Wohnen in Berlin: Neben den Mieten wird das Bauen immer teurer
In 15 Jahren ist Bauen in Berlin um 40 Prozent teurer geworden – das treibt auch die Mieten nach oben. Wir haben nach den Gründen gesucht: eine Bilanz.
Einer, der richtig günstig gebaut hat, ist Philipp Wehage. Der Architekt vom Büro DMSW brachte es fertig, neben dem Park am Gleisdreieck, mitten in der City, ein Haus mit zwölf Wohnungen für 2000 Euro je Quadratmeter fertig zu stellen. Umgerechnet auf eine Monatsmiete entspräche das grob fünf Euro je Quadratmeter. 100 Quadratmeter für 500 Euro im Neubau am Park? Davon träumen Wohnungssuchende.
Zur Wahrheit gehört auch: Wehage hat das Haus mit einer Baugruppe errichtet, da verdient kein Entwickler mit. Außerdem entstand es vor gut fünf Jahren. Damals hatten Architekten weniger zu tun. Der Hype um Berlin fing gerade erst an. Maurer, Dachdecker und andere Baubetriebe waren froh über jeden Auftrag. Grundstücke gab es genug.
Das war einmal. Um 40 Prozent sind die Baukosten seit dem Jahr 2000 bundesweit gestiegen. Noch viel stärker kletterten die Kaufpreise für Immobilien in Großstädten. Direkt gegenüber der Baugruppe von Philipp Wehage entstehen zurzeit neue Häuser. Deren Wohnungen sind noch nicht fertig, verkauft sind sie fast alle. Eine ist noch zu haben, 93 Quadratmeter für 593 000 Euro. Das ist drei Mal so viel, wie die Mitglieder der Baugruppe bezahlten. „Wir leiden unter dem positiven Markt und steigenden Baupreisen“, so Wehage.
Ausgerechnet jetzt, wo die Mieten dramatisch steigen, wird Bauen teurer. Das setzt Bund und Länder unter Druck. Mit der Mietpreisbremse haben sie eine erste Maßnahme im Kampf gegen teure Wohnungen beschlossen. Aber um Wohnungsnot zu bekämpfen, darüber sind sich alle einig, helfen nur mehr Wohnungen. Sind die Baupreise hoch, entstehen teure Objekte. Die kann sich gerade in Berlin nicht jeder leisten. „Wohnungen gibt es genug“, sagt der Stadtsoziologe Andrej Holm, nur eben nicht für Haushalte mit überschaubarem Einkommen. Ein Viertel der Berliner Bevölkerung ist „armutsgefährdet“, hinzu kommen Minijobber, Selbstständige und Alleinerziehende. Kurzum: „Es fehlen 100.000 bezahlbare Wohnungen“, sagt Holm.
Berlin ist keine Ausnahme, ähnliche Probleme gibt es in anderen Ballungsräumen, etwa im Rheinland. Bundesbausenatorin Barbara Hendricks (SPD) reagierte und gründete vergangenes Jahr eine „Kommission für bezahlbares Wohnen“. Diese hat die Arbeit noch gar nicht richtig aufgenommen, da machen die Verbände der Wohnungswirtschaft schon Druck. In einer Studie zählen sie „vier zentrale Kostentreiber“ im Wohnungsbau auf. Der Staat ist schuld, so ihre Bilanz: Er schreibt zu viel vor, fordert zu hohe Steuern und wälzt zu viele Gebühren und Planungskosten auf die Bauherren ab.
„Auch wenn wir wollten, wir könnten heute nicht dasselbe Haus bauen wie vor zehn Jahren“, sagt Jacqueline Brüschke, Leiterin der Bauabteilung von Berlins größter landeseigener Wohnungsbaugesellschaft degewo. Vorschriften, Regeln und Normen haben sich verändert. Da wäre etwa die „Energieeinsparverordnung“ (Enev) des Bundes, die den zulässigen Energie-Verbrauch von neuen Objekten begrenzt und so grundlegend in deren Planung eingreift. Während die Maurer früher Stein auf Stein setzten und die Fassade einfach verputzten, der Bauherr Fenster meist nach gestalterischen Gesichtspunkten auswählte, müssen inzwischen dicke Styropor-Schichten in „Wärmeverbundsystemen“ an die Wände montiert und Fenster mit drei Glasschichten eingesetzt werden.
Luftdicht verpackt sind die Neubauten heute. Wärme geht kaum noch verloren, aber die Luftfeuchtigkeit vom Kochen und Waschen kann auch nicht raus. Damit der Wasserdampf nicht in den Zimmerecken kondensiert und sich kein Schimmel bildet, muss eine Lüftung eingeplant werden. Das ist aufwendig und ein Grund dafür, dass „die Kosten für die Haustechnik im vergangenen Jahrzehnt drastisch stiegen“, sagt Brüschke. Nächstes Jahr verschärft der Gesetzgeber erneut die Anforderungen. Die „Enev 2016“ wird die Preise weiter hochtreiben. Ähnliche Auswirkungen haben Vorschriften bei Brandschutz, Schallschutz und Barrierefreiheit – Wohnungen ohne Schwellen sind sinnvoll, weil immer mehr Menschen immer älter werden, sie kosten aber auch extra.
„Die Baupreise sind nicht schneller gestiegen als die Verbraucherpreise“, sagt Reinhold Dellmann, Berlin-Chef der Fachgemeinschaft Bau. „Kostentreiber“ seien vielmehr die Baulandpreise, Grunderwerbsteuern sowie Auflagen von Bund und Ländern: „Man kann nicht verlangen, dass Bauträger das Klima retten, Kitas und Straßen bauen und dann auch noch die Wohnungen billig vermieten.“
„Der politische Druck, schnell Wohnungen zu schaffen, treibt die Baupreise“, sagt Gudrun Sack. Die Architektin vom Büro Nägeli berichtet von Auftraggebern, die ihr zweieinhalb Wochen Zeit zur Vorlage von Bauplänen geben und dem Generalübernehmer vier Wochen für die Berechnung der Preise. „Preiswert bauen mit cleveren Lösungen ist möglich, aber nicht, wenn keine Zeit zum Denken bleibt“, sagt Sack.
Die wichtigsten Ursachen
Luxus. Mehr als die Hälfte aller neuen Wohnungen in Berlin sind Eigentumswohnungen. Billig bauen können Entwickler da oft nicht: Die Architektur soll Vor- und Rücksprünge haben, die zusätzliche Fläche kostet ebenso extra wie begehbare Dachterrassen.
Bauland. Die Preise für Baugrundstücke sind in den Großstädten drastisch gestiegen. Bundesweit ging es binnen 15 Jahren zwar nur um gut fünf Prozent aufwärts, in Ballungsräumen aber viel stärker. In Berlin stieg der Bodenrichtwert für den Wohnungsbau allein im vergangenen Jahr um 30 Prozent.
Zeitdruck. Die Wohnungsnot in Ballungsgebieten setzt die Kommunen unter Druck. Sie legen Bauprogramme auf und drängen eigene Unternehmen, möglichst schnell möglichst viele Wohnungen zu bauen. Da bleibt kaum Zeit für kostensparende Planungen und Ausschreibungen. Baufirmen nutzen das aus.
Gebühren. Früher haben die Ämter Bauanträge geprüft, das muss der Bauherr jetzt selber machen und auch bezahlen. Seine Architekten und Ingenieure entwickeln die Baupläne, dann beauftragt er einen unabhängigen Sachverständigen mit deren Prüfung. Dieses Gutachten reicht den Bauämtern.
Steuern. Immer wieder haben die Kommunen die Grunderwerbsteuer erhöht. Schleswig-Holstein kassiert bundesweit am meisten, bei jedem Grundstücksgeschäft muss der Käufer 6,5 Prozent des Preises an den Fiskus zahlen. Berlin verlangt sechs Prozent.
Normen. Die Energieeinsparverordnung (Enev) ist die folgenschwerste der neuen Normen, die Bauen teuer machen. Dicke Dämmung senkt den CO2-Ausstoß, aber zwingt zum Einbau teurer Entlüftungstechnik. Auch Vorschriften zum Schallschutz – und bald Brandschutz – kommen teuer.
Komfort. Rolläden und Heizung steuern per App, Netzwerk und TV-Buchsen in jedem Zimmer? Das ist bald Standard im Neubau. Die digitale Aufrüstung der Haushalte macht zusätzliche Steckdosen, Leitungen und Schächte erforderlich – bei steigenden Preisen für die Elektro-Installation.
Baukosten. Gestiegen sind in den vergangenen Jahren auch die „Gestehungskosten“ für das Bauwerk an sich: Mauerwerk, Dach, Fenster – seit dem Jahr 2000 um rund 20 Prozent bundesweit. Vergleich mit den Lebenshaltungskosten ist das moderat, diese zogen um 25 Prozent an.
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