80. Geburtstag von Woody Allen: Der König der Komiker
So viel Witz hat sonst keiner. Und doch sind seine Filme auch Elegien. Zum 80. Geburtstag des Kinogenies Woody Allen.
Woody Allen, obwohl als Genie längst ein künstlerisches Schwergewicht, ist im amerikanischen Kino noch immer der Schmetterling unter Galgenvögeln. Ein komödiantischer Außenseiter, der neben den Untiefen auch alle dunkleren Abgründe kennt in der Comédie humaine.
Für die Amerikaner, westlich der Ostküste und östlich der Westküste, ist er der Europäer in New York – für uns Europäer der Amerikaner in uns. Ein Wegbegleiter seit einem halben Jahrhundert. Seit gut fünfzig Filmen.
Das halbe Jahrhundert begann 1965 mit einem Werk, das in Deutschland den damals wohl eher ungewollt unterschwelligen Titel „Was gibt’s Neues, Pussy?“ trug und von dem bestenfalls noch der englische Titel-Song „What’s New, Pussicat?“ von Tom Jones in Erinnerung ist.
Regie bei diesem total meschuggenen, überzwerchen Bohei führte Clive Donner, und das ganze Doria spielte in und bei Paris, es drehte sich um Liebe, Sex, Chaos, Neurosen und Verwechslungen. Peter Sellers spielte da einen Psychiater mit Namen Dr. Fritz Fassbender, der in der deutschen Fassung albernerweise Dr. Nikita Popowitsch hieß; ein gerade Dreißigjähriger namens Woody Allen, der auch das Drehbuch geschrieben hatte, trat als erotisch zerstreuter Professor namens Victor Shakapopolis in einer (nicht unwichtigen) Nebenrolle auf – außerdem waren als Playboy und Girls immerhin Peter O’Toole, Ursula Andress, Paula Prentiss und Romy Schneider mit von der Partie.
Welche Namen, schon zum Start!
Kein Meisterwerk. Aber welche Namen, schon zum Start! Zwei Jahre später hat Woody Allen auch noch als Drehbuchautor mitgewirkt und mitgespielt bei der James-Bond-Parodie „Casino Royale“. Auch das nicht viel mehr als ein verworrenes Slapstickpotpourri („casino“ heißt im Italienischen Durcheinander und Chaos). Aber wer wirbelte da schon wieder durcheinander: Peter Sellers (statt Sean Connery, der zu viel Gage verlangte), David Niven, Orson Welles, William Holden, Jean-Paul Belmondo, Charles Boyer – und Woody neben Beauties wie Daliah Lavi, Ursula Andress, Jacqueline Bisset.
So super illustre und vor allem teure Besetzungen hat es später, trotz Stars wie Allens Partnerinnen Diane Keaton und Mia Farrow oder den wunderbaren Rollen von Scarlett Johansson, Javier Bardem und Penélope Cruz, nicht mehr gegeben. Doch dafür Woody Allen: in und mit seinen wirklich eigenen Geschichten. Mit Geschichten statt nur Gagmaschinen.
Bei „Take the Money and Run“, auf Deutsch, so war das 1969 noch, „Woody, der Unglücksrabe“ genannt, hat er dann erstmals selber Regie geführt. Wie auch Anfang der 70er bei „Bananas“ oder „Was Sie schon immer über Sex wissen wollten...“. Damals hatte Allen unter Cineasten in den USA und Europa längst einen Namen. Als Komiker.
Erst 1975 war er schon mit dem Titelmotto von „Love and Death“ („Die letzte Nacht des Boris Gruschenko“) einen Schritt über den zappelig neurotischen Harlekin hinaus. Freilich hing „Love and Death“ noch immer am Parodistischen, Woody spielte mit Eindrücken seiner russischen Lektüreerlebnisse, mit „Krieg und Frieden“, doch wendete er die Militär-Satire in Zeiten von Napoleons Russland-Feldzug ins überraschend Sarkastisch-Tragische. Das Finale des Boris Gruschenko endet nicht im Liebesbett, sondern mit seiner Hinrichtung, das alles zur Musik von Prokofjew und Mozart.
In den 70er Jahren kommt er ganz zu sich und in seine Welt
Ganz zu sich und in die eigene Welt ist Woody Allen dann in der zweiten Hälfte der für ihn wohl entscheidenden 1970er Jahre gelangt: mit „Annie Hall“ („Der Stadtneurotiker“), mit „Innenleben“ und 1979 mit „Manhattan“. Nomen est omen. Berühmt wurden Allen und seine Film- und damalige Lebensgefährtin Diane Keaton als Schattenrisse im Profil: vor der Kulisse, in der W. A. bis heute real zu Hause ist. Oder als ikonisches Paar auf der Bank vor der Brooklyn Bridge.
Woody spielt darin Isaac, sein Alter Ego, Jude, New Yorker, Gagschreiber. Doch auf der Couch liegend – ein Möbel, das Woody zum Schreiben oder Erzählen (bei Prof. Freuds Enkeln) gerne selber benutzt – diktiert sich Isaac einmal „die Idee für eine Kurzgeschichte“ in den Kassettenrecorder: „Leute in Manhattan, die sich, äh, ständig diese wirklich überflüssigen, äh, neurotischen Probleme schaffen, weil es sie sie davon abhält, sich mit den unlösbaren, bedrohlichen Problemen, äh, des Universums zu beschäftigen.“ Dazu Gershwins „Rhapsody in Blue“, alles ohne Farbe gedreht, Woody Allen schwarz auf weiß.
Zum Schluss wird Isaac von der Schauspielschülerin Tracey, gespielt von der jungen Mariel Hemingway, einer Enkelin des Schriftstellers, verlassen, sie will nach London gehen. Aufbrechen. Wie einst Allen selbst. Im Ausbruch aus Hollywood. Dort sah er sich als Gefangener kommerzieller Zwänge, vor allem aber, so erzählte der Ingmar-Bergman-Fan dem schwedischen Interviewer Stig Björkman: „Humorlose Leute entscheiden dort, was komisch ist.“
So habe er im Zusammenhang mit „Pussicat“ eine Szene geschrieben, in der ein Mann einen Aufzug zwischen zwei Stockwerken anhält, „um mit einer Frau zu bumsen. In einem geschäftigen Bürogebäude in New York kann das komisch sein.“ Seine Hollywoodproduzenten aber hätten sich einen Pariser Altbauaufzug ausgesucht, der „wie das Hochzeitsgemach eines Hotels aussah“, da war „der ganze Witz beim Teufel“.
Seine Schlusspointen sind oft besonders gut. Vor allem, wenn es kriminalistisch wird.
Woody Allen glaubt nicht an Gott – deshalb hat er auch ein Theaterstück über ihn geschrieben, Titel: „God“. Doch an den Teufel glaubt er schon. In der Hölle ist zwar das Klima schlechter als weiter oben, doch die Gesellschaft besser. Das wusste schon G.B. Shaw. Als „Manhattan“ 1979 herauskam, widmete der „Spiegel“ Allen eine Titelgeschichte, die auf dem Cover „Der letzte Clown“ hieß, im Heftinneren jedoch den „Intellektuellen als Komiker“ beschrieb, der seinen Figuren immer häufiger das Happy End versagte. Hellmuth Karasek, der „Spiegel“-Autor, nahm damals schon manches Finale vorweg, als er schrieb: „Die Vertreibung ins Paradies sieht bei Woody immer wie ein Himmelfahrtskommando aus.“
Die Schlusspointen sind in Allens Filmen übrigens oft besonders gut. Vor allem dann, wenn es kriminalistisch wird und ein vermeintlich unscheinbares Requisit plötzlich alles entscheidet. Am tollsten wohl 2005 in „Match Point“, wo der damals siebzigjährige Geschichtenerfinder und Regisseur zu seiner höchsten Spätform auflief und einen goldenen Fingerring auf der Ufermauer zur Themse tanzen ließ wie einen Tennisball auf der Netzkante, die nun Sieg oder Niederlage bedeutet.
Genau diese Szene wird am Ende, überraschend und hier nicht verraten, auch in Woody Allens eben angelaufenen Campus-Krimi „Irrational Man“ variiert. So ist der Altmeister zu einem Genre zurückgekehrt, das in der Gesamtwahrnehmung meist nur am Rande beachtet wird. Western waren ja nichts für ihn. Aber Kriminalkomödien in hellschwarzer Serie schon: ob „Verbrechen und andere Kleinigkeiten“ oder „Manhattan Murder Mystery“ in den frühen 90ern oder jüngst der „Irrational Man“.
Von Schmerzen und Scherzen weiß im Weltkino heute keiner mehr als er
Dennoch sind es andere Werke, die Allens Genie in den Olymp der Filmgeschichte tragen. Auf seinen Schmetterlingsschwingen. „Manhattan“, „The Purple Rose of Cairo“ oder das vielleicht schönste, poetischste Opus von allen, die Geschichte von „Hannah and her Sisters“ im Jahr 1986.
Hinzu kommen seine genuinen Erfindungen: Zelig, der im gleichnamigen Film als fiktive Figur in die reale Zeitgeschichte wechselt, in Doku-Fakes als Chamäleon plötzlich neben New Yorker Gangstern der 20er Jahre auftritt oder später sich zwischen die deutschen Obernazis mischt. Oder in der „Purple Rose of Cairo“, als ein Kinotraum Wirklichkeit wird und der Filmstar aus der Leinwand herab leibhaftig ins Leben der armen jungen Frau Cecilia (Mia Farrow) tritt. Auch diese Überblendung von Schein und Sein nimmt ein eher trauriges Ende. Weil es so wunderbar – also: voller Wunder – erzählt ist, verlässt der Zuschauer, anders als Cecilia, das Kino freilich getröstet. Allen, der Jazzklarinettist und elegische Komödiant, war nie ein Rock’n’Roller. Doch spielt er seinen Blues oft wie den coolsten Evergreen.
Von Schmerzen und Scherzen weiß im Weltkino heute keiner mehr als er. Deswegen können uns die Ausrutscher, die es in Woodys unerschöpflichen Schaffensfülle auch immer wieder gibt, nicht ärgern, selbst wenn sie wie „To Rome with Love“ (2012) einer italientouristischen Filmtapete gleichen. Paris hat er solchen Schmonzes auch schon angeheftet, um es dann mit der sanften Nostalgiesatire „Midnight in Paris“ fabulös zu kontern.
Über die Turbulenzen seines Privatlebens hier und heute kein Wort. Er ist ein widersprüchlicher Mensch mit einem als Künstler ungewöhnlich geglückten Leben. Allan Stewart Konigsberg, der am heutigen Dienstag vor 80 Jahren in Brooklyn als Sohn eines jüdischen Diamantschleifers geboren wurde, hat schon mit 17 Jahren seinen Namen gewechselt, war als Teenager bereits ein ganz gut verdienender Sketch- und Gagschreiber für Radioshows und Kabarett, deshalb hatte ihn früh auch Hollywood entdeckt.
Seit Groucho Marx hatte keiner so viel Witz auf Lager, schon sein junger Kopf muss einem Universum der Pointen geglichen haben. Dass dabei sein Familienname Konigsberg an den Lebensort von Immanuel Kant erinnerte (der eine Abhandlung über den Witz geschrieben hat), beflügelt ihn bis heute zur eigenen Verbindung von Erkenntnistheorie und Praxis: „Ich hasse die Realität, aber wo sonst bekommt man schon ein anständiges Steak!“ Wir wünschen es ihm zum 80. schön blutig. Und: Be happy. Ohne End.
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