ein, Scorsese heizt das Tempo an, verwirbelt die Bilder, motzt sie mit Slow Motion und Rockhymnen auf, jagt den Zuschauer durch die Höllen der Dekadenz. Hauptsache Überdosis, nach dem Motto: Zu viel ist nie genug. Und das drei Stunden lang.

Ein Comic, ein Trashfilm, eine miese Nummer

Jordan lässt sich von seiner netten Frau scheiden, um die heißeste Braut von Bay Ridge (Margot Robbie) zu heiraten, schenkt ihr zur Hochzeit eine 50-MeterJacht, kauft sich Sex bis zum Abwinken, ist süchtig nach Frauen, Luxus, Immobilien, Privatjets, Porsches, you name it. Jede Firmenparty artet in eine Orgie mit Stripgirls, Edelhuren und Zwergenwerfen aus, jedes Meeting wird zum Drogenrausch mit immer noch stärkeren Pillen und größeren Koksbergen, jede Ansprache von „Wolfie“, wie die Angestellten ihn nennen, gipfelt im verbalen Exzess. Jemand hat gezählt, dass allein das Wort „Fuck“ über 500 Mal fällt.

Chronik eines Junkies: Scorsese und DiCaprio übertreiben, gnadenlos. Das verrät schon der Titel, denn an der Wall Street feiert Jordan ja gerade nicht Erfolge, sondern abseits, in Long Island. Ein Wolf ist er allemal, ein wildes Tier, der fieseste White-Collar-Gangster, seit Scorsese Gangster- und Amerikafilme dreht. Und natürlich der Beste beim Zwergenwerfen, auf dessen wahnhaft und geil verzerrtes Gesicht die Kamera gleich zu Beginn obsessiv zoomt. „The Wolf of Wall Street“ ist ein Comic, ein Trashfilm, eine miese Nummer, spätestens dann, wenn Jordan mit seinen halbseidenen Kollegen die First Class beim Atlantikflug zum Schweizer Bankier (Jean Dujardin als Geldwäscher) in ein Bordell verwandelt. Erotik des Geldes, das klingt viel zu vornehm, Scorsese sexualisiert das Geschehen auf weit drastischere, vulgäre Weise. Seine Ästhetik der Maßlosigkeit macht klar: Diese Typen sind einfach das Letzte.

Auch der Sturz des Helden wird im XXL-Format präsentiert. Die Jacht fällt einer Monsterwelle im Mittelmeer zum Opfer, der Privatjet explodiert, die Ehe endet in dramatisch-kläglichem Kindergezerre samt geschrottetem Sportwagen. Und der letzte Designerdrogentrip macht aus Jordan einen sabbernden, sich windenden, elend vor seinem Lamborghini kriechenden Kerl. Ein spastisch zuckender Unsympath, man sieht das nicht gern. Solche Drogenszenen sind selten im Kino.

Dieser Film ist jenseits jeglicher Moral angesiedelt. Gordon „Gier ist gut“ Gekko alias Michael Douglas hatte noch Skrupel in Oliver Stones "Wall Street"-Filmen - um sie eiskalt zu verwerfen. „Wall Street 1“ hatte Stone kurz vor dem Börsencrash 1987 abgedreht, „The Wolf of Wall Street“ verrät, wie es weiterging: noch viel hemmungsloser. Aus Fehlern, das weiß man seit dem jüngsten Crash 2007, hat die Finanzwelt noch nie gelernt. Warum auch, es lässt sich ja munter weiter das Geld aus den Taschen der Kunden in die eigenen schaufeln. „The Wolf of Wall Street“ spielt vor einem Vierteljahrhundert, er könnte aktueller nicht sein.

Helden aus dem wahren Leben? Unerwünscht!

Der bitterböse offene Brief von Christina McDowell, deren Familie vom realen Jordan Belfort mit in den Ruin getrieben wurde, zielt jedenfalls daneben. McDowell wirft Scorsese und DiCaprio vor, die amerikanische Besessenheit von Geld und Status anzuheizen und „die Geldgier und das psychopathische Verhalten“ der Börsengangster zu verherrlichen.

Stimmt schon, Belforts Opfer tauchen im Film nicht auf. Der mittlerweile 51-jährige Betrüger hatte mit seiner Firma Stratton Oakmont vor allem Kleinanleger mit dem „Pump and dump“-Verfahren um mehr als 200 Millionen Dollar geprellt. Er kam mit 22 Monaten Gefängnis davon, hat bis heute kaum Bußzahlungen für seine Abzocke geleistet und offenbar kein Schuldbewusstsein entwickelt. Aber das Drehbuch von Terence Winter („Die Sopranos“, „Boardwalk Empire“) heißt nicht eine Sekunde lang gut, was der Mann treibt. Seit seinen frühen Filmen über New Yorker Kleingangster versucht Scorsese, dem Wesen und der Organisationsstruktur der Gewalt und des Bösen mit den Mitteln der Fiktion so nahe wie möglich zu kommen. Bloß Psychologie, Ursachenforschung, das war nie seine Sache. Stattdessen hält er drauf, auf die Gefahr des Leerlaufs, des Überdrusses.

Belfort, der unverbesserliche Demagoge

Vielleicht weil Scorsese das Kino zu gut kennt, die Grenzen des Genres, die Gier der eigenen Branche. Wenn das FBI am Ende mit großer Mannschaft bei Stratton Oakmont anrückt und die Firma zu den fröhlichen Klängen von Simon & Garfunkels „Mrs. Robinson“ auseinandernimmt, blitzt blanker Zynismus auf. Ein Zynismus, der um die Finanzkrake weiß, der man einen Kopf abschlägt, während Dutzende nachwachsen. Und wenn Jordans Gegenspieler, der unbestechliche FBIAgent Denham (Kyle Chandler) trotz einer fulminanten Begegnung auf der Jacht (in der Jordan ihm vor Wut Hummer hinterherwirft) eine blasse Figur bleibt, steckt auch darin eine tiefe Wahrheit. Denham fährt nicht Porsche, sondern mit der U-Bahn nach Hause. Helden aus dem wirklichen Leben machen im Kino nichts her.

Jordan Belfort lebt heute in Kalifornien und verdient gutes Geld als Verkaufstrainer und Unternehmensberater. Ein unverbesserlicher Demagoge, so zeigt DiCaprio ihn am Ende. Laut „FAZ“ berät Belfort unter anderem die Deutsche Bank.

Ab Donnerstag in 24 Berliner Kinos. OmU: F. a. Friedrichshain, Odeon, Neues Off, OV: Central, Cinestar Sony-Center

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