Spornosexuell - Sport trifft Porno: Neuer Trend: Die Vorzeigemänner
Muskulöse Kerle posieren ohne Hemd, machen Fotos davon und verbreiten sie im Internet. Das Phänomen hat jetzt einen Namen: spornosexuell, ein Wortmix aus Sport und Porno. Der metrosexuelle Mann hat so einen Nachfolger gefunden. Ist das fortschrittlich oder lächerlich? Eine Analyse.
Plötzlich war sie da. Die kleine Doppelspitze unter einem Hauch von Hellblau. Erbsengroße Erotik auf dem Fußballplatz. „Nippelalarm!“, meldete der Tagesspiegel, „Eng, enger, Uruguay!“, schrieb die „Welt“. Tatsächlich haben die Trikots der Uruguayer bei dieser Fußballweltmeisterschaft neue Maßstäbe gesetzt. Wie eine zweite Haut schmiegte sich der dünne Stoff um die Hüften, wölbte sich über Brustmuskeln und Six-Packs. Wie kam es zu so viel Baywatch-Sexyness auf dem Rasen? Spielt es sich besser im engen Dress? Steckt eine Taktik der FIFA dahinter, um mehr Frauen zum Fußballgucken zu animieren?
Für den englischen Journalisten Mark Simpson wäre die Antwort klar: Weder die Aerodynamik noch Sepp Blatter haben zu der Entscheidung beigetragen, dem Weltpublikum Uruguays strammste Nippel zu präsentieren. Spieler, die in knallengen Trikots stecken, sich mit freiem Oberkörper vor dem Spiegel fotografieren oder entgegen dem Blankzieh-Verbot nach dem Torschuss der halbnackten Siegerpose frönen – all das beruht auf der Entwicklung eines neuen Männertypus: des Spornosexuellen. Der Mann, zumindest der gutgebaute, zelebriert jetzt den eigenen Körper öffentlich und setzt ihn ohne Scheu erotisch in Szene.
Simpson ist kein Anfänger im Typen-Definieren. Vor 20 Jahren hat er den Begriff „metrosexuell“ erfunden, Symbolfigur dessen wurde Fußballer David Beckham, der mit ständig wechselnden Looks mehr modische Trends setzte als Gattin Victoria und alle anderen Ex-Spice-Girls zusammen. Gefärbte Haare, lackierte Fingernägel, exzessive Körperpflege und weibliches Konsumverhalten, all das war für Männer plötzlich nicht mehr tabu, sondern en vogue. Eitelkeit wurde zum anerkannten männlichen Attribut.
Später machte Simpson noch den „Retrosexuellen“ aus – jene testosteronschwere Version Mann, die weder die Augenbrauen zupft, noch die Brust wachst. Schauspieler wie Hugh Jackman, gern mit Fünftagebart, dienten ihm als Vorbild. Weg vom Kosmetikbubi, hin zum Holzfällercharme.
Und nun verkündete er im britischen „Telegraph“: „Der Metrosexuelle ist tot. Lang lebe der Spornosexuelle.“ Muss das sein?
Der Begriff „spornosexuell“ basiert auf einer Mixtur aus Sport und Porno. Gestählte Körper in lasziven Posen. Tätowierte Torsos über engen Shorts. Männer präsentieren ohne Hemmungen ihre Sexualität, ihren Stolz auf den eigenen Körper. Was früher der Frau und vielleicht noch dem homosexuellen Mann vorbehalten war, ist jetzt auch Usus unter Hetero-Männern. Die Arbeit im Fitnessstudio soll sich schließlich lohnen, die Welt soll das Ergebnis würdigen.
Es ist logische Konsequenz eines Volkssports: der stetigen Optimierung des Ich über soziale Netzwerke. Das Lob der eigenen Freundin über den Waschbrettbauch reicht nicht aus, alle sollen ihn sehen. Mein Urlaub ist schöner als deiner, mein Mittagessen wird öfter geklickt als deins, und nun eben auch: Mein Körper kriegt die meisten „Likes“ von allen.
Im Spornosexuellen verschmilzt die Eitelkeit des Metrosexuellen mit dem Testosteron des Retrosexuellen. Er kann als besonders ausgeprägte Form des Narzissten gelten, dessen Gedanken zu einem erheblichen Teil um Instandhaltung, Verbesserung und Außenwirkung der eigenen Identität kreisen.
Frauen liefern sich in diesem Bereich schon lange die absurdesten Wettkämpfe, suhlen sich daheim vor der Handykamera in Kissen. Das „Selfie“ benannte Selbstporträt gibt es inzwischen auch als „Belfie“ (Butt-Selfie). Rihanna, Heidi Klum und Kim Kardashian posten auf Twitter Fotos ihrer mal mehr, mal weniger verpackten Hintern. Es gilt, sich gegenseitig im sexy Posieren zu übertreffen. Der Trend findet nicht nur unter Prominenten, sondern auch auf den Facebook-Profilen Normalsterblicher Niederschlag. Die inzwischen als „Duckface“ verschrienen lasziven Schmollmünder knutschen dort aus allen Ecken. Wer auch sein letztes bisschen Privatsphäre aufgibt, räkelt sich im Bikini quer über die Profilseite. Nun greift das Räkeln aufs andere Geschlecht über.
Schon wieder ist David Beckham schuld
Sport trifft Porno. Cristiano Ronaldo lässt sich nackt mit seiner Freundin von der „Vogue“ fotografieren, probt nach einem Elfmetertor die martialische Balotelli-Pose – nur noch besessener, wie ein Orang Utan in der Brunft. Sänger Justin Bieber posiert nach dem Hanteltraining vor dem Spiegel, der tätowierte Oberkörper frei, die Hose bis knapp an die Schamhaargrenze gezogen. US-Soapstar Dan Osborne fotografiert sich und seine Muskeln in der Badewanne. Und Mesut Özil posiert mit angespanntem Sixpack vor dem Spieglein, Spieglein an der Wand. Bin ich schön? Und wenn ja, wie sehr?
Wie schon beim Vorvorgänger des Spornosexuellen, dem Metrosexuellen, muss wieder David Beckham als einer der Vorreiter genannt werden. Wer erinnert sich nicht an die großflächigen Plakate, mit denen er erst Armanis und später die eigene Unterwäschekollektion bewarb. An allen Ecken der Stadt sah man seine tätowierte Haut unterm Ölfilm schimmern. Muskel an Muskel gereiht. Unten herum in äußerst enge Shorts verpackt, die keinen Zweifel über den Inhalt aufkommen ließen. Keine Spur von Scham, null Angst vor homoerotischer Anmutung. Boys sind die neuen Babes.
Ist die Tatsache, dass jetzt auch Männer sich der Übersexualisierung des Alltags angeschlossen haben, nun also ein Fort- oder ein Rückschritt – ein Zeichen der Emanzipation oder der Kapitulation?
In jedem Fall ist es ausgleichende Gerechtigkeit. Solange Frauen in Modezeitschriften wie hindrapierte Gliederpuppen mit offenem Mund und gespreizten Beinen an die Decke starren, solange Lolita-Models in Begleitung irgendwelcher phallischer Gegenstände vor der Kamera posieren und solange es als normal gilt, wenn sich Frauen über Äußerlichkeiten definieren... solange sich daran nichts ändert, können einem die Männer doch ruhig auf halbem Weg ein Stück entgegenkommen. Gleiches Recht und Nippel für alle!
Dass sich der Sexualisierungs- und Optimierungswahn weiter verstärken wird, ist nicht auszuschließen – die technischen Möglichkeiten dafür sind gegeben. Ein Sixpack lässt sich heute auch aus Silikon formen, die Fettabsaugung an einem freien Wochenende über die Bühne bringen. Die Spornosexuellen haben sich so nah ans eigene Ideal herangearbeitet, dass sie für ihre Selfies keine Bildbearbeitung mehr brauchen. „Sie haben sich selbst ins Leben gephotoshopt“, schreibt Mark Simpson.
Bleibt zu hoffen, dass der Herr nicht bald schon den nächsten Typ Mann ausruft. Wo soll all das Muskelpumpen noch hinführen – zum Hulksexual? Und überhaupt: Wie weit werden die Spornosexuals mit ihren Posier-Orgien auf Twitter noch gehen? Wann gibt der Kurznachrichtendienst den Weg frei für die ersten Pelfies (Penis-Selfie)?
Noch sind wir weit davon entfernt. Spornosexuelle Auswüchse sind hierzulande vor allem im Freibad zu bewundern. Oder bei einigen Fitnessverliebten, neben deren T-Shirts die Uruguay-Trikots aussehen wie Kartoffelsäcke. Oder, etwas dezenter, in der kurzzeitigen, inzwischen wieder erledigten Mode tief dekolletierter V-Ausschnitt-Männershirts, die den Blick auf einen großen Teil der behaarten oder gewachsten Brust freigaben.
Wir können nur abwarten und uns freuen, dass es noch so viele Retrosexuelle gibt, die all diesen Zirkus nicht nötig haben. Es wurden schon viele angebliche Männertypen definiert: vom Yuppie, dem Young urban professional, bis zum Yummy, dem Young urban male. Keiner verdrängte auf einen Schlag alle anderen. Keiner setzte sich durch. Man hat immer noch die Wahl zwischen all den schönen Facetten von Männlichkeit.
Auch Wladimir Putin posiert bekanntlich gern, wahlweise mit Angel, Pferdezügel oder Gewehr vor der nackten Brust. Ihm brachte das allerdings größtenteils Spott ein. Denn eines sollte man nie vergessen, wenn man den Spornosexuellen nacheifert: „Sie wollen für ihren Körper begehrt werden“, schreibt Simpson, „nicht für ihre Garderobe. Und sicher nicht für ihren Geist.“ Welchen Geist?
Lydia Brakebusch
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