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Sind wir schön? Und auch schön genug? Zwei junge Mädchen bei einer typischen Aktion.
© dpa

Fürs Selfie unters Messer: Soziale Medien und der Boom der Schönheits-OPs

Wer mit seinem Gesicht unzufrieden ist, handelt. In den USA gilt das inzwischen auch für Teenager. Der Druck kommt jetzt von Facebook & Co.

Der Gedanke an ihre Hochzeitsfotos hat Carilee Dahl jahrelang den Schlaf geraubt. Zwar gibt es die Fotos noch nicht; es mag auch eine Weile dauern, bis sie entstehen. Carilee ist 17, und einen Freund hat sie nicht. Der Grund allen Übels, davon ist Carilee überzeugt: ihre Nase. Die sei viel zu breit gewesen, sagt sie. „Ich wusste: Meine Nase würde mich auf meinen Hochzeitsbildern für den Rest meines Lebens stören.“ Deshalb hat sich Carilee ihre Nase operieren lassen. Und kann sich jetzt wieder auf ihre Hochzeit freuen.

Carilee Dahl ist ein ganz normaler Teenager in Amerika. Sie sitzt mit gekreuzten Beinen auf der üppig gepolsterten Couch im Haus ihrer Eltern in einer ruhigen Straße im amerikanischen Vorstadtland. Sie ist ein hübsches Mädchen mit rundem Gesicht; die braunen Haare hat sie zu einem vogelnestartigen Dutt gebunden, die Augen sind gerahmt von tuschegesättigten Wimpern. Sie spielt Fußball, sie tanzt, sie geht gerne mit ihren Freundinnen shoppen – und sie mag ihr iPhone und Onlinesein. Nur eins mochte sie nicht: „Ich habe früher nie Selfies gemacht“, erzählt Carilee. „Und ich habe manchmal geheult, wenn ich Fotos von mir gesehen habe, wegen dieser scheußlichen Nase.“ Sie stellte kein einziges Bild von sich ins Internet, und ihre Profilfotos waren stets Kätzchen. „Jetzt schaue ich mich gerne auf Fotos an. Manche Leute sagen mir, dass ich hübsch aussehe. Und auch die Jungs reden öfter mit mir.“ Das mag an der neuen Nase liegen – oder auch an Carilees Freude darüber.

Bei den Unter-30-Jährigen ist der "Nose-Job" am häufigsten

Carilee Dahl ist ein ganz normaler Teenager, und seit ihrer OP auch eine Trendsetterin. Nach einer Erhebung der Amerikanischen Akademie für Plastische und Wiederherstellende Gesichtschirurgie (AAPFRS) werden Patienten für Schönheitsoperationen in den USA immer jünger. Die Mehrzahl der befragten plastischen Chirurgen hat in den vergangenen Jahren einen deutlichen Anstieg ihrer Patienten unter 30 beobachtet. Der beliebteste Eingriff bei dieser Altersgruppe: die Nasenkorrektur, der „Nose Job“.

Anders als in den USA werden in Deutschland die Patienten für Schönheits-OPs stetig älter, wie die Deutsche Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie (GDÄPC) feststellte: 2014 zählten sie durchschnittlich 41 Jahre.

Huch, wie sieht die denn aus? Als Renée Zellweger im Oktober 2014 mit neuem Gesicht auftritt, regt sich die halbe Welt auf.
Huch, wie sieht die denn aus? Als Renée Zellweger im Oktober 2014 mit neuem Gesicht auftritt, regt sich die halbe Welt auf.
© AFP

Doch Amerika, nicht Deutschland, ist der weltweit größte Markt für Schönheitsoperationen. Und so stehen die Produkte dieses Marktes unter ständiger und strengster Beobachtung. Das musste gerade auch Schauspielerin Renée Zellweger erfahren, als sie sich nach längerer Pause ohne ihr Markenzeichen, die ausgeprägten Schlupflider, auf dem roten Teppich zeigte und einen Sturm von Reaktionen im Internet lostrat. Zellweger ist 45 – und damit in einem Alter, in dem US-Amerikaner laut Statistik bereits in die zweite oder dritte Runde ihres operativen Erneuerungsreigens gehen. Die Umfrage unter amerikanischen Schönheitsärzten zeigt auch: Soziale Medien wie Facebook, die Fotoplattform Instagram, die virtuelle Pinnwand Pinterest oder die iPhone-App Selfie.im – fast alle bildorientiert – spielen eine immer wichtigere Rolle für die Entscheidung junger Menschen, sich per Skalpell oder Spritze für ihren Auftritt im Internet aufpolieren zu lassen. Soziale Medien sind zu Maßstäben des Selbstbildes geworden, zu Messlatten des Vergleichs, zu Währungsrechnern im Wettbewerb um Jugend, Schönheit und Schaffenskraft.

Die ewigen Bilder, das ewige Vergleichen, immer ist jemand schöner

Als Mark Zuckerberg 2004 Facebook startet, tritt er damit eine Veränderung los, die im Wortsinn bis unter die Haut geht.
Als Mark Zuckerberg 2004 Facebook startet, tritt er damit eine Veränderung los, die im Wortsinn bis unter die Haut geht.
© Reuters

Louis DeJoseph ist plastischer Chirurg in Atlanta im Bundesstaat Georgia und hat Carilees Nase operiert. „Carilee wusste, was sie wollte“, sagt DeJoseph, 42, der eine kleine Nickelbrille in einem freundlichen Gesicht trägt. „Eine etwas elegantere Nase, aber immer noch ihre eigene.“ Tatsächlich ist Carilees neue Nase eine erwachsenere Version der alten und fügt sich wie selbstverständlich in ihr Gesicht.

Soziale Medien sind jung; Facebook startete 2004. Plastische Operationen gab es bereits im alten Ägypten und antiken Rom. In der weniger fernen Vergangenheit waren es die großen Kriege des 20. und 21. Jahrhunderts, die der Disziplin einen Schub gaben, wenn Ärzte die verbrannten, zerfetzten, zerschossenen Gesichter und Körper von Soldaten und Zivilisten rekonstruierten.

Die kosmetische Chirurgie ist der lukrative Zwilling der plastischen Chirurgie, und Bilder waren von Beginn an ihr kraftvollstes Vehikel: bewegte und unbewegte Bilder, deren Botschaften die Fertigkeiten der plastischen Chirurgen zu einer gefragten Dienstleistung auf dem Weltmarkt der Eitelkeiten machten – von Hollywood über das Fernsehen bis Youtube, vom Pin-up bis zu Pinterest.

„Sie brauchen einen Psychiater, keinen Chirurgen“

Kenneth „Ken“ Neufeld kommt direkt aus dem OP, im kobaltblauen Kittel, die Lupenbrille baumelt an einem Band um seinen Hals. Noch im Gehen zieht er sich den Mundschutz vom Gesicht, knüllt ihn zusammen, zielt auf den Mülleimer in der Ecke des Behandlungszimmers. Dann setzt er sich auf einen Hocker und schlägt die Beine übereinander. Auf seinem Operationstisch lagen an diesem Tag: ein zweijähriges Mädchen, deren hängendes Oberlid der Arzt mit einem Silikonfaden anhob, um die Entwicklung der Sehkraft nicht zu behindern. Eine 92-jährige Frau, deren Augenhöhle nach einem Leben mit Prothese vernarbt war und mit Lippengewebe aufgepolstert wurde. Ein junger Mann mit zertrümmerten Gesichtsknochen nach einem Autounfall; der Chirurg implantierte eine Titanplatte unter einen Augapfel, um dessen Einsacken zu verhindern. Außerdem standen noch eine Lidstraffung und ein Augenbrauenlifting auf dem OP-Plan.

Neufeld – schmal, große Augen und ein Blick zwischen forsch und fragend – ist plastischer Augenchirurg bei der „Thomas Eye Group“ in Atlanta, einer 1974 gegründeten Ärztegemeinschaft mit ambulanter Augenklinik. Ein Teil seiner Patienten sucht medizinische Hilfe nach Verletzungen, bei Fehlbildungen oder Tumoren. Der andere Teil kommt für kosmetische Eingriffe.

Auch Neufeld erfährt in seiner Praxis die anschwellende Kraft der sozialen Medien, vor allem bei jüngeren Patienten. „Sie vergleichen sich permanent mit anderen oder mit den Bildern von anderen. Das tröpfelt stetig und diffus in ihre Psyche ein.“ Sie vergleichen Augen, Nase, Lippen, Falten, Haut und Haare, tatsächliches, geschätztes und gefühltes Alter. Ihre Geschichten seien fast immer die gleichen, sagt der 42-jährige Arzt: Sie sehen sich auf Fotos, und sie mögen nicht, was sie sehen. „Da baut sich ein enormer Druck auf, und der treibt viele Patienten dazu, Erleichterung in kosmetischen Eingriffen zu suchen.“

Neufeld verurteilt das nicht; schließlich ist es Teil seines Geschäfts. Aber er operiert nur, wenn er die Wünsche der Patienten für nachvollziehbar hält und deren Erwartungen für realistisch. Und deshalb kommt es vor, dass er potenzielle Patienten auch wieder nach Hause schickt. Häufig, nicht immer, sind das jüngere Menschen. „Einige von ihnen sehen etwas, was ich nicht sehe“, sagt Neufeld. Augäpfel, die angeblich hervortreten; Augenbrauen, die vermeintlich asymmetrisch sind; Tränensäcke, die nicht existieren. „Bei diesen Patienten ist für mich klar: keine Operation.“ Weil sie etwas suchten, was er nicht liefern könne. „Sie brauchen einen Psychiater, keinen Chirurgen.“

Als Mutter und Tochter am selben Tag operiert werden, gibt es Mengenrabatt

Den meisten Botox-Patienten geht es um ein erholtes Aussehen.
Den meisten Botox-Patienten geht es um ein erholtes Aussehen.
© The Image Works / VISUM

Manchmal allerdings, räumt er ein, seien die Grenzen schwimmend zwischen medizinischen und kosmetischen Behandlungen. Und manchmal, vor allem bei Jugendlichen, erscheint die Sehnsucht nach dem Skalpell vielleicht nur auf den ersten Blick absurd. Aus der Umfrage unter amerikanischen Schönheitschirurgen geht hervor, dass Mobbing das zentrale Motiv für Patienten im Teenageralter ist – viele lassen sich als Reaktion auf Mobbing operieren; oder, um gar nicht erst zu einem Mobbing-Opfer zu werden.

Neufeld bricht seinen Satz ab, hält inne, setzt neu an. Natürlich wäre es ideal, sagt er, „wenn ein Kind, ein Jugendlicher lernen könnte, den Spott über einen Makel auszuhalten, daran zu wachsen und stärker daraus hervorzugehen“. Aber es sei eben auch so, dass kosmetische Operationen das Selbstbewusstsein stärken – und deswegen hilfreich sein könnten. „Wie tief muss das Augenlid hängen, wie krumm muss die Nase sein, um einen Eingriff zu rechtfertigen?“ Er zuckt mit den Schultern. „Ich weiß es nicht.“

Carilee wusste ganz genau, dass sie sich eines Tages ihre Nase operieren lassen würde. Mindestens seit der vierten Klasse, sagt sie. Als ihre Mitschüler begannen, sie „Popeye“ zu nennen, nach der Comicfigur, einem Matrosen mit kräftigem Knubbelzinken. Die anderen Kids hätten sich ständig über sie lustig gemacht – „und immer war meine Nase das Thema.“ Sie sei oft nach Hause gekommen und habe bitterlich geweint, erzählt Carilees Mutter Sheri.

Die OP war für mich selbst, sagt sie. Sie wollte die Hänseleien abstellen

Sheri war es auch, die ihre Tochter mit zum plastischen Chirurgen nahm, zunächst nur zur Beratung. Sheri, Mitte 40, blond, fit und proper auf eine vinylpuppenhafte Weise, hatte vor fünf Jahren ein Facelift und wollte eine Auffrischung. Nach dem Termin sprach Carilee von nichts anderem als der Nasenkorrektur. Die Eltern stimmten dem Eingriff schließlich zu. Die OP kostet 6000 Dollar, aber DeJoseph gab einen Mengenrabatt, denn Mutter und Tochter legten sich am gleichen Tag unters Messer, zuerst Carilee, dann Sheri. „Die OP war vor allem eine Sache für mich selbst“, sagt Carilee, und nur in zweiter Linie eine Reaktion auf die Hänseleien. Ein prominentes Vorbild, so wie viele Teenager, hatte sie nicht.

Carilees Patientenkarriere in der Welt der Schönheits-OPs hat gerade erst begonnen. Doch der nächste Stopp ist bereits geplant: Botox. Das Nervengift Botulinumtoxin, erstmals in den frühen 1980er Jahren zur medizinischen Behandlung von Lid- und anderen Krämpfen eingesetzt, wurde 2002 auch für kosmetische Eingriffe als Faltenglätter zugelassen. Unter dem Namen Botox hielt es Einzug in die Praxen von plastischen Chirurgen, Hautärzten und Zahnärzten, in Kosmetikstudios und Friseursalons. Botox ist Schlagwort, Reizwort, Zauberwort – viele lieben es, in Amerika mehr als in Europa, einige verdammen es, jeder kennt es. Botoxinjektionen sind heute der gefragteste kosmetische Eingriff weltweit; sie haben allein in den USA seit 2004 um 111 Prozent zugelegt.

Als Ken Neufeld vor zehn Jahren als niedergelassener Augenarzt anfing, haftete Botox noch der Ruf des latent Unseriösen an. Patienten sprachen kaum öffentlich über Botoxbehandlungen, und Ärzte hatten Angst, Patienten zu kompromittieren, indem sie Botox empfahlen. Das habe sich geändert, radikal. „Botox ist vom kompletten Tabu zum kosmetischen Standard geworden. Für viele Menschen gehört Botox heute zur Wartung ihres Gesichts, fast so wie eine professionelle Zahnreinigung.“

Botox hat die Schönheitsbranche durchgeschüttelt, und es hat sie demokratisiert. Die Behandlung erfordert, anders als eine Operation, keine Auszeit; die Wirkung ist vorübergehend, und die Kosten sind erschwinglich, zwischen 400 und 600 Dollar pro Satz. Neufeld arbeitet gerne mit Botox. Und findet die Marketingkampagne mindestens so bemerkenswert wie die Wirkung. „Dabei dabei spielen soziale Medien eine riesige Rolle.“

Botox wird heute präventiv genutzt, bevor die Falten kommen

Kein Wunder also, dass auch die Botox-Patienten immer jünger werden. Galt das Nervengift noch vor wenigen Jahren als schneller Fix für Frauen an den äußersten Ausläufern des Jungseins, entscheiden sich heute in den USA immer mehr Frauen, aber auch Männer bereits mit Mitte, Ende 20 für Botoxinjektionen – und zwar zur Prävention. „Die Patienten sind heute eher proaktiv“, sagt Schönheitschirurg DeJoseph. „Sie warten nicht mehr, bis die ersten Falten da sind.“ Carilee findet das einleuchtend und will deshalb auch früh mit Botox beginnen.

Mittlerweile lassen sich sogar Teenager Botox spritzen. Aus kosmetischen, nicht aus medizinischen Gründen. Derzeit 18 000 pro Jahr in den USA, die Dunkelziffer liegt vermutlich sehr viel höher. „Zu früh“, sagt DeJoseph. Auch Neufeld hebt abwehrend die Hände. „Mir fällt kein einziger Grund ein, der das rechtfertigen würde.“

Ken Neufeld und Louis DeJoseph erwarten, dass sich die Trends fortsetzen, dass das Einstiegsalter von Patienten für Schönheitsoperationen weiter sinkt und die Macht der sozialen Medien weiter steigt. Und sie wissen auch, dass sich für jede Behandlung in jedem Alter immer irgendwo ein Arzt findet.

Allerdings gehe es, meinen die Chirurgen, den meisten ihrer Patienten gar nicht allein darum, immer jünger auszusehen und am Ende vielleicht immer ähnlicher. Vor allem wollten sie stets so erscheinen, als kämen sie gerade aus dem Urlaub, von Sport, Spiel und Spaß. Egal, in welchem Alter. „Wer erholt wirkt, signalisiert, dass er produktiv ist“, sagt Neufeld: im Job, in der Ausbildung, auch im Privatleben. Müde auszusehen, wie ein Arzt nach einem langen Tag im OP zum Beispiel, ist dagegen eine heikle Sache, zumindest in Amerika. Neufeld hebt die Augenbrauen und zieht den Mund zu einem schiefen Lächeln. „Vielleicht kommt es ja darauf an, wie man es trägt.“

Müde auszusehen: Darum muss Carilee Dahl sich jedenfalls im Moment keine Sorgen machen. Weil sie erst 17 ist. Und weil sie, seit sie eine neue Nase hat und ihre dunklen Gedanken verflogen sind, auch endlich wieder gut schlafen kann.

Katja Ridderbusch[Atlanta]

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