Nach dem Tod von George Floyd: 500 Nationalgardisten erreichen Minneapolis nach schweren Ausschreitungen
In den USA nehmen die Proteste nach dem brutalen Tod eines Afroamerikaners zu. In Minneapolis brennen Gebäude, eine Polizeistation wurde gestürmt. Ein CNN-Team wird verhaftet und wieder freigelassen.
Proteste, Plünderungen, Brandstiftungen und Tränengas: Die US-Stadt Minneapolis befindet sich nach dem Tod eines Schwarzen bei einem brutalen Polizeieinsatz im Ausnahmezustand. Der Gouverneur des US-Staates Minnesota, Tim Walz, erklärte deshalb am Donnerstag den Notstand für Minneapolis und umliegende Gebiete - und mobilisierte die Nationalgarde.
Nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd (46) war es in Minneapolis in der Nacht zu Donnerstag zu schweren Ausschreitungen gekommen. In der Anordnung des Gouverneurs hieß es, friedliche Demonstrationen seien weiterhin erlaubt. Ausschreitungen bedrohten aber auch die Sicherheit friedlicher Demonstranten. Die Nationalgarde erreichte Minneapolis Donnerstagnacht (Ortszeit), etwa 500 Gardisten sollen Berichten zufolge zum Einsatz kommen.
Neben friedlichen Protesten kam es auch am dritten Tag in Folge zu schweren Ausschreitungen. Bilder zeigten geplünderte und brennende Läden, die Polizei ging mit Tränengas, Pfefferspray und Schlagstöcken gegen Demonstranten vor. Der Gouverneur des Staates Minnesota, Tim Walz, hatte auf Twitter vor einer "extrem gefährlichen Lage“" gewarnt und die Menschen aufgefordert, die Gegend zur eigenen Sicherheit zu verlassen.
CNN-Team wird vor laufender Kamera festgenommen - und später wieder freigelassen
Bei der Demonstration in Minneapolis am Freitag gegen 5 Uhr morgens Ortszeit wurde ein CNN-Reporter festgenommen. Während einer Live-Übertragung wurden dem Journalisten Omar Jimenez von Polizeibeamten Handschellen angelegt, anschließend wurde er abgeführt. Zuvor hatte er sich als CNN-Reporter zu erkennen gegeben. Ebenso abgeführt wurden der Kameramann und ein Produzent, die Kamera wurde beschlagnahmt. Der Grund für die Verhaftung war zunächst nicht ersichtlich.
Später wurden Jimenez und das CNN-Team wieder freigelassen, zuvor hatte CNN vom Gouverneur des Staates Minnesota und den örtlichen Behörden die sofortige Freilassung der Crew gefordert. CNN-Präsident Jeff Zucker hatte nach Angaben des Senders zuvor mit Minnesotas Gouverneur, Tim Walz, gesprochen. Der sich für die Verhaftung entschuldigte und auf eine sofortige Entlassung des Teams hinwirke. Der Vorfall sei inakzeptabel gewesen, sagte Walz nach CNN-Angaben."Sie hatten das Recht dort zu sein, wir wollen das die Medien vor Ort sind um zu berichten." Er übernehme die volle Verantwortung.
Omar und sein Team hatten während der Proteste Bericht erstattet - und die Heftigkeit der Proteste dokumentiert. US-Präsident Donald Trump hatte als Reaktion auf die Proteste gedroht, die Kontrolle zu übernehmen und die Armee zu schicken. Auf Twitter schrieb er, dass die Armee auf Plünderer schießen würde. Twitter versah den Tweet daraufhin mit einer Meldung - der Inhalt des Tweets würde gegen die Richtlinien des Netzwerkes hinsichtlich der Verherrlichung von Gewalt verstoßen. Mit dieser Nachricht gehe eine Limitierung der Interaktion mit dem Tweet einher, schrieb das Netzwerk. Man könne den Tweet mit einem Kommentar retweeten, jedoch nicht darauf antworten oder ihn liken. Trump hatte zuletzt ein Dekret zur Beschneidung sozialer Medien unterzeichnet und so den Streit mit Twitter weiter eskaliert.
Trump kritisiert Frey - und bekommt eine scharfe Antwort
Weiterhin griff Trump in seinem Tweet den Bürgermeister von Minneapolis scharf an. "Ein totales Führungsversagen! Entweder reißt sich der sehr schwache radikale linke Bürgermeister, Jacob Frey, zusammen und bringt die Stadt unter Kontrolle oder ich werde die Nationalgarde hineinschicken und den Job richtig machen", schrieb Trump auf Twitter.
Auf diese Nachricht auf einer Pressekonferenz am Freitag angesprochen, äußerte sich Frey ähnlich scharf. "Schwäche ist wenn man keine Verantwortung für sein eigenes Handeln übernimmt", sagte er. "Schwäche ist mit seinem Finger auf jemand anderen während einer Krise zu zeigen." Donald Trump wisse gar nichts über die Stärke von Minneapolis. "Wir sind verdammt stark. Ist das eine schwere Zeit? Ja. Aber seien Sie sich ganz gewiss, dass wir da durchkommen."
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Demonstranten hatten am späten Donnerstag (Ortszeit) die Polizeistation in der Gegend gestürmt und angezündet, in der George Floyd am Montag starb. Demonstranten hatte Berichten zufolge Fenster des Gebäudes zerstört und es angezündet. Die Polizeibeamten hatten sich einem Bericht der "New York Times" zufolge zurückgezogen.
Zudem verbreiteten sich Bilder aus Minneapolis aus der Nacht zum Freitag (Ortszeit), bei denen Demonstranten vor dem brennenden Polizeigebäude stehen und "I can´t breathe" ("Ich kann nicht atmen") rufen. George Floyd hatte bei seinem gewaltsamen Tod, bei dem ein Polizeibeamter minutenlang auf seinem Hals kniete, immer wieder gesagt, er können nicht atmen.
Der Bürgermeister von Minneapolis, Jacob Frey, hatte schon zuvor die Nationalgarde angefordert, zeigte aber auch Verständnis für die Demonstrationen. Jeder habe das Recht, friedlich zu demonstrieren, aber die Stadt müsse die Sicherheit garantieren und die Infrastruktur schützen, sagte er am Donnerstag vor Journalisten.
Die Proteste seien das Ergebnis von „aufgestautem Ärger und Trauer“ der schwarzen Gemeinschaft, sagte Frey. Er appellierte an die nicht-schwarze Bevölkerung, dafür Verständnis zu zeigen.
Polizeichef Medaria Arradondo erklärte, die „allermeisten Menschen“ hätten friedlich protestiert. Die „Plünderungen und Brandstiftungen“ seien das Werk einer kleinen Gruppe gewesen, sagte er. Es habe auch einige leichte Verletzungen gegeben, fügte er hinzu.
FBI kündigt Ermittlungen an
Die Bundespolizei FBI und die örtliche Staatsanwaltschaft erklärten am Donnerstag in einer gemeinsamen Stellungnahme, den Ermittlungen zum Fall von George Floyd und einer möglichen Anklage werde nun „höchste Priorität“ gegeben.
Viele Demonstranten forderten bei friedlichen Protesten Gerechtigkeit für Floyd und eine rasche Verurteilung der involvierten Polizisten.
Der Lokalsender CBS Minneapolis berichtete jedoch, einige Demonstranten hätten Feuer in mehreren Geschäften gelegt, darunter in einem Autoteileshop der Kette „AutoZone“. Auch ein Laden der Discounterkette „Target“ brannte, wie auf Fotos zu sehen war. Andere Bilder zeigten auch Zerstörung vor einer Aldi-Filiale. In anderen US-Städten wie Los Angeles und Memphis protestierten Menschen am Mittwoch ebenfalls, wie die Zeitung „USA Today“ berichtete.
Auslöser des Zorns war ein Video der Verhaftung Floyds
Auslöser für die Wut und Empörung der Demonstranten war ein rund zehn Minuten langes Video von Floyds Tod, das sich am Montag rasant auf Facebook verbreitete: Es zeigt einen weißen Polizeibeamten, der minutenlang auf dem Hals des am Boden liegenden George Floyd kniet. Man hört und sieht diesen im Verlauf des Videos nach Atem ringen. „Ich kann nicht atmen“, hört man ihn sagen. „Mein Bauch tut weh, mein Hals tut weh.“ Und: „Töte mich nicht.“
Währenddessen stehen Polizisten und Passanten um Floyd herum, aus der Menge wird der Polizist immer wieder aufgefordert, von ihm abzulassen.
Zum Schluss des Videos wirkt Floyd leblos, der Kopf immer noch unter dem Knie des Beamten eingeklemmt. Ein Sanitäter kommt, das Opfer wird auf eine Trage gehoben und abtransportiert.
Er stirbt nur wenig später in einem Krankenhaus von Minneapolis. Er wurde 46 Jahre alt.
Das Video stammt von Darnella Frazier - die dafür auch beschimpft wird
Das Video, das die Amerikaner jetzt empört wurde aufgenommen von Darnella Frazier. Sie war an diesem Montagabend auf dem Weg zu Freunden. Sie sah den Vorfall, zückte ihr Handy und hielt zehn Minuten lang alles fest, bis ein Rettungswagen kam und Floyd abtransportierte. Die Aufnahme wackelt kaum, ganz nah war Frazier am Geschehen. Ein paar Stunden später lud sie das Video auf Facebook hoch. Nun sieht die ganze Welt, was geschah, besser: was getan wurde.
Doch nicht nur durch die Bilder selbst, sondern vor allem durch viele Reaktionen auf ihr Video fühlt Frazier sich traumatisiert. Sie habe das gemacht, um berühmt zu werden, um Geld zu verdienen, wird ihr vorgeworfen. Andere beschimpfen sie dafür, nicht eingegriffen zu haben. Frazier wehrt sich auf Facebook: „Ich erwarte von niemandem, der nicht in meiner Lage war, zu verstehen, was ich fühle. Aber denkt daran, ich bin minderjährig, 17 Jahre alt, natürlich kämpfe ich nicht gegen einen Polizisten. Ich hatte Angst.“
Ohne dieses Video, das schreibt Frazier auch, wären die vier Polizisten wahrscheinlich immer noch im Dienst und hätten irgendeine Geschichte fabriziert, hinter der sie sich verstecken. „Anstatt mich zu verurteilen, solltet ihr mir dankbar sein. Dieser Mann hätte einer von euren geliebten Menschen sein können.“ Sie sei es gewesen, die die Wahrheit ans Licht gebracht habe.
Kurz nach dem Vorfall veröffentlichte die Polizei eine Meldung, die zu sehr nach Alltag klang: „Mann stirbt nach medizinischem Vorfall während Polizeieinsatz“. Die Erzählung der Polizei hielt solange, bis das Video von Frazier veröffentlicht wurde – es erzählt eine völlig andere Geschichte. Die vier Polizisten wurden inzwischen entlassen, ob sie angeklagt werden, ist bislang unklar. Der Bürgermeister von Minneapolis, Jacob Frey, zeigte sich am Dienstag erschüttert und wütend.
„Schwarz zu sein darf kein Todesurteil sein“
„Schwarz zu sein darf kein Todesurteil sein“, schrieb er am Dienstag, einen Tag nach dem Vorfall, im Kurznachrichtendienst Twitter. Fünf Minuten lang habe man mitangesehen, wie ein weißer Polizeibeamter sein Knie in den Hals eines schwarzen Mannes gedrückt habe. „An unsere schwarze Community, an die Familie: Es tut mir leid.“
Der Vorfall gilt als ein weiterer Tiefpunkt in einer langen Reihe von Ereignissen mit Polizeigewalt in den USA, bei denen schwarze Menschen ihr Leben verloren. Wie sehr die Thematik das Land bewegt, zeigen die Debatten in den sozialen Netzwerken.
Seit dem Tod Floyds wird an vielen Orten demonstriert. Schon am Mittwoch kam es am Rande der Proteste in Minneapolis und Los Angeles kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen. Es wurden Geschäfte geplündert, die Polizei setzte Tränengas ein, um Menschen zurückzudrängen.
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In Minneapolis versammelten sich Demonstranten an jener Kreuzung, an der sich der Vorfall ereignete. Sie sangen Lieder und legten Blumen nieder. Und sie fordern Gerechtigkeit für George Floyd und eine Bestrafung der involvierten Polizisten.
In den sozialen Medien wurden die Hashtags „BlackLivesMatter“ („Schwarze Leben zählen“) und „ICan'tBreathe“ („Ich kann nicht atmen“) verbreitet. Sie wecken Erinnerungen an weitere willkürlich wirkende und brutale Polizeieinsätze, die sich gegen Schwarze richteten – Floyds Tod ist bei weitem kein Einzelfall.
„Ich kann nicht atmen“ - 2014 ereignete sich ein ähnlicher Fall
Zwei Beispiele, die ähnlich starke Proteste auslösten, trugen sich 2014 zu. Im Juni wurde der damals 43-jährige Eric Garner in New York City von Polizisten angesprochen. Sie verdächtigten den Afroamerikaner, unversteuerte einzelne Zigaretten zu verkaufen.
Es kam zu einer hitzigen Diskussion, die Polizisten wollten ihm Handschellen anlegen. Dazu nahmen sie ihn, einen Asthmatiker, von hinten in einen eigentlich seit 1993 verbotenen Würgegriff. Auch Garner rief: „Ich kann nicht atmen.“ Der 43-Jährige wurde bewusstlos in ein Krankenhaus gebracht, wo er später starb.
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Im August wurde der 18-jährige, afroamerikanische Schüler Michael Brown von einem Polizisten erschossen. Die genauen Umstände der Tat sind bis heute unklar. Wegen Zweifeln am Tathergang wurde kein Verfahren gegen den Polizisten eröffnet, was massive Demonstrationen nach sich zog, vor allem in Browns Heimatstadt Ferguson im Bundesstaat Missouri.
Trump kündigt Untersuchung an
Warum immer wieder Schwarze Opfer von Polizeigewalt werden, darüber diskutiert Amerika auch jetzt wieder. Argumentiert wird etwa, dass der Grund dafür systematischer Rassismus innerhalb der Polizei und des amerikanischen Rechtssystems ist
Prominente und Politiker meldeten sich ebenfalls umgehend zu Wort und verurteilten die Tat. US-Präsident Donald Trump, der oft dafür kritisiert wurde, sich nicht klar genug gegen rechts abzugrenzen, kündigte eine Untersuchung des „traurigen und tragischen Todes von George Floyd“ an. Der Gerechtigkeit werde Genüge getan, versprach er.
Der Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei, Joe Biden, sagte, der Tod George Floyds sei kein Einzelfall, „sondern Teil eines tiefsitzenden systemischen Kreislaufs von Ungerechtigkeit, der in diesem Land immer noch existiert“.
Die Senatorin Kamala Harris, die als mögliche Vizepräsidentschaftskandidatin von Joe Biden gehandelt wird, erklärte: „Die Geschichte unseres Landes zeigt, dass Rassismus und struktureller Rassismus die Art beeinflussen, mit der amerikanische Gesetze durchgesetzt werden.“ Die Systeme müssten deshalb reformiert und diejenigen, die sie missbrauchten, zur Verantwortung gezogen werden.
Die Art, mit der Floyd festgehalten worden sei, bezeichnete Harris als „Folter“. „Der Mann konnte nicht atmen, er flehte darum, atmen zu können – und er wurde hingerichtet. Es war eine öffentliche Hinrichtung.“
Tilman Schröter