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Schlafende Hunde in einer Straße in Kathmandu.
© AFP
Update

Notstand nach Erdbebenkatastrophe: 250 Vermisste nach erneuter Lawine in Nepal

In Kathmandu mangelt es drei Tage nach dem schweren Erdbeben an allem. Der Abgang einer neuen Lawine erschwert die Lage in Nepal, wo der Ministerpräsident bis zu 10.000 Tote befürchtet. Auch ein Professor aus Göttingen ist unter den Opfern, mehr als 100 Deutsche werden vermisst.

Nach dem Abgang einer neuen Lawine im nepalesischen Erdbebengebiet werden bis zu 250 Menschen vermisst. Möglicherweise seien darunter ausländische Touristen, sagte Gouverneur des Bezirks Rasuwa, Uddhav Bhattarai, am Dienstag der Nachrichtenagentur Reuters. Die Lawine habe zur Mittagszeit das Dorf Ghodatabela getroffen, das in einem Naturpark liege. Die Region nördlich der Hauptstadt Kathmandu ist bei Wanderern beliebt. “Wir versuchen sie zu retten, aber schlechtes Wetter und Regen behindern die Arbeit“, sagte Bhattarai weiter. Am Samstag hatte ein Beben der Stärke 7,9 Nepal erschüttert. Bislang wurden mehr als 4300 Tote geborgen. Nach Angaben von Ministerpräsident Sushil Koirala könnten bis zu 10.000 Menschen ums Leben gekommen sein. Die Regierung habe angeordnet, dass die Rettungsarbeiten intensiviert würden, sagte der Regierungschef am Dienstag der Nachrichtenagentur Reuters. Sein Land benötige jetzt Hilfe von außen - vor allem Zelte und Medikamente. Die Zahl der Toten ist nach jüngsten amtlichen Angaben auf 4485 gestiegen. Mehr als 8000 Menschen wurden verletzt.

Nach Angaben der Vereinten Nationen sind rund acht Millionen Menschen von den Auswirkungen des schweren Erdbebens betroffen. Wie die UNO am Dienstag mitteilte, sind mehr als 1,4 Millionen Menschen auf Lebensmittelhilfen angewiesen. Viele Menschen bräuchten aber auch Wasser oder hätten ihr Obdach verloren.

Die Regierung in Nepal erklärte außerdem erstmals öffentlich, trotz zahlreicher Warnungen vor einem bevorstehenden großen Beben nicht ausreichend vorbereitet gewesen zu sein. „Wir haben nicht genügend Mittel, und wir brauchen mehr Zeit, um alle zu erreichen“, erklärte Innenminister Bam Dev Gautam im staatlichen Fernsehen. Die Behörden hätten Schwierigkeiten, die Krise zu meistern. „Wir waren auf ein Desaster dieses Ausmaßes nicht vorbereitet“, sagte er.

Selbst in der Hauptstadt Kathmandu beschwerten sich zahlreiche Menschen. „Wir leben hier auf der Straße, ohne Essen und Wasser, und wir haben in den vergangenen drei Tagen (seit dem Beben) keinen einzigen Beamten gesehen“, sagte ein Mann, der mit seiner Familie im Freien campierte. Die Stromversorgung war zusammengebrochen, sodass weder Wasserversorgung noch Telekommunikation gut funktionierten.

72.000 Menschen verlassen die Hauptstadt

Auf der Suche nach Wasser und Nahrung haben Zehntausende Menschen das von einem Erdbeben schwer getroffene Kathmandu-Tal in Nepal verlassen. Die nepalesische Zeitung „Himalayan Times“ gab ihre Zahl am Dienstag mit mehr als 72 000 an. In der Hauptstadt des Himalaya-Landes gebe es derzeit keinen Strom und kaum Trinkwasser, sagte Philips Ewert, Einsatzleiter der Hilfsorganisation World Vision vor Ort.

Alle großen Geschäfte und Banken in Kathmandu seien geschlossen, sagte Ewert. „Außerdem wollen viele Menschen in ihre Heimatdörfer fahren und schauen, wie es ihren Familien geht.“ Auf Fotos waren Lastwagen und Busse voller Menschen zu sehen.

Ein Bagger vor einem zerstörten Haus in Kathmandu.
Ein Bagger vor einem zerstörten Haus in Kathmandu.
© dpa

Auf chinesischer Seite stieg die Zahl der Toten auf 25; in Indien starben 72 Menschen. Im Bebengebiet leben nach UN-Angaben etwa 6,6 Millionen Menschen. Wie viele davon wirklich stark betroffen sind, ist laut Ewert noch nicht abzusehen. Seine Organisation höre immer wieder, dass im Epizentrum die meisten Häuser zerstört seien. „Aber die Region ist noch völlig unzugänglich.“ Am frühen Morgen starteten mehrere Flugzeuge von Kathmandu und machten somit Parkpositionen für ankommende Flieger frei. Der einzige internationale Flughafen Nepals war am Vortag wegen des Andrangs überlastet. Mehrere Maschinen mit Hilfsgütern und Helfern mussten umkehren. Viele Touristen konnten auch nicht ausfliegen. Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen schicken auch Teams über beschwerlichen Landweg in die betroffenen Gebiete - von Indiens Hauptstadt Neu Delhi dauert es drei bis fünf Tage.

Schwerstes Beben seit 1934

Nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks Unicef braucht das Land langfristige Unterstützung. „Das katastrophale Erdbeben trifft Nepal in einer Phase, in der nach Jahrzehnten mit vielen Rückschlägen und unruhigen Zeiten vieles auf einem guten Weg war. Im Kampf gegen die Kindersterblichkeit und beim Zugang zu Bildung war viel erreicht worden“, sagte der Geschäftsführer von Unicef Deutschland, Christian Schneider, der „Passauer Neuen Presse“. Die sozialen Fortschritte im Land stünden nun auf dem Spiel, da die Infrastruktur hart getroffen sei.

Menschen in der Kathmandu zelten auf freien Gebieten. Sie haben ihre Häuser verloren oder fühlen sich in diesen nicht mehr sicher.
Menschen in der Kathmandu zelten auf freien Gebieten. Sie haben ihre Häuser verloren oder fühlen sich in diesen nicht mehr sicher.
© dpa

Am Samstag hatte ein Beben der Stärke 7,8 auf der Richter-Skala Nepal und Teile Indiens und Chinas erschüttert. Es war das schwerste Beben in der Region seit 1934, als über 10.000 Menschen starben.

Besonders Kinder leiden nach den Worten Schneiders unter Naturkatastrophen. Etwa 40 Prozent aller Kinder in Nepal seien chronisch mangelernährt und daher ohnehin geschwächt. Wenn sie einige Nächte bei Regen draußen in der Kälte verbringen müssten, könnten sie leicht gefährliche Atemwegserkrankungen bekommen. Nach den Worten des Unicef-Geschäftsführers stehen die Kinder, die das Erdbeben überlebt haben, unter einem tiefen Schock. „Alles um sie herum ist zusammengebrochen. Viele haben ansehen müssen, wie Angehörige ums Leben gekommen sind oder leblos aus den Trümmern gezogen wurden“, sagte Schneider.

Professor aus Göttingen unter den Opfern

Auch der Leiter einer Exkursion der Universität Göttingen ist in Nepal ums Leben gekommen. Der international renommierte Geografie-Professor und Eiszeitforscher sei seinen schweren Verletzungen erlegen, berichtete die Hochschule. Nach Angaben seiner Familie ist der 67-jährige Matthias Kuhle bei einem Abstieg im Manaslu-Massiv nördlich von Kathmandu während des Bebens von herabstürzenden Felsmassen getroffen und tödlich verletzt worden. Die Informationen basierten auf Angaben des Reiseveranstalters, mit dem die Göttinger Geografen unterwegs waren, teilte Kuhles Familie am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur mit. Der Veranstalter wiederum berufe sich auf einen einheimischen Begleiter der Exkursion.

Demnach war Kuhle am Samstag (25. April) mit seiner Gruppe vom Geographischen Institut der Göttinger Universität im nepalesischen Himalaya auf dem Abstieg von Jagat nach Dobhan. Die Wissenschaftler befanden sich in einer engen Schlucht, als sie von dem Erdbeben überrascht wurden.

Über weitere Opfer aus Deutschland neben dem Göttinger Forscher ist bisher nichts bekannt. Der Krisenstab im Auswärtigen Amt bemühe sich weiter um Informationen über das Schicksal von mehr als 100 vermissten Deutschen, hieß es am Dienstag in Berlin.

Kuhle habe sich gegen 12 Uhr Ortszeit „ein gutes Stück der Gruppe voraus“ befunden, vermutlich um die Sicherheit des Weges zu überprüfen, heißt es in der Mitteilung der Familie. Während der Erschütterungen sei der Wissenschaftler von herabstürzenden Felsmassen am Kopf getroffen und tödlich verletzt worden. Die übrigen Teilnehmer der Exkursion - 15 Studierende und ein weiterer Wissenschaftler - seien bis auf kleinere Verletzungen unversehrt geblieben.

Die Gruppe habe in der auf das Unglück folgenden Nacht wegen massiver Erdrutsche zwischen Jagat und Dobhan campieren müssen, berichtete Kuhles Familie. Am folgenden Tag sei sie per Hubschrauber nach Arughat Bazar geflogen worden. Kuhles mitgereister wissenschaftlicher Mitarbeiter habe die Informationen in einem Telefonat mit der Familie am Dienstag bestätigt, sagte Kuhles Sohn Arthur.

Den überlebenden Teilnehmern der Exkursion gehe es „den Umständen entsprechend gut“, sagte der Sprecher der Universität Göttingen, Thomas Richter. Direkten telefonischen Kontakt zu der Gruppe habe die Hochschule bisher nicht bekommen können.

Die Gruppe befinde sich aber in Arughat Bazar in Sicherheit, sagte Richter. Sie solle nach Kathmandu gebracht werden. Er hoffe, dass sie dann den Heimflug nach Deutschland antreten könne. Die Exkursion war Anfang April in den Himalaya aufgebrochen. Die reguläre Rückkehr war für den 29. April geplant.

Der ums Leben gekommene Matthias Kuhle - ein erfahrener Bergsteiger - galt als herausragender Himalaya-Kenner und Hochgebirgsgeograf. Er war in den vergangenen Jahrzehnten mehrere Dutzend Mal zu Forschungsreisen in der Region unterwegs. Sein besonderes Interesse galt der Entstehung und den Folgen von Eiszeiten. Bekannt wurde er durch den Nachweis eines tibetischen Inlandeises und dessen Einfluss auf die globalen Eiszeitzyklen. (rtr, dpa, AFP)

Angesichts der Not in Nepal starten der Tagesspiegel, seine Partnerorganisation Deutsche Welthungerhilfe (DWHH) und deren nepalesischer Partner RRN eine Hilfsaktion. Die Nothilfeteams brauchen Geld für Hygienekits, Zelte, Plastikplanen, Lebensmittel, für den Wiederaufbau. Bitte spenden Sie an: Spendenaktion Der Tagesspiegel e. V., Verwendungszweck: „Menschen helfen!“, Berliner Sparkasse (BLZ 100 500 00), Konto 250 030 942 – BIC: BELADEBE, IBAN: DE43 1005 0000 0250 0309 42. Name und Anschrift für den Spendenbeleg notieren. Danke.

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